Wenn man sich fragt, welche Art die Erde dominiert, dann denken wohl die meisten zuerst an den Menschen. Doch was Wissenschaftler am Montag im Fachmagazin Nature Microbiology veröffentlicht haben, zeigt ein ganz anderes Bild – denn der Stammbaum aller Lebewesen wird von Bakterien beherrscht (Nature, Hug et al., 2016). Menschen, Tiere und Pflanzen müssen sich dagegen einen winzigen Ast des Baumes teilen.
Was wir spontan als Lebewesen bezeichnen würden, ist auf dem Stammbaum des Lebens ganz unten rechts angesiedelt: Menschen sowie alle Tier- und Pflanzenarten zählen zu den Eukaryoten – jener Klasse von Lebewesen, die einen Zellkern besitzen. Einen nicht viel größeren Teil des Baumes machen die Archaeen aus. Sie bilden die zweite von drei Kategorien. Der größte Teil des Lebensbaums ist allerdings der letzten Klasse vorbehalten: den Bakterien. Kein Wunder, denn sie machen einen großen Teil der Biomasse auf unserem Planeten aus.
Das Problem: Viele dieser Arten sind unbekannt und lassen sich im Labor nicht kultivieren. Das macht es für die Wissenschaftler schwierig, Bakterien so zu analysieren, dass sie die Organismen in den Stammbaum einordnen können. Eine Gruppe von Forschern hat es geschafft, dieses Problem zu umgehen: Sie sammelten Proben aus dem Meeresboden, aus heißen Quellen, Schlamm, Wiesen und sogar aus zwei Delfinmäulern. Diese Proben durchsuchten sie dann nach DNA-Fragmenten. Mithilfe von gezielten Analysen und Modellen kamen sie dann auf ein eindrucksvolles Ergebnis: In ihren Proben müssen sich 1.011 bisher unbekannte Organismen befinden. Diese verglichen sie mit 2.072 bereits bekannten Lebewesen. Ein Supercomputer half dabei, aus den Daten einen neuen Baum zu entwickeln. Ein Modell passte besonders gut – und zwar das, welches Sie oben sehen.
Damit erweitern die Biologen ein Bild, dessen Grundform Charles Darwin gezeichnet hat – mit seinem Werk Über den Ursprung der Arten legte er den Grundstein für die Evolutionstheorie. Die einzige Abbildung im gesamten Buch ist: die Skizze eines Baumes.
Der Baum wurde zum Symbolbild der Evolutionsforschung. Er veranschaulicht, wie alle Lebewesen der Welt miteinander verwandt sind. Immer da, wo Linien zweier Arten zusammentreffen, haben sie einen gemeinsamen Verwandten. Evolutionsbiologen erneuern diesen Baum seit Jahren und bemühen sich, die neuesten Verwandtschaftsverhältnisse aufzudecken. Seine neuesten Auswüchse zeigen nun aber vor allem eines: Wir Menschen und alles, was wir täglich sehen, spielen nur eine wirklich kleine Rolle in der Geschichte der Evolution.
