Der Chef der konservativen WerteUnion steht AfD und Querdenken nahe. Zudem pflegt er Kontakte zu einem Netzwerk von Verschwörungstheoretikern aus der Finanzbranche.
Von Dominik Lenze
Für einen Ökonomen hat Max Otte, der neue Vorsitzende des CDU-Netzwerks WerteUnion, ein ungewöhnliches Faible für Protestmusik: Auf seinem YouTube-Kanal covert er Klassiker wie Marius Müller-Westernhagens Grüß mir die Genossen. Das Lied handelt von Hausdurchsuchungen bei Linken in den Siebzigerjahren. In Ottes Version sind die besungenen “Genossen” allerdings Rechtsradikale wie der Identitäre Martin Sellner und der zeitweise vom Verfassungsschutz beobachtete AfD-Politiker Petr Bystron.
Inzwischen tritt Otte selber als Protestsänger auf – und zwar bei der Querdenken-Bewegung. Ende April sprach er auf einer Demonstration in Aachen und spielte ein Trinklied auf seiner Gitarre. Auf der Bühne sagte er: “Wir sind nicht in der Opposition, wir sind im Widerstand. (…) Und Widerstand ist nicht immer lustig.” Ein bemerkenswerter Ausspruch für ein Mitglied der Regierungspartei CDU.
Der Fondsmanager, der sich auch mit Büchern über einen angeblich nahenden Wirtschaftskollaps einen Namen gemacht hat, ist seit Mai Vorsitzender der WerteUnion, einem umstrittenen Verein am rechten Rand der Union, der sich für kompromisslos konservative Positionen innerhalb der Parteien stark macht und nach eigenen Angaben etwa 4.000 Mitglieder zählt. Die ideologische Ausrichtung der Gruppe ist brisant, nicht erst, seit Anfang Juni bekannt wurde, dass Ottes Stellvertreter Klaus Dageförde in den Achtzigerjahren Verbindungen in die militante Neonaziszene unterhielt.
Rechtes Zweckbündnis
Anführer Otte war bis Januar dieses Jahres noch im Vorstand der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. Und als Ausrichter des Neuen Hambacher Festes hat er ein Vernetzungstreffen für Neurechte und Rassisten von Thilo Sarrazin bis Jörg Meuthen geschaffen. Doch Otte pflegt nicht nur zur Neuen Rechten und zu Querdenken Kontakte, sondern vor allen Dingen zu einem Netzwerk radikaler Neoliberaler. Sie bezeichnen sich selbst als “Anarchokapitalisten” oder “Libertäre”, hegen Fantasien vom Umsturz und verbreiten Verschwörungstheorien über Themen wie Corona und Klimawandel.
Der Soziologe Andreas Kemper hat sich lange mit der Ideologie dieser selbst ernannten Freiheitskämpfer beschäftigt. Radikale Libertäre wie Krall betrachtet er als eine eigenständige Form von Extremisten: “Sie wollen den Staat abschaffen, damit alles nur noch durch Unternehmen geregelt wird”, sagt er. “Alles, was den freien Markt einschränkt – ob Arbeitnehmerrechte, Lockdown oder Klimapolitik –, ist aus libertärer Sicht Sozialismus”, sagt Kemper. Es sei eine andere Ideologie als die von Rechtsradikalen wie Björn Höcke: “Die einen wollen einen völkisch-autoritären Staat, die anderen den Staat abschaffen – aber beide sind Demokratiefeinde und arbeiten auf den Umsturz hin”, meint Kemper. Dafür würden Rechte und Libertäre ein Zweckbündnis eingehen.
Ein prominentes Beispiel ist die Klimawandel-Leugnerin Naomi Seibt: Sie verbreitet Lügen über den menschgemachten Klimawandel, zudem sucht sie immer wieder die Nähe von Rechtsextremisten. Ihre politische Heimat sind die libertären Hayek-Clubs: Als sie 2018 von einem dieser Clubs einen Preis überreicht bekam, hielt Max Otte eine Rede. Mit dem ehemaligen Investmentbanker Thorsten Schulte, inzwischen ein bekanntes Gesicht der Querdenker-Szene, ist Otte nach eigenen Angaben 2015 das erste Mal demonstrieren gegangen – gegen die angeblich drohende Abschaffung des Bargelds.
Verschwörung trifft Finanzberatung
Der libertäre Ökonom Markus Krall, ein guter Bekannter von Otte, spricht ganz offen über seine Träume vom Umsturz: In seinem Buch Die Bürgerliche Revolution von 2020 sieht Krall einen angeblich nahenden Wirtschaftscrash als Chance für den Umsturz. Konkret wünscht er sich ein Wahlrecht nur für “Leistungsträger”: “Nur der, der einzahlt ins System, darf wählen”, sagte er vergangenes Jahr auf einer Veranstaltung der AfD in Sachsen. Krall ist Chef des Goldhändlers Degussa. Die Firma war nach Recherchen des Spiegels und der Schweizer Wochenzeitung WOZ maßgeblich an der Finanzierung der AfD beteiligt. WerteUnion-Chef Otte sieht sich selbst zwar nicht als “Liberalen” wie Krall, für ihn ist der 58-Jährige aber dennoch ein “aufrechter und mutiger Mitstreiter für die Freiheit”.
Die Verschwörungserzählung vom Great Reset, die einen “Klima-Sozialismus” heraufdämmern sieht, kommt für neoliberale Crashpropheten wie Krall und Otte wie gerufen. In ihren Kanälen vermischen sich Verschwörungserzählung und Finanzberatung: “Der Great Reset wird auch für den BRD-Steuerzahler teuer”, meint zum Beispiel Markus Krall zu wissen. Auch Otte spricht in den letzten Monaten häufig vom angeblich nahenden Wirtschaftsneustart – mit YouTubern aus dem Dunstkreis von Querdenken oder auf seinen eigenen Kanälen. Soziologe Kemper sieht darin eine Strategie: “Es geht darum, die Menschen aus den Corona-Protesten zu mobilisieren.”
Auf die Frage nach seinem Verhältnis zu Markus Krall und Querdenken teilt Otte auf Anfrage mit, dass man als “Demokrat mit jedem redet, ohne deshalb seine Ansichten zu teilen”. Kralls Vision einer bürgerlichen Revolution teile er nicht. Und anders als seine Musikvideos nahelegen, sehe er Martin Sellner und Konsorten nicht als Widerstandskämpfer: “Noch leben wir in keiner Diktatur und ich hoffe, dass das so bleibt.”
“Großartig, dass es Querdenken gibt”
Im Gespräch mit dem rechten Onlineportal Tichys Einblick hatte Otte zu Beginn der Pandemie noch bedauert: “Die Masse derjenigen, die die bürgerliche Revolution durchführen könnten, wird ja immer kleiner.” Wenige Wochen später suchte er den Kontakt zu der noch jungen Querdenken-Bewegung: Im Mai 2020 sagte er als Redner auf einer Demonstration in Darmstadt, er finde es “großartig”, dass es nun Querdenken gebe. In Aachen bekräftigte er im April dieses Jahres seine Unterstützung für die verschwörungsgläubige Bewegung: “Querdenken braucht jede Gesellschaft und wir werden weiter querdenken.”
Die offensiven Flirts mit dem rechten und verschwörerischen Milieu haben Otte und seine WerteUnion innerhalb der Union mittlerweile an den Rand gedrängt – auch wenn der unlängst beteuerte, er sei “felsenfest und bombenfest CDU-Mitglied”. Die Umtriebe des erzkonservativen Flügels haben dennoch Potenzial, der Union zu schaden. So bemühte sich CDU-Chef Armin Laschet Anfang des Monats um größtmögliche Abgrenzung. Die WerteUnion, sagte er, habe “mit der CDU nichts zu tun”.
Korrekturhinweis: In einer früheren Version hieß es, der Soziologe Andreas Kemper lehre in Münster und Berlin, das ist falsch, wir haben das korrigiert.