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Das Prinzip Gartenstuhl

Es gibt nichts, was ich besser kann als improvisieren und Lösungen finden. „Geht nicht, gibts nicht“, hat meine Oma immer gesagt und so überlege ich mir immer, wie etwas doch gehen könnte statt zu verzweifeln, wenn es etwas nicht so klappt, wie ich mir das vorgestellt habe. Mein Hotelzimmer ist gerade so ein Fall.

Das Hotel hat ein vorbildlich barrierefreies Zimmer. Einziger Haken: Es ist ein Raucherzimmer. Wie man als Hotel ein barrierefreies Zimmer ausgerechnet als Raucherzimmer auslegen kann, wenn man nur eines hat, wird mir immer ein Rätsel bleiben, aber es ist so. Ein barrierefreies Nichtraucherzimmer gibt es nicht.

Rauchende Nachbarn

Als ich ankam, sagte man mir, es sei seit drei Monaten nicht mehr bewohnt gewesen, man habe gut gelüftet und tatsächlich, in der ersten Nacht roch es auch kaum nach Rauch in dem Zimmer – bis die Nachbarn einzogen, die offensichtlich Raucher sind. Und so zog deren Qualm über die Klimaanlage schön erst ins Bad und dann ins Zimmer selbst.

Also fragte ich an der Rezeption, ob ich mal ihre nicht barrierefreien Zimmer ansehen könne. Wenn das Bad groß genug ist, komme ich oft auch so zurecht. Man sagte mir, man habe sogar freie Appartements. Ich könne eines zum gleichen Preis haben. Diese sind größer als die regulären Zimmer. Und ja, das Zimmer war in der Tat völlig in Ordnung für mich. Ich kam sogar ins Bad. Das einzige Problem: Es gab keine Griffe an der Toilette, was für mich als Rollstuhlfahrerin das Umsteigen schwieriger macht. Aber das war ich bereit zu akzeptieren, um dafür nicht eingeräuchert zu werden.

Kein Duschstuhl

Das zweite Problem war schwerwiegender: Es gab keinen Duschstuhl. Der Duschstuhl im barrierefreien Zimmer war fest montiert. Ich kann ja nicht stehen. Also brauche ich einen Stuhl in der Dusche. Den eigenen Rollstuhl mit in die Dusche zu nehmen, ist nicht so toll. Die Sitzbespannung wird nass, trocknet schlecht und für den Rollstuhl insgesamt ist das auch nicht gerade lebensverlängernd.

Nun stehe ich nicht zum ersten Mal vor diesem Problem. Ich fragte also das Hotelpersonal, ob sie mir einen Hocker oder einen wetterfesten Gartenstuhl besorgen könnten. Die meisten Hotels haben irgendwelche Grünflächen. Und für diese gibt es meistens auch Stühle, die wetterfest sind und denen eine Dusche nichts ausmacht. Man sah sich etwas ratlos an, aber dann gingen zwei Mitarbeiter auf die Suche in den Kellerräumen des Hotels. Und tatsächlich, man fand einen Stuhl. Zwar nicht sehr bequem aber dennoch für die Zwecke ausreichend. Ich legte ein Handtuch darüber und schon hatte ich eine für mich nutzbare Dusche.

Lösung Gartenstuhl

Nur die Rezeptionistin hatte Bedenken. Ob ich sicher sei, dass das nicht gefährlich ist. Deshalb gebe es ja barrierefreie Zimmer. Ich musste etwas schmunzeln. Wenn sie wüsste, wie die Zimmer ihrer Konkurrenz teilweise aussehen. Da ist eine Gartenstuhllösung schon fast elegant.

Gartenstuhl

Selbst in als barrierefrei ausgewiesenen Zimmern kommt es vor, dass man den Duschstuhl einfach vergessen hat. Und so versicherte ich ihr, dass ich vermutlich tausende Nächte meines Lebens in Hotels verbracht habe und gewohnt bin, auf Gartenstühle und andere provisorische Lösungen auszuweichen. Das hat sie dann doch überzeugt und ich durfte mit meinem Gartenstuhl dort weiter wohnen. Ganz rauchfrei.

Inklusion funktioniert übrigens auch in vielen anderen Bereichen ganz genauso wie meine Gartenstuhllösung. Man muss einfach schauen, wie etwas dennoch funktionieren kann statt nichts zu tun und mit den Schultern zu zucken – das Prinzip Gartenstuhl funktioniert öfter als man glaubt.

 

„Die Entdeckung der Unendlichkeit“

Eddie Redmayne hat den britischen Filmpreis BAFTA für seine Rolle im Film „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ bekommen. Er spielt den weltberühmten Physiker Stephen Hawking. Der Film zeigt die ersten Jahre Hawkings an der Universität Cambridge. Er zeigt auch die ersten Anzeichen von ALS, einer unheilbaren Nervenerkrankung, durch die Hawking erst einen Rollstuhl braucht, dann auch einen Sprachcomputer nutzt, um zu kommunizieren. Aber auch von Hawkings Familie handelt der Film, nicht zuletzt von seiner Frau Jane. Ihre Autobiografie war Grundlage für den Film.

In ihren Memoiren Die Liebe hat elf Dimensionen: Mein Leben mit Stephen Hawking beschreibt sie, wie sie ihn Anfang der sechziger Jahre an der Uni kennenlernt, als beide noch Studenten waren. Kurz darauf wird bei Hawking ALS festgestellt. Hawking habe nur noch zwei Jahre zu leben, sagen ihm die Ärzte.

Gespräche und Recherche zu ALS

Redmayne spielt die Rolle von Stephen Hawking großartig. Der BAFTA ist absolut verdient – obwohl ich eigentlich lieber behinderte Schauspieler in der Rolle von behinderten Menschen sehe. Aber ALS verläuft nun einmal fortschreitend, was es schwierig macht, die Rolle mit einem behinderten Schauspieler zu besetzen. Möglich wäre es dank Maskenbildnern dennoch.

Die Kritiker fanden vor allem überzeugend, wie glaubwürdig Redmayne die Krankheit ALS zeigte. Dafür hatte er sich mit Menschen, die ALS haben, getroffen und umfangreich recherchiert. Ich fand seine Darstellung manchmal ein wenig überzeichnet, aber nie massiv störend. Dennoch sah man mit geübten Augen an einigen Stellen, dass ein nicht behinderter Schauspieler eben schauspielert.

Was mir an dem Film hingegen gut gefallen hat, war die Darstellung von Behinderung, ohne ins Schmierige abzurutschen und Mitleidseffekte mitzunehmen. Im Gegenteil, der Film zeigt so pragmatische Dinge wie die Organisation der Assistenz, die mangelnde Barrierefreiheit der Uni. Sogar das Thema Sexualität kommt zur Sprache, denn das Umfeld der Familie Hawking war sichtlich überrascht, dass dieser trotz starker Behinderung drei Kinder zeugen konnte.

Nur einmal kitschig

Nur eine Szene gefiel mir nicht: Als Hawking sich vorstellt, dass er aufstehen kann und einer Zuhörerin in der ersten Reihe den Stift aufhebt, der ihr heruntergefallen ist. Das war mir zu kitschig und unnötig.

In den britischen Medien wurde nicht zuletzt das Thema Sexualität und Behinderung diskutiert. So hat Hawking nicht nur wichtige Pionierarbeit im Bereich der Physik geleistet, sondern indirekt offensichtlich auch in diesem Bereich. Ich musste etwas schmunzeln, als ich den ein oder anderen Kommentar gelesen habe. Die pure Information, dass jemand wie Hawking nicht enthaltsam lebt oder leben muss, scheint für so manchen Filmkritiker neu gewesen zu sein.

Ich fand einen anderen Aspekt viel interessanter: Hawkings Frau hat ihre Karriere aufgegeben, um sich um ihren Mann zu kümmern. Das wurde damals wohl als selbstverständlich angesehen. Er hingegen machte eine steile Karriere, weil er einfach so gut war, dass seine Genialität die Behinderung überlagerte. Er kämpfte mit den Stufen an der ehrwürdigen Uni, tat sich zunehmend schwerer damit, Vorträge zu halten und dennoch zählte am Ende eines: sein Können.

Als Hawking gar nicht mehr sprechen kann, hilft ihm ein Sprachcomputer, zu kommunizieren und Vorträge zu halten. Er schreibt einen Bestseller mit dem Computer und seiner Eingabesoftware. Das fand ich eine der wichtigsten Botschaften des Films: Wer kommunizieren kann, kann die Welt verändern. Dafür muss man unter Umständen die Möglichkeiten schaffen, aber am Ende geht es eben doch. Der Film zeigt, was mit Behinderung möglich ist und bejammert nicht, was angeblich nicht geht.

 

Hupende Mütter

Diese Woche war es wieder so weit. Ich habe eine Mutter aufgehalten. Sie war auf dem Weg, ihr Kind zur Schule zu bringen. Für rund 30 Sekunden etwa musste sie warten, bis ich meinen Rollstuhl ins Auto geladen hatte. Die Reaktion dieser Frau und der anderen, mit denen ich ähnliche Erlebnisse hatte, lässt mich erahnen, dass dieser Schulweg keineswegs nur ein Weg ist, sondern für diese Eltern ist es so etwas wie eine Mission. Anders ist ihr Verhalten nicht zu erklären. Denn anstatt einfach kurz zu warten, bis mein Rollstuhl verladen ist, hupen sie mich an und glauben wohl ernsthaft, ich steige davon schneller in mein Auto ein.

Ich gebe zu, das ist nicht das erste Mal, dass ich eine Mutter auf ihrer Mission behindert habe. Ich lade öfter meinen Rollstuhl ins Auto ein. Auch zu Zeiten, wenn Mütter ihre Kinder zur Schule bringen – mit Vätern auf dem Schulweg hatte ich dieses Erlebnis bislang noch nicht. Und weil ich in einer kleinen Straße mit vielen Anwohnerparkplätzen wohne und diese verkehrsberuhigt ist, passt kein Auto an meinem Auto vorbei, wenn ich meinen Rollstuhl einlade, solange die Fahrertür offen ist. 30 Sekunden dauert das etwa. Ich setze mich auf den Fahrersitz und ziehe den Rollstuhl hinter mir rein. Fertig.

Tolle Vorbilder

Für die Mütter auf dem Weg in die zwei Straßen weiter entfernte Grundschule bedeutet das, ihr ach so toller Plan, durchs Wohngebiet zu brettern statt die Hauptstraße zu nutzen, geht nicht auf. Das Kind kommt 30 Sekunden später als geplant an. Vermutlich sind sie eh schon zu spät. Panik. Und was macht man dann mit all diesem Stress? Man stellt sich hinter mich und hupt. Und das ist mir nicht nur einmal passiert. Die Mutter, die mich diese Woche anhupte, war bereits Mutter Nummer Vier in den vergangenen Monaten.

Die sehen genau, dass ich meinen Rollstuhl einlade und nicht aus Jux die Tür noch offenstehen habe. Als ob mein Rollstuhl davon schneller im Auto verschwinden würde, wenn sie mich anhupen. Manchmal wird auch geschrien. Ich rufe dann ab und zu zurück, wenn es mich zu arg nervt und erinnere sie dann gerne daran, was sie gerade für ein tolles Vorbild für ihre Kinder sind. Behinderte Straßenverkehrsteilnehmer einfach weghupen ist sicher eine prima Lektion, die man Kindern auf dem Schulweg so nebenbei erteilen kann.

Wie andere reagieren

Einmal standen zwei Autos hinter mir und warteten, dass ich den Rollstuhl eingeladen hatte. Im ersten saß eine Mutter mit ihren Kindern. Im zweiten ein Mann. Es dauerte nicht lange, da fing die Mutter an zu hupen, weil es ihr offenbar nicht schnell genug ging. In dem Moment öffnete sich die Fahrertür des Autos dahinter. Erst dachte ich, der Mann wolle mir jetzt auch noch persönlich sagen, wie doof er findet, dass ich da jetzt meinen Rollstuhl einlade und stellte mich schon mal auf eine unschöne Diskussion ein. Aber es kam anders. Der Mann stieg aus, ging zum Fahrerfenster der Frau und klopfte dagegen. Sie ließ das Fenster hinunter und er empörte sich lautstark darüber, wie sie hupen könne, wenn sie sehe, dass ich meinen Rollstuhl einlade. Sie solle stattdessen ihren Hintern aus dem Auto bewegen und fragen, ob sie mir helfen könne, wenn es ihr nicht schnell genug ginge.

In der Zwischenzeit hatte ich den Rollstuhl längst eingeladen. Die Autos konnten passieren. Auf meiner Höhe angekommen, blieb die Frau mit dem Auto stehen und zeigte mir an, ich solle mein Fenster herunterlassen. Das tat ich. Und siehe da, die Standpauke des Fahrers hinter ihr hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Sie entschuldigte sich bei mir für ihr unverschämtes Verhalten. Dem Fahrer dahinter habe ich, als er an mir vorbeifuhr, noch freundlich zugewunken und mich bedankt.

 

Partyvorbereitungen mit Hindernissen

Am vergangenen Wochenende war ich auf einer Party eingeladen. Das Geburtstagskind würde ich als Bekannte bezeichnen: Wir sind nicht eng befreundet, aber kennen uns, seit wir gemeinsam bei der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele 2012 in London mitgewirkt haben.

Die Einladung kam per Facebook, wie die meisten Partyeinladungen, die ich mittlerweile aus meinem Netzwerk bekomme. Ich sagte vor Wochen zu, ebenfalls per Facebook, und nahm mir vor, vorher abzuklären, ob die Bar überhaupt für mich zugänglich ist, also möglichst keine Stufen hat. Sowas muss ich immer vorher wissen, bevor ich zu so einer Party gehe. Schließlich will ich den Abend nicht vor der Tür verbringen.

Die Frage nach den Stufen

Natürlich hatte ich dann x andere Dinge zu tun, aber als ich am Tag vor der Party auf meinen Kalender schaute, fiel mir wieder ein, dass ich noch gar nicht wusste, ob ich da nun eigentlich auch hinkomme, wo ich hinwollte. Ich kannte die Bar nicht.

Als erstes schrieb ich also die Gastgeberin an und fragte sie, ob sie in besagter Bar schon einmal war. War sie nicht. Sie hatte den Tipp von Freunden erhalten. Aber die Bar war im Erdgeschoss, so viel wusste sie. Sie werde für mich anrufen und fragen. Das hätte ich natürlich auch selber machen können, aber sie bestand darauf.

Es ging aber niemand ans Telefon. Auch am nächsten Morgen nicht. Und so dachte ich für eine halbe Minute darüber nach, die Party sausen zu lassen.

Street View und Foursquare

Aber ich machte das, was mir in solchen Situationen schon oft geholfen hat: Ich bemühte Google Street View und Foursquare. Auf Google Street View sieht man oft die Hauseingänge und kann sich, wenn nicht gerade ein Lkw vor dem Haus steht, ein ganz gutes Bild vom Eingang machen. Foursquare ist ein soziales Netzwerk für Orte, bei dem die Nutzer teilweise Hunderte von Fotos zu einem Platz hinterlegen. Wenn man Glück hat, sieht man auch dort den Eingang.

Ich hatte Glück. Ich konnte erkennen, dass der Eingang zwar nicht stufenfrei war, aber die Stufen so klein waren, dass ich mit etwas Hilfe hineinkam. Und gleichzeitig hatte ich auch telefonisch Glück. Es nahm endlich jemand ab. Ich hatte dann doch selbst versucht, dort anzurufen.

Der Mensch am anderen Ende verstand erst meine Frage nicht – das ist so gut wie bei jedem dieser Anrufe so. Die Menschen rechnen nicht mit der Frage, ob sie Stufen vor der Tür haben, und verstehen sie dann beim ersten Mal nicht. Als er sie dann endlich verstanden hatte, war er skeptisch, ob ich dort wirklich hineinkäme, aber ich hatte schon die Bilder gesehen und beschloss daher, es zu versuchen.

Dort angekommen, war es viel einfacher als gedacht: Es gab zwei Türsteher, die mir sofort reinhalfen und auch später wieder hinaus. In weniger als 15 Sekunden war ich drin. Ich hätte mich geärgert, wäre ich nicht hingegangen, denn ich hatte wirklich einen schönen Abend.

Wenn ich von Freunden eingeladen werde, die mich besser kennen, ist das übrigens viel unkomplizierter. Sie reservieren Tische in barrierefreien Restaurants, buchen selbstverständlich einen Rollstuhlplatz für Konzerte, ohne dass ich darum bitten muss, checken vorher, ob etwas barrierefrei ist und sagen mir, ohne dass ich überhaupt frage, wie die bauliche Situation ist, damit ich entscheiden kann, ob ich mitkommen möchte oder nicht. All das ohne peinliche Diskussion, sondern es ist einfach normal.

 

Aus dem Kino geworfen

Richard Bridger ist aus einem Kino geworfen geworden. Der 31-Jährige hat Duchenne-Muskeldystrophie, eine Muskelerkrankung, die ausschließlich Männer betrifft. Die durchschnittliche Lebenserwartung für Menschen mit Duchenne beträgt 25 Jahre. Bei vielen lässt irgendwann auch die Lungenfunktion nach. Sie brauchen ein Beatmungsgerät. Und genau an diesem Gerät störten sich Kinogäste eines Kinos im englischen Epsom. Sie beschwerten sich über den jungen Mann, der den Actionfilm Taken 3 sehen wollte. Sie mochten das Geräusch des Beatmungsgerätes nicht. Statt die anderen Gäste umzusetzen oder sie darauf hinzuweisen, dass auch behinderte Menschen ein Recht darauf haben, ein Kino zu besuchen, forderten Kinomitarbeiter Richard Bridgers Assistenten auf, zu gehen. Mit ihm selber sprach man erst gar nicht. Erst nach einer Diskussion mit dem Manager des Kinos bekam Richard Bridger sein Eintrittsgeld zurück, nachdem er das Kino verlassen hatte.

Nicht lauter als Popcorn

Bis vor ein paar Jahren sah man Menschen mit einem Beatmungsgerät nur sehr selten in der Öffentlichkeit. Viele Geräte waren nicht transportabel. Das bedeutete, die Menschen konnten das Haus deshalb gar nicht verlassen. Das ist heute anders. Auch Menschen, die beatmet werden, können unter Umständen heute am normalen Leben teilnehmen, ins Kino gehen zum Beispiel. Ich kenne viele Menschen mit Beatmungsgerät, ich sitze oft in Meetings, in denen jemand mit Beatmungsgerät neben mir sitzt.

Ich habe mir sogar mal mit dem Hollywoodschauspieler Christopher Reeve einen Rollstuhlplatz geteilt in einem Theater, in dem es nur einen Rollstuhlplatz gab – er sollte einen Preis bekommen, ich sollte darüber berichten. Der Superman-Darsteller war seit einem Reitunfall hoch querschnittgelähmt und wurde mit einem Beatmungsgerät beatmet. Und dann kam es zu der etwas bizarren Situation, dass es für uns beide eigentlich nicht genug Platz in dem Theater gab. Aber natürlich wollte man keinen von uns wieder wegschicken und so saßen wir notgedrungen recht eng nebeneinander. Ich weiß also, wie sich Beatmungsgeräte anhören. Sie machen keine Geräusche, die bei einem Actionthriller wirklich störend wären. Nicht einmal bei einem Stummfilm, schätze ich. Man kann gut darüber hinweghören, wenn man das Gerät bei den Umgebungsgeräuschen überhaupt hört. Das sieht auch der Vater des Rollstuhlfahrers in Epsom so: „Das Gerät macht nicht mehr Lärm als wenn neben einem jemand Popcorn isst“, sagte er dem britischen Fernsehsender ITV. Daran stört sich im Kino sonst auch niemand.

Es geht nicht nur um Rampen

Der Fall zeigt ganz deutlich: Inklusion bedeutet nicht nur Rampen und Fahrstühle zu bauen. Es geht auch bis zu einem gewissen Maße darum, behinderungsbedingte Dinge, die man nicht ändern kann, hinzunehmen. Dazu gehört meines Erachtens auch, das Beatmungsgerät eines Gastes im Kino zu ertragen oder sich im Zweifelsfall umzusetzen. Die Lösung ist sicher nicht, einen Kinogast mit Beatmungsgerät des Kinos zu verweisen und zu sagen, er darf nur zu Vorstellungen kommen, die schlecht besucht sind, so wie es das Kino getan hat.

Die Kinokette, zu der das Kino gehört, hat sich unterdessen für das Verhalten ihrer Mitarbeiter entschuldigt. Richard Bridger sei jederzeit willkommen und könne den Film jetzt als Wiedergutmachung kostenlos sehen. Damit kommt das Kino übrigens recht preiswert davon. In ähnlichen Fällen werden in Großbritannien auch schon mal hohe vierstellige Schadenersatzzahlungen fällig, wenn dem Unternehmen Diskriminierung eines Kunden wegen seiner Behinderung nachgewiesen werden kann.

 

Die Sache mit der Fragerei

Es gibt wohl kaum eine Frage in meinem Leben, die ich so häufig beantwortet habe, wie die Frage „Warum sitzen Sie denn im Rollstuhl?“. Diese Frage kommt auch manchmal in Form von „Hatten Sie einen Unfall?“, „Sitzen Sie schon immer im Rollstuhl?“ oder auch „Was ist denn mit Ihnen?“ daher. Ich werde das in allen möglichen und unmöglichen Lebenssituationen gefragt: In der Fußgängerzone, beim Bäcker, im Wartezimmer, im Bewerbungsgespräch, beim Essen in der Kantine, vor Flughafentoiletten.

Die Antwort auf die Frage ist eigentlich schnell erklärt und geht laienhaft so (die Mediziner mögen mir das verzeihen): „Ich bin querschnittgelähmt. Ich habe eine Spritze bekommen, die ich nicht gebraucht hätte und der Arzt hat Arterie und Vene verwechselt. Das Medikament hat deshalb die Nerven im Rückenmark zersetzt.“ In der Mehrheit der Fälle beantworte ich die Frage ohne mit der Wimper zu zucken. Aber es gibt Ausnahmen.

Auf das „Wie“ kommt es an

Es war der erste kulturelle Unterschied, der mir auffiel, als ich nach Großbritannien zog. Im Gegensatz zu Deutschland und Österreich, fragen die Briten diese Frage so gut wie nie. Nicht einmal Freunde. Die warten ab, bis ich von mir aus erzähle, warum ich Rollstuhlfahrerin bin. Ich will nicht sagen, dass ich die Fragerei vermisse, aber spätestens wenn in der U-Bahn wieder jemand fragt, weiß ich, ich bin wieder in Deutschland. Die Briten empfinden die Frage als distanz- und respektlos.

Ich habe keine Probleme damit, die Frage zu beantworten. Für mich ist die Antwort darauf weit weniger spektakulär als für die Menschen, die sie mir stellen. Aber manchmal beantworte ich sie dennoch nicht. Dann nämlich, wenn ich das Gefühl habe, jemand fragt respektlos. Mit respektlos meine ich zum Beispiel das Hinterherplärren in Fußgängerzonen oder das Rufen durch den ganzen Linienbus.

Gerne ist der Frage in diesen Fällen dann die Silbe „Ey“ vorangestellt und man duzt mich. Alles schon erlebt. Und auch beantworte ich die Frage nur noch ungerne, wenn sich die fragende Person nicht wenigstens zwei Minuten lang mit mir über das Wetter unterhalten oder sonst irgendeinen Bezug zu mir hergestellt hat.

Ich finde, das hat einfach mit Respekt zu tun. Ich bin von Natur aus ein neugieriger Mensch. Das ist einer der Gründe, warum ich Journalistin geworden bin. Aber selbst ich kann meine Neugierde zügeln, wenn ich auf der Straße jemanden sehe, dessen körperliches Merkmal ich mir nicht erklären kann. Ich muss nicht unbedingt wissen, wie alt der Mann ist, der so viele Falten im Gesicht hat und ich muss auch nicht jede Hauterkrankung kennen. Jedenfalls dann nicht, wenn die Gefahr besteht, dass ich dem Menschen zu nahe trete, wenn ich ihn darauf anspreche, und das möchte ich nicht.

Man muss die Wahrheit schon vertragen können

Manchmal verläuft die Konversation über die Ursache meiner Querschnittlähmung aber auch völlig schräg. Dann nämlich, wenn ich an Leute gerate, die sich erhoffen, ich erzähle ihnen eine Geschichte, nach der sie anschließend nach Hause gehen können mit dem guten Gefühl, dass ihnen das ja nicht passieren könne. Dafür eignet sich meine Antwort ja nun gar nicht. Schon wenn sie die Worte „Querschnittlähmung, Arzt und Spritze“ gehört haben, sagen sie mir, ich solle aufhören. Das wollten sie dann doch nicht hören. Das sind dann wohl die Leute, die hoffen, ich erzähle ihnen, ich hätte mich mit 3 Promille Alkohol im Blut mit dem Auto um einen Baum gewickelt oder ich hätte beim Bungeespringen mein Seil vergessen.

Erst zu fragen, dann aber die Antwort nicht auszuhalten, finde ich allerdings auch nicht gerade respektvoll, passt aber zu der nicht wenig verbreiteten Annahme, dass man von Behinderung in jedem Fall ein Leben lang verschont bleibt. In dem Moment realisieren die Menschen dann, dass ich unbewusst an diesem Weltbild rüttele. Wer also neugierig genug ist zu fragen, muss am Ende die Wahrheit schon vertragen können.

Im Geschäftsleben

Ja, vielleicht bin ich da eigen, aber ich möchte nicht gerne an der Hotelrezeption oder beim Check-In am Flughafen die Ursache meiner Behinderung diskutieren. Andere Kunden werden auch nicht nach ihrem Privatleben oder ihrem Gesundheitszustand befragt. Etwas anderes ist es, wenn ich nach meinem Hilfebedarf gefragt werde. Kein Problem. Das empfinde ich sogar als zuvorkommend, wenn jemand fragt, wie er mir am besten helfen kann. Dafür muss er aber nicht wissen, warum ich im Rollstuhl sitze. Servicemitarbeiter, die solche privaten Fragen stellen, empfinde ich zumindest als nicht sehr professionell.

Kinder dürfen alles

Ganz anders sieht die Sache bei Kindern aus. Die fragen oft sehr direkt und das finde ich gut. Denn sie fragen nie respektlos, sondern wirklich aus Interesse. Die halten auch die Wahrheit aus. Und wenn die Fragen nach der Ursache und warum meine Beine nicht so wie ihre funktionieren abgehakt sind, interessieren sie sich sowieso mehr für die technischen Möglichkeiten des Rollstuhls. Man braucht Kindern deshalb auch nicht den Mund zu verbieten, wie das manche Eltern immer noch tun. Denn vielleicht werden sie so zu den respektlosen Erwachsenen, die dann völlig übergriffig fragen, was sie als Kinder nie fragen durften.

 

Auf dem Weg zur Inklusion – die wichtigsten Themen 2015

Das Jahr hat gerade erst angefangen, aber dennoch ist abzusehen, dass es gerade was Inklusion und Teilhabe behinderter Menschen angeht, ein wichtiges Jahr werden könnte. Das sind die Themen, die für 2015 auf der Agenda stehen:

Schulische Inklusion

Es war schon 2014 ein Dauerbrenner und wird auch 2015 weiter für Diskussion sorgen: Die schulische Inklusion. Zwar gibt es mit der UN-Behindertenrechtskonvention einen Rechtsanspruch auch für behinderte Kinder eine Regelschule zu besuchen, aber wie dieser Anspruch in die Praxis umgesetzt werden soll, darüber gibt es sehr viel Diskussionsbedarf.

Es fehlt an Konzepten, barrierefreien Schulen, Rückzugsmöglichkeiten, geschulten Lehrkräften, Assistenz und vor alle am Geld. Inklusion ist sicher keine Sparmaßnahme, sondern eine Investition in die Zukunft der Kinder. Wer glaubt, mit schulischer Inklusion sparen zu können, hat nicht verstanden was Inklusion bedeutet: Individuelle Förderung und die kostet Geld.

Staatenprüfung

Die Bundesrepublik Deutschland hat als einer der ersten Staaten die UN-Behindertenrechtskonvention 2007 unterzeichnet und 2009 ratifiziert. Damit ist sie in Deutschland verbindlich und ihre Einhaltung wird regelmäßig von der UNO kontrolliert.

Die UN-Behindertenrechtskonvention sieht eine regelmäßige Überprüfung der Vertragsstaaten vor. Bei dieser Kontrolle wird überprüft, ob ein Land die garantierten Rechte für behinderte Menschen auch einhält. Die Staatenprüfung Deutschlands wird in der 13. Sitzung des UN-Fachausschusses in Genf erfolgen, die vom 25. März bis zum 17. April 2015 anberaumt ist. Im Vorfeld musste die Bundesregierung bereits einen Fragenkatalog beantworten. Er enthält 25 Fragen. Es geht bei den Fragen beispielsweise um den Schutz vor Diskriminierung behinderter Menschen oder auch um die Verpflichtung zur Barrierefreiheit von privaten Trägern. Natürlich steht auch das Thema schulische Inklusion auf der Fragenliste.

Nach Abschluss der Staatenprüfung wird der Fachausschuss seine „Abschließenden Bemerkungen“ („Concluding Observations“) veröffentlichen. Das sind konkrete Handlungsempfehlungen, um die Teilhabe behinderter Menschen in Deutschland zu verbessern.

Bundesteilhabegesetz

Dass das Gesetz kommt, steht wohl fest. Die Frage ist, was wird im neuen Teilhabegesetz stehen? Bis Mitte 2015 soll das Bundesteilhabegesetz entwickelt und bis Mitte 2016 im Bundestag und Bundesrat beschlossen werden. Eine der wichtigsten Forderungen ist, Menschen, die auf persönliche Assistenz angewiesen sind, nicht länger arm zu halten, sondern die Finanzierung der Assistenz einkommensunabhängig zu regeln, damit auch Menschen wie Raul Krauthausen mehr als 700 Euro mit nach Hause nehmen können, wenn sie arbeiten.

Das Forum behinderter Juristinnen und Juristen hat einen Gesetzentwurf und ein Eckpunktepapier erarbeitet.

Antidiskriminierungsrichtlinie der EU

Vielleicht wird 2015 das Jahr, in dem Deutschland endlich seine Blockade gegen eine weitere Antidiskriminierungsrichtlinie der Europäischen Union aufgibt, durch die der diskriminierungsfreie Zugang für alle Menschen zu Dienstleistungen und Gütern verankert werden soll.

Was in Großbritannien bereits seit 20 Jahren für behinderte Menschen zum Alltag gehört, könnte bald in der ganzen EU Wirklichkeit werden, wenn Deutschland sich nicht querstellt.

Seit 1995 gibt es im Königreich ein Gesetz, das es Unternehmen und Dienstleistern verbietet, behinderte Menschen zu diskriminieren, ihnen beispielsweise einen schlechteren Service als nichtbehinderten Kunden anzubieten. Außerdem verpflichtet das Gesetz Geschäftsinhaber angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um ihre Angebote barrierefrei zu machen.

Ein ähnliches Gesetz europaweit einzuführen, wäre ein Meilenstein auf dem Weg zur gleichberechtigten Teilhabe behinderter EU-Bürger und anderer Gruppen. Deutsche Behindertenverbände hatten die zuständige Ministerin Manuela Schwesig (SPD) bereits Ende 2014 aufgefordert, ihre Blockadehaltung bei der EU aufzugeben.

Spannendes Jahr

2015 könnte also was diese und andere Themen angeht eine wirklich spannendes Jahr werden. Ich hoffe, ich schaue in 12 Monaten nicht enttäuscht zurück.

 

Mit Punk­ten zu mehr Chancengleichheit

„Mit Punk­ten zu mehr Chan­cen­gleich­heit“ überschrieb die Christoffel-Blindenmission (CBM) ihre Pressemitteilung zum Welt-Braille-Tags am 4. Januar, der auf die Bedeutung der Punktschrift Braille für blinde Menschen aufmerksam macht. Und in der Tat hat wohl kaum eine andere Entwicklung die Chancen und vor allem Bildungsmöglichkeiten blinder Menschen so nachhaltig verbessert wie die Erfindung der Blindenschrift Braille.

Louis Braille

Erfunden wurde sie 1825 von einem jungen blinden Franzosen namens Louis Braille. Die Punktschrift ermöglicht es bis heute blinden Menschen auf der ganzen Welt mit tastbaren Punkten zu lesen und zu schreiben, vor allem in Ländern, in denen nicht jeder einen Computer hat, auf dem man eine Sprachausgabe installieren kann, die den Bildschirminhalt vorliest.

Louis Braille war seit seinem dritten Lebensjahr erblindet. Er hatte sich mit einer Ahle, einem Gerät, mit dem man Löcher stechen kann, am Auge verletzt. Beide Augen entzündeten sich, worauf Louis Braille erblindete. Dennoch wollte der Junge später unbedingt lesen lernen.

Er wurde 1809 in der Nähe von Paris geboren. Er ging erst auf eine Regelschule, aber hörte irgendwann von einer Blindenschule in Paris und hoffte, dort lesen lernen zu können. Aber auch diese Schule hatte nur sehr wenige, mit tastbaren Buchstaben ausgestattete Bücher. Die Buchstaben nahmen viel Platz weg und die Bücher waren teuer in der Anschaffung. Außerdem dauerte es sehr lange, die Bücher zu lesen, weil man jeden Buchstaben abtasten musste.

Louis Braille wollte, dass blinde Menschen so schnell lesen konnten wie Sehende. Irgendwann hörte er von einem Punkt-Strich-Codesystem, das in der französischen Armee verwendet wurde, um nachts Botschaften zu übermitteln. Die Soldaten konnten die Botschaften ertasten. Louis Braille besorgte sich diesen Code, aber dieser war immer noch sehr mühsam zu lesen. Auf jede Seite passten nur ein oder zwei Sätze.

Louis Braille entwickelte auf Grundlage des Armee-Systems ein System mit erhabenen Punkten und verzichtete auf die Striche. Für das Erstellen der erhabenen Punkte nutzte er das gleiche Werkzeug, die Ahle, mit der er sich als Kleinkind am Auge verletzt hatte. Er entwickelte ein ganzes Alphabet, bestehend aus maximal sechs Punkten pro Buchstabe.

Pädagogen waren gegen die Punktschrift

Obwohl das Punktschriftalphabet einfach zu lernen und zu verstehen war, setzte es sich lange nicht durch. Selbst als Louis Braille mit einem öffentlichen Vortrag beweisen wollte, wie schnell man Braille lesen kann, glaubten die Zuhörer, er habe den Vortrag auswendig gelernt und lese gar nicht vom Punktschriftdokument ab.

Auch von den Lehrern der Blindenschule in Paris bekam er keine Unterstützung. Der Direktor lehnte die Punktschrift sogar ab und verbot sie an der Schule, denn er war der Auffassung, dass eine Schrift, die Sehende nicht nutzen, die blinden Schüler isolieren würde. Dabei war das Gegenteil der Fall. Die Schrift verhalf und verhilft blinden Menschen bis heute sich selbstständig zu bilden und zu informieren.

Die Anerkennung der Schrift erfolgte erst 1850 als sie an französischen Blindenschulen eingeführt wurde. Deutschland brauchte weitere 30 Jahre, um die Punktschrift einzuführen bis es 1879 endlich soweit war.

Nichts über uns ohne uns

Weltweit gibt es 39 Millionen blinde Menschen, rund 90 Prozent leben laut CBM davon leben in Entwicklungsländern. Dort fehlt es häufig an Hilfsmitteln wie Computer und Vorlesegeräte, die für die meisten blinden Menschen in Deutschland mittlerweile Standard sind. Aber auch in Deutschland nutzen blinde Menschen immer noch Braille, um beispielsweise Vorträge zu halten oder einfach weil sie gerne Punktschrift lesen. Außerdem bleibt Punktschrift wichtig, um blinden Menschen Informationen zu geben, in Fahrstühlen, auf Hinweisschildern etc.

Louis Braille ist bis heute ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, nicht etwas „für“ behinderte Menschen zu tun, sondern „mit“ ihnen. Wäre es nach den Sonderpädagogen der Blindenschule gegangen, könnten blinde Menschen bis heute nicht selbstständig lesen.

 

Was 2014 für behinderte Menschen gebracht hat

Kaum ein anderer Begriff war 2014 so in aller Munde wie das Wort „Inklusion“. Aber wie weit sind wir 2014 mit der Inklusion vorangekommen?

Bildung

Noch immer wird der Begriff „Inklusion“ in erster Linie dann benutzt, wenn es um den Bildungsbereich geht. Auch 2014 wurde mehr über schulische Inklusion diskutiert als über die gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen.

Keine Frage, der schulische Bereich ist wichtig, denn er legt den Grundstein für die Bildung behinderter Kinder, die bislang stellenweise sehr zu Wünschen übrig ließ.

Wissenschaftler zweier seriöser Studien kamen zu dem Schluss, dass Kinder mit Förderbedarf mehr und besser lernen, wenn sie mit nichtbehinderten Kindern gemeinsam unterrichtet werden. Eine Erkenntnis, die 2014 für viel Aufmerksamkeit sorgte. Zudem gibt es mit der UN-Behindertenrechtskonvention einen Anspruch auf inklusive Beschulung.

Politik

Politisch gab es schon zu Beginn des Jahres eine Überraschung. Die Bundesregierung ernannte Verena Bentele zu ihrer Behindertenbeauftragten. Hubert Hüppe musste den Hut nehmen. Bentele ist blind und ehemalige Paralympics-Sportlerin. Mit ihrer Ernennung kam die Bundesregierung der Jahrzehnte alten Forderung behinderter Menschen und deren Verbände nach, endlich eine Person mit Behinderung selbst in dieses Amt zu hieven. Insofern war es ein lange erwarteter Meilenstein in der deutschen Behindertenpolitik.

Dennoch waren die meisten überrascht, denn Verena Bentele ist weder in der politischen Behindertenbewegung sonderlich verwurzelt noch brachte sie ein großes politisches Profil mit. Bentele kam, setzte sich in viele Talkshows, erzählte viel vom Sport und über ihr Buch, nur über ihr Amt und wie sie es ausfüllen möchte erzählte sie 2014 viel zu wenig. Aber immerhin unterstützt sie die Forderung nach einem Teilhabegesetz, das behinderten Menschen ein selbstbestimmteres Leben ermöglichen soll.

Recht

Inklusion und die Teilhabe von behinderten Menschen hängt nicht zuletzt von rechtlichen Rahmenbedingungen ab. Am 30. Juni 1994 beschloss der Deutsche Bundestag den Satz „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ in Artikel 3 des Grundgesetzes aufzunehmen. Für viele, die damals am politischen Prozess beteiligt waren, war 2014 ein Grund, das Jubiläum zu feiern. Es war aber auch ein guter Anlass, um der Forderung Nachdruck zu verleihen, dass endlich jetzt ein gutes Bundesteilhabegesetz folgen muss.

Dass rechtliche Rahmenbedingungen sogar das nächste Lebensumfeld betreffen können, machte in diesem Jahr ein Urteil eines Gerichts in Bonn deutlich. Die Mutter einer behinderten Tochter wurde im März verurteilt, ihre Tochter ruhig zu stellen. Nachbarn hatten sich über die Schreie und Klopfen beschwert und sind vor Gericht gezogen. Wenn die Mutter ihre Tochter nicht zur Ruhe bringt, drohen ihr Ordnungsgeld oder Ordnungshaft. Wie genau sie das machen soll, ließ das Gericht offen.

Und sonst so?

Wer erinnert sich nicht an den Ice Bucket Challenge? Er sollte für die Krankheit ALS Aufmerksamkeit sorgen und Spendengelder eintreiben. Das Geld sammeln hat wohl gut geklappt. Bei Ersterem habe ich so meine Zweifel. Nicht repräsentative Stichproben in meinem persönlichen Umfeld zum Jahresende haben ergeben, kaum einer kann sich erinnern, um was es eigentlich noch einmal genau ging.

Und erst heute morgen las ich auf Twitter von einer Frau, die sich bei ihrer Bank beschwerte, weil diese sich weigerte mit der Frau zu telefonieren, da sie aufgrund von ALS einen Sprachcomputer nutzt.

Ich bleibe dabei, Wasser über den Kopf kippen ist lustig, spenden ist gut, aber am Ende kommt es darauf an, wie man mit den Menschen im Alltag umgeht. Da habe ich weiterhin so meine Zweifel, ob der Ice Bucket Challenge ein großer Erfolg war.

In diesem Sinne wünsche ich mir, dass 2015, was die Inklusion und Teilhabe behinderter Menschen angeht, etwas größere Schritte folgen als 2014.

Meinen Leserinnen und Lesern wünsche ich einen guten Rutsch ins neue Jahr und alles Gute für 2015!

 

Barrierefreie Weihnachten

Es ist Weihnachten. Für viele behinderte Menschen kann es durchaus eine Herausforderung sein, Weihnachten möglichst barrierefrei zu verbringen. Das geht schon bei den Örtlichkeiten los und hört bei Kommunikationsbarrieren nicht auf. Aber natürlich ist es möglich, auch mit behinderten Angehörigen und Freunden ein schönes Weihnachtsfest zu feiern, an dem jeder Spaß hat, wenn man ein paar Punkte beachtet.

Auf den Ort kommt es an

Ich kann schon gar nicht mehr zählen, wie oft mir jemand sagte, Weihnachten sei nicht so toll gewesen, denn man habe an einem nicht sehr barrierefreien Ort gefeiert, er oder sie habe sich dadurch kaum alleine bewegen können, kam nicht oder nur sehr schwer zur Toilette, musste getragen werden oder was auch immer. Ja, die deutsche Durchschnittswohnung ist vielleicht nicht gerade das Musterbeispiel an Barrierefreiheit, aber oft gibt es ja Optionen. Man muss sie nur nutzen.

Feiert man bei Onkel Paul, der keine Stufen vor der Tür hat oder bei Tante Elfriede, die im 4. Stock ohne Fahrstuhl wohnt? „Aber wir haben doch schon immer bei Tante Elfriede gefeiert“ ist dann vielleicht nicht so das beste Argument, wenn man weiß, dass Neffe Thomas nicht mehr laufen kann oder die Oma die Treppen nicht mehr so gut hinaufkommt. Schließlich sollen sich an Weihnachten ja alle wohlfühlen und dazu trägt eben meist schon die Wahl des Ortes bei, an dem Weihnachten gefeiert werden soll.

Inklusiv feiern

Es sollte vor allem an Weihnachten eigentlich selbstverständlich sein, aber ich erwähne es aus gutem Grund dennoch: Weihnachten ist ein Fest für alle. Wenn die Mehrheit der Familie irgendwas zusammen macht und einer sitzt in der Ecke und starrt die Wand an, ist irgendwas schief gelaufen. Wenn das daran liegt, dass die Person sich aufgrund einer Behinderung ausgeschlossen fühlt, ist das nicht schön.

Um das zu verhindern, sollte man sich unter Umständen vorher gut überlegen, was man an dem Tag macht. Wenn nicht alle teilnehmen können, welche Alternativen gibt es? Wie haben dennoch alle einen schönen Tag?

Untertitel / Audiodeskription einschalten

Ein gemeinsamer Fernsehabend ist etwas feines, aber nur, wenn alle daran teilhaben können. Ist jemand schwerhörig oder gehörlos, sind Untertitel im Fernsehen hilfreich und mehr als eine nette Geste, diese einzuschalten ohne dass die Person darum bitten muss, wenn er oder sie sonst auch immer Fernsehen mit Untertitel schaut. Der britische Blogger Charlie Swinbourne hat weitere Tipps für ein barrierefreies Weihnachten für gehörlose Menschen zusammen gestellt.

Was für gehörlose und schwerhörige Menschen die Untertitel sind, ist für blinde und sehbehinderte Menschen die Audiodeskription (AD). Läuft der Film mit AD sollte man diese einschalten, wenn jemand, der blind ist, mitschaut.

Mit Bedacht schenken

Es gibt kaum eine bessere Kneipenunterhaltung als die über unnütze Geschenke, die man als behinderter Mensch bekommen hat. Vor kurzem erzählte mir jemand, ihr Opa habe, wie jedes Jahr, von einer Verwandten schwarze Socken geschenkt bekommen. Ein Klassiker also. Dagegen ist ja nicht zu sagen, wenn man nicht weiß, dass der Opa im vergangenen Jahr aufgrund von Diabetes beide Füße abgenommen bekommen hat und nein, nicht mit Prothesen versorgt ist.

Wer also nicht im Fettnapf baden möchte, denkt vielleicht lieber einmal mehr darüber nach, ob ein Geschenk sinnvoll ist für jemanden, der behindert ist, oder nicht.

Das Gleiche gilt für das Schenken von Hilfsmitteln. Was Angehörige für jemanden als total hilfreich erachten, muss es nicht wirklich sein. Im Zweifelsfall sucht sich die Person das Hilfsmittel am besten selber aus. Dann ist zwar unter Umständen die Überraschung dahin, aber man investiert nicht Unsummen von Geld in ein Hilfsmittel, das dann doch nur in der Ecke steht. Am Ende ist es immer die Entscheidung des behinderten Menschen selber, was er nutzt und was nicht.

Deshalb ist grundsätzlich beim Schenken von Hilfsmitteln Vorsicht geboten. Nicht alle werden es mögen, wenn sie ohne Absprache Hilfsmittel zu Weihnachten bekommen. Manche könnten das als etwas bevormundend auffassen, andere empfinden Hilfsmittel gar nicht als Geschenk. Also, es ist Fingerspitzengefühl gefragt.

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs schöne und barrierefreie Weihnachten!