In Dresden missbrauchen Neonazis das Gedenken an die Opfer der Bombardierung. Dabei bekommen sie Unterstützung von der AfD und Leugnern der Corona-Pandemie.
Von Henrik Merker
Victor Klemperer schreibt über den 13. Februar 1945 in seinem Tagebuch: „Darauf riß Eva mit einem Taschenmesserchen die Stella“, den Judenstern, „von meinem Mantel.“ Das Bombardement der Alliierten auf Dresden rettete dem Autoren damals das Leben. Seine Frau und er hatten sich in einem der öffentlichen Bombenschutzkeller verstecken können. Noch tags zuvor musste Klemperer Deportationsbefehle an die wenigen verbliebenen Dresdner Juden verteilen. Zur Deportation kam es nicht mehr, Klemperers flüchteten nach Bayern und warteten dort auf die Befreiung.
Jahrzehnte später geben sich Geschichtsrevisionisten alle Mühe, die Bedeutung der Dresdner Bombennächte zu verdrehen. Alljährlich ziehen Neonazis am 13. Februar durch die sächsische Landeshauptstadt, um der Opfer zu gedenken. 400 bis 500 waren es am vergangenen Samstag. Teilnehmer lieferten sich mit der Polizei eine handfeste Auseinandersetzung um ein Transparent, auf dem die Bombardierung mit dem Holocaust gleichgesetzt wurde.
Leugnung schweißt Rechtsextreme zusammen
Vor allem aber führen die Revisionisten einen Kampf um Zahlen. Eine Forscherkommission war bereits 2010 zu dem Ergebnis gekommen, dass bei der Bombardierung maximal 25.000 Menschen starben. Das rechtsextreme Compact-Magazin verbreitete in einer Sonderausgabe ein Interview, in dem die Existenz von Schutzkellern geleugnet und die Opferzahlen hochgerechnet werden. Als Quelle gibt Compact die neonazistische Kampagnen-Website dresden-gedenken an. Andere Gruppen sprechen von 250.000 Toten. Als vermeintliche Quelle dienen Hobbyhistoriker und Geschichtsrevisionisten. Tagebuchberichte wie die von Victor Klemperer belegen zudem die Existenz von Schutzkellern und die militärische Relevanz der Stadt.
Die Leugnung hat jedoch noch eine andere Funktion: Sie verbindet. Für die Neonaziszene ist das alljährliche Gedenken in Dresden ein Jahreshöhepunkt. Nachdem sich die Szene in den letzten Jahren, auch aufgrund des Verbotsverfahrens gegen die NPD, stark zersplitterte, stand sie diesmal wieder zusammen. Die drei rechtsextremen Parteien Der Dritte Weg, Die Rechte und NPD, organisierte Holocaustleugner und führende Köpfe des neonationalsozialistischen Vereins Artgemeinschaft kamen zusammen. Die Artgemeinschaft pflegte Verbindungen zum NSU. Ihr Chef Jens Bauer unterstützte den Terrorhelfer Ralf Wohlleben. Diesmal sammelte Bauer Spenden ein und verteilte Ansteckschleifen in den Stadtfarben Dresdens.
Die Rechtsextremen verwenden die Bombardierung, um den Massenmord an den Juden zu relativieren. Sie bezeichnen die teilweise Zerstörung Dresdens als „Bombenholocaust“ und „Bombenterror“. Beide Begriffe gehören zum rhetorischen Standard der NPD- und Kameradschaftsszene. Die AfD bezeichnet die Bombardierung ebenfalls seit Jahren als „Terror“ – das Wort stand 2020 und auch dieses Jahr auf Gedenkkränzen der Partei.
Unterstützung von AfD und Querdenken
Die AfD in Sachsen gilt als einer der rechtesten Landesverbände. Die vom Verfassungsschutz beobachtete Gruppierung Der Flügel ist in diesem Bundesland besonders stark vertreten. Mehrere Abgeordnete, die dem rechtsextremen Flügel zugeordnet werden, nahmen an der Gedenkveranstaltung auf dem Altmarkt teil. Ein Teilnehmer trug einen Mundschutz mit der Aufschrift „Maske macht frei“, in Anlehnung an die Aufschrift des Tors des Konzentrationslagers Auschwitz „Arbeit macht frei“.
In diesem Jahr konnte die rechte Szene auf Unterstützung aus Reihen der Querdenken-Bewegung setzen, die sich im vergangenen Jahr im Widerstand gegen Corona-Schutzmaßnahmen formiert hatte. Denn Neonazis haben Geschichtsrevisionismus nicht für sich gepachtet, er ist auch ein integraler Bestandteil der Bewegung, die regelmäßig die Pandemie leugnet. Immer wieder tauchen Teilnehmer auf Corona-Demonstrationen auf, die sich einen gelben Stern anheften und so mit Holocaust-Opfern gleichsetzen. Sie pflegen Kontakte zu Figuren wie dem rechtsextremen YouTuber Nikolai Nerling, der ebenfalls in Dresden mitmarschierte.
Querdenken verbreitete in ihren Telegram-Gruppen ebenfalls Aufrufe, am 13. Februar nach Dresden zu kommen. In einer Unterstützergruppe des Verschwörungsideologen und Musikers Xavier Naidoo nannte der Administrator die Zerstörung Dresdens ganz im Sinne der neonazistischen Geschichtsklitterer „Bombenholocaust“. Auch ein Teil der AfD rechnet sich den Querdenkern zu. Der sächsische AfD-Bundestagsabgeordnete Karsten Hilse bekannte sich mehrfach zu der Bewegung.
Zupass kommt den Relativierern eine Äußerung des neuen US-Präsidenten Joe Biden. Dieser hatte kürzlich in einem Statement von nur 2.500 Opfern gesprochen – offenkundig aus Versehen. Die Szene der verschwörungsgläubigen QAnon-Bewegung und Querdenken-Anhänger stiegen darauf ein.
Mit Strategien wie diesen häufen Geschichtsvergessene fleißig Scheinargumente an, flankiert von den neuen Unterstützern aus dem Widerstand gegen Corona-Maßnahmen. Mit derlei Schützenhilfe erreichen die Behauptungen der rechtsextremen Szene ein wesentlich größeres Publikum als vor der Pandemie – und werden wohl auch künftig zu hören sein, wenn in Dresden der Bombenopfer gedacht wird.