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Wenn sich Neonazis als Sozialarbeiter tarnen

 

Mit Angeboten für Kinder und Jugendliche will die rechtsextreme Partei Der III. Weg Nachwuchs gewinnen. Experten warnen auch vor einem erhöhten Gewaltpotenzial.

Von Johannes Hartl

Ein Anhänger des III. Wegs bei einer Demonstration im Mai 2019 in Plauen © dpa/Sebastian Willnow

Ein Samstag im August. Irgendwo im sächsischen Vogtland bricht eine Gruppe aus Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen zu einer Wanderung auf. Ein Video zeigt, wie die Tour durchs Grüne und durch Waldlandschaften führt. Besonders für die jüngsten Teilnehmer wird einiges geboten: Die Erwachsenen zeigen ihnen, wie man ein Feuer macht und ein Lager baut.

Verträumte Pfadfinderromantik, so wirken die Bilder des Ausflugs. Tatsächlich steckt dahinter Erziehung im Geiste des Rechtsextremismus. Veranstalter des sogenannten Jugendtags ist die Neonazipartei Der III. Weg. Deren Anhänger veröffentlichten den Propagandafilm im Internet – mit offensichtlichem Ziel: Die Partei soll als Kümmerer gelten, als die einzige politische Kraft mit echtem Interesse für die Belange der Jungen. Mit seiner Arbeit nimmt der III. Weg immer häufiger Kinder und Jugendliche ins Visier.

Hausaufgabenhilfe und Selbstverteidigungskurse

Die 2013 gegründete Partei versteht sich selbst als rechte Eliteorganisation, bestehend aus bundesweit rund 500 bis 600 Mitgliedern. Ihre Politik orientiert sich an einem sogenannten Drei-Säulen-Konzept, aufgegliedert in den politischen Kampf, den kulturellen Kampf und den Kampf um die Gemeinschaft. Letzterer ist für die Parteikader offensichtlich voll im Gange: Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit betreibt Der III. Weg inzwischen ein breit gefächertes Angebot speziell für Kinder und Jugendliche.

Dabei vermischen sich Beisammensein und Politik: Der Jugendtag mit Wanderung etwa endete mit einem Kochkurs im Parteibüro des III. Wegs im sächsischen Plauen. Auf dem Tisch steht Nudelsalat, in der Ecke ein Plakat mit der Aufschrift „Grenzen dicht! Asylflut stoppen!“. Hier finden auch andere Angebote für junge Menschen statt. Wie früher die NPD bieten Parteimitglieder eine Hausaufgabenbetreuung an, dazu gibt es Geschenkaktionen zu Weihnachten, eine Schultütenausgabe oder ein Jugendtreffen. Seit vergangenem Jahr gehören auch Selbstverteidigungskurse für Kinder zum Repertoire.

In Neonazishirts zum Sportabzeichen

Ein Großteil konzentriert sich bislang auf Plauen. Als Hochburg der militanten Neonazis hat die Stadt im Vogtland eine Sonderstellung. Doch auch im benachbarten Thüringen ist die Partei aktiv. Den Neonazis gelang dort sogar ein kleiner PR-Coup, als sie im Juni drei Kinder in Erfurt zum Sportabzeichen schicken konnten, gekleidet in einheitlichen T-Shirts der Partei.

Christoph Lammert beobachtet diese Entwicklung mit Besorgnis. Für die Mobile Beratung in Thüringen (MOBIT) hat er die Umtriebe der Partei im Blick. Im Erfurter Stadtteil Herrenberg hat sie ihren Sitz in einer Immobilie. Auch dort gibt es laut MOBIT Selbstverteidigungskurse für Kinder und Jugendliche. „Hier besteht die große Gefahr, dass die Szene über diese Wege Nachwuchs rekrutieren kann“, warnt Lammert. „Oft nehmen dann Propaganda und auch Gewalt weiter zu, gerade wenn extrem rechte Jugendliche durch Kampfsport auch noch für den Straßenkampf trainiert werden.“

Neonazis: Großes Potenzial in Plauen: Demonstrationsteilnehmer der Partei ziehen am Ersten Mai dieses Jahres durch die sächsische Stadt. © dpa/Sebastian Willnow
Großes Potenzial in Plauen: Demonstrationsteilnehmer der Partei ziehen am Ersten Mai dieses Jahres durch die sächsische Stadt. © dpa/Sebastian Willnow

Der III. Weg selbst stellt seine Angebote dagegen als eine Form von Sozialarbeit dar. „Spiel- und Fußballplätze verrotten und immer mehr Jugendclubs und soziale Einrichtungen schließen oder verkleinern ihr Angebot“, schrieb Der III. Weg in einer Mitteilung, als Anfang des Jahres die Arbeitsgruppe Jugend gegründet wurde. Von fehlender Perspektive ist da die Rede und von der Sorge, dass eine „steigende Suchtproblematik“ junge Menschen auf die „schiefe Bahn“ führe.

„Geblendet von diesem System“

Andere Äußerungen legen nahe, dass hinter dem Engagement keineswegs nur selbstlose Mitmenschlichkeit steckt. Kurze Zeit nach dem Jugendtag mit Wanderung im Vogtland erschien ein Videointerview, um die Arbeitsgruppe Jugend der Öffentlichkeit vorzustellen. Der 20-jährige Neonazi Max-Joseph Matthieß sagte: „Wenn man einmal schaut, wer uns so auf Kundgebungen oder Demonstrationen von uns gegenübersteht, dann sieht man ja doch, dass das häufig sehr, sehr junge Menschen sind, die sehr geblendet sind von diesem System, von dieser Erziehung, die sie seit über 70 Jahren genießen.“ Es bleibe der Partei gar nichts anderes übrig, als junge Menschen einzubinden.

Mehr noch: Die Jugend müsse „immer vorangehen“, sagte Matthieß. Sätze, die zur Revolutionsrhetorik und zum militanten Auftreten des III. Wegs passen. Der Verfassungsschutz attestiert dem Parteiprogramm Schnittmengen zu jenem der NSDAP.

Nun könnten selbst die Jüngsten mit der Ideologie des III. Wegs in Kontakt kommen. „Die Jugendarbeit ist immens wichtig“, sagte Neonazi Matthieß. Aus Sicht der Partei völlig korrekt – aus der Perspektive von Beobachtern hochgefährlich. MOBIT-Mitarbeiter Christoph Lammert sagt: „Nach einem Aufwachsen in der Neonaziszene ist es schwer, Kinder wieder aus diesen Kreisen rauszuholen.“