– eine kurze Analyse.
Die Wahl zur Hamburger Bürgerschaft liegt nun einige Tage zurück. Wie zu erwarten war, hat die NPD dabei äußerst schlecht abgeschnitten. Auch sonst fällt der leibhaftige Neonazi in Hamburg kaum ins Auge. Ist es also Zeit zur Entwarnung? Eher nicht: die rechte Szene hat sich in der multikulturellen Metropole nur angepasst. In Erscheinung tritt sie trotzdem.Noch einmal zurück zur Wahl. Dass die NPD an der 5%-Hürde scheitern und nicht in die Bürgerschaft einziehen wird, war den Hamburger Neonazis um Thomas Wulff, Jan-Steffen Holthusen und Torben Klebe von vorne herein klar; auch die 3%-Hürde, die für den Einzug in eine Bezirksversammlung nötig sind, wurde nicht annähernd erreicht. Erfreulich ist, dass die NPD mit 0,9% auch von der staatlichen Wahlkampfkostenerstattung ausgeschlossen ist – sie bleibt damit auf den geschätzten 100.000 EUR sitzen, die sie sich zuvor vom Altnazi Rolf Hanno spenden ließ.
Mit den beiden Wahlkampfkundgebungen Ende Januar und Mitte Februar 2011 zeigte sich die NPD als ein kleines verschüchtertes Häufchen, die ihr Vorhaben unter Buhrufen und Gegenkundgebungen trotzig durchzog. Fast hätte man meinen können, die Hamburger NPD inszeniert ihr Aufmärschchen nur, um Polizei, Medien und Antifa einen Vorwand zu liefern, mal wieder auf die Straße zu gehen. Erstaunlich war auch, dass als einziger Thomas Wulff in der Öffentlichkeit auftrat. Sei es in Wahlspots oder als Redner – Wulff ist weder Mitglied im Hamburger NPD-Landesvorstand, noch hat er bei der Bürgerschaftwahl kandidiert. Vom Spitzenkandidaten hingegen – Torben Klebe – hörte man gar nichts. Er durfte gerade mal das Banner halten.
Laut Verfassungsschutz ist der Wiedereintritt des bundesweit agierenden Neonazi Wulff in die rechtsextreme Szene Hamburgs nicht sonderlich geglückt. Zwar hat er als einziger die nötige Portion Charisma, um die Lücke zu schließen, die sich durch den Tod Jürgen Riegers aufgetan hat. Wulff hätte das Zeug zur Integrationsfigur. Auch ist er einer der wenigen Hamburger Rechtsextremisten, der mit einem Mikrophon umgehen kann. Zugleich aber verprellt er durch sein plumpes und egozentrisches Auftreten diejenigen, die in der Hansestadt bisher für die rechte Sache geschuftet haben. Mit dem misslungenen Wahlkampf, als dessen Koordinator sich Wulff profilieren wollte, hat er nicht eben Punkte gesammelt. Ist also das seltsame Erscheinungsbild der NPD vor der Bürgerschaftwahl Ausdruck dieses Konflikts? Dessen Ausgang wird sich spätestens zeigen, wenn der nächste NPD-Landesvorstand bestimmt wird. Entweder setzt Wulff sich gegen Klebe, Holthusen und andere durch, oder er kehrt der Partei den Rücken – zumindest seinem Hamburger Ableger.
Wulff kommt allerdings zugute, dass er seit einigen Jahren als Bindeglied zwischen den freien Kameradschaften und der NPD gilt. Zudem ist er ein Apologet Jürgen Riegers und mit seiner obligatorischen Kappe, dem Trenchcoat und seinem Vorstrafenregister der Vorzeige-Neonazi schlechthin.
Überaus munter erscheinen im Moment eher die freien Kameradschaften in Hamburg. Für ihre Aktionen braucht man keine Anmeldungen, weder Infostände noch Kundgebungen. Es waren andere, unorthodoxere Methoden, über die sie auf ihrer Website berichteten: stichpunktartige Flugblatt-Aktionen in der Nähe anderer Parteien, Lautsprecher-Beschallung vom fahrenden Auto aus oder ein Auftritt als Nikolaus, der Kindern Süßigkeiten und den Eltern rechte Ideologie näherbringt. Bei diesen Aktionsformen entziehen sich die Rechtsextremisten einmal der staatlichen Kontrolle, zum anderen – und das ist wahrscheinlich wichtiger – den Gegenaktionen der Antifa. Rechnet man die NPD-infostände und-Kundgebungen sowie die kleineren Aktionen der Kameradschaften zusammen, so verging in der jüngeren Vergangenheit kaum eine Woche, in der die rechtsextreme Szene nicht irgendwo in Hamburg öffentlich auftrat.
Darüber hinaus trifft man im gesamten Stadtgebiet auf Aufkleber, die für alle sichtbar rechtsextreme Positionen verbreiten. Vereinzelt stößt man auf rechtsextreme Schmierereien. Im vergangenen Jahr wurden dadurch mehrmals gezielt Erinnerungsorte für die Opfer von NS-Verbrechen beschädigt, u.a. das Mahnmal in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, das an die Ermordung von über 50.000 Menschen erinnert. Es geht dabei um mehr als den Transport rechter Standpunkte. Die Täter markieren ihre Präsenz an den jeweiligen Orten. Das Signal lautet: Wir sind hier, und wir sind aktiv.
Gerade weil es den Neonazis in Hamburg schwer fällt, öffentliche Räume dauerhaft zu dominieren, haben sie eine Struktur der engen gegenseitigen Vernetzung und der stichpunktartigen Aktionen herausgebildet, mit der sie trotz allen Widerstands sichtbar sind. Darüber hinaus werden aus dem rechtsextremen Dunstkreis in Hamburg eine steigende Zahl an Straftaten begangen, darunter etliche Gewalttaten. mit seinen polizeilich registrierten rechtsextremistischen Gewalttaten lag Hamburg 2009 auf Platz eins unter den Stadtstaaten und auf Platz zwei der West-Bundesländer (bezogen auf seine Einwohnerzahl). Weil aber nur wenige Übergriffe überhaupt zur Anzeige gebracht werden, kann man von einer vielfach höheren Dunkelziffer ausgehen. Hamburgerinnen und Hamburger, die potentiell zu Zielen der Rechten werden können – Obdachlose, Flüchtlinge, Menschen mit dunkler Hautfarbe, Muslime – teilen die Erfahrung, alltäglichen Angriffen ausgesetzt zu sein, die von dummen Sprüchen über Diskriminierungen bis hin zu körperlichen Attacken reichen.
Es scheint in Hamburg also zwei völlig unterschiedliche Ebenen des Phänomens zu geben: einerseits der offensichtliche, politisch organisierte Rechtextremismus; andererseits ein diffuser Zusammenhang rechtsextremer (oder zumindest rassistischer) Praktiken. Während die erstere derzeit einen eher erbärmlichen Eindruck macht, ist die Zweitere in ihren Ausmaßen kaum einschätzbar. Es ist anscheinend der diffuse Rechtsextremismus, der – mit Verweis auf die Zahl der rechten Straftaten und die Alltagserfahrung potentieller Opfer – ein großes Problem für Hamburg darstellt.
Dank einer engagierten Zivilgesellschaft und aufgrund ihrer eigenen Unfähigkeit, in bürgerliche Lebenswelten vorzudringen, bleibt die Hamburger NPD eine Partei, die auf den kleinen Kreis neonazistischer Subkultur beschränkt ist.
Dagegen hat der diffuse Rechtsextremismus seine politische Entsprechung in der Vergangenheit eher im Rechtspopulisten Ronald Schill, zuvor in der DVU und bei den „Republikanern“ gefunden. Es sei daran erinnert, dass Schill 19,4% der Stimmen bei der Bürgerschaftswahl 2001 bekam, bei der Wahl 1997 erhielten DVU und „Republikaner“ zusammen 6,7%. Das entspricht in etwa dem 7%-Anteil an der westdeutschen Bevölkerung, die laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung ein geschlossen rechtsextremes Weltbild haben. Für Hamburg liegen solche Zahlen nicht vor, es spricht aber einiges dafür, dass sich die Hansestadt nicht wesentlich vom Rest der Republik unterscheidet.
Man kann also davon ausgehen, dass sich rechtsextreme Hamburger Bürgerinnen und Bürger nur zu einem kleinen Teil von der NPD repräsentiert sehen. Sie machen dem Ressentiment in ihrem Alltag Luft. Es scheint daher nur eine Frage der Zeit, dass sich rechtsextreme, rassistische oder sonstwie ressentimentgeladene Strömungen in einer entsprechenden Partei wiederfinden. In Hamburg wird es die NPD auf absehbare Zeit nicht sein. Man sollte aber nicht unterschätzen, dass in anderen Teilen Deutschlands – zuweilen keine 100 km von Hamburg entfernt – die NPD gerade dabei ist, sich als ernstzunehmender politischer Akteur zu etablieren. Entweder schwappt diese Entwicklung irgendwann auf Hamburg über, oder es findet sich ein neues rechtspopulistisches Angebot. Beide Varianten verheißen nichts Gutes.