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Lernen, was es heißt, weiß zu sein

 

Rassismus: Lernen, was es heißt, weiß zu sein
„Unser nationaler Albtraum“, schreibt „Quartz“: Mitglieder des Ku-Klux-Klan in Columbie (US-Bundesstaat South Carolina). © Reuters / Chris Keane

Wer ein Visum für die USA beantragt, kommt um diese Frage nicht herum. Auch wer sich in den Vereinigten Staaten um einen Uniplatz bewirbt, muss seine Rasse angeben. Ja, selbst wer in den USA ein Darlehen von seiner Bank will, muss darüber Auskunft geben. Kein Wunder, dass Diskussionen über Diskriminierung und Unterdrückung üblicher sind als in Deutschland. Das heißt jedoch nicht, dass auch alle Lust auf diese Debatten haben.

Viele Weiße, die mit dem Thema „Rasse“ konfrontiert werden, reagieren sehr emotional, berichten die beiden Wissenschaftlerinnen Katherine Kirkinis und Sarah Birdsong auf Quartz. Als sie die Konzepte von Rasse und Diskriminierung auf einem ihrer Workshops zu Unterdrückung vorstellten, fühlten sich viele ihrer (weißen) Teilnehmer angegriffen: Wieso immer nur über Schwarze reden? Was sei denn mit Rothaarigen, Übergewichtigen oder Behinderten? Die würden schließlich auch diskriminiert. „Weiße Fragilität“ nennt die Soziologin Dr. Robin DiAngelo dieses Verhalten. Schon die minimale Konfrontation mit dem Thema löse in vielen Menschen Wut, Angst oder Schuldgefühle aus.

Die Wissenschaftler liefern verschiedene Gründe, warum Weiße in Amerika so emotional werden, wenn es um Rasse und Rassismus geht:

  1. Sie sind’s nicht gewöhnt. Als jahrhundertelange Mehrheit haben die Weißen schlichtweg keine Erfahrung mit Diskriminierung. Selbst diskriminierend gemeinte Spitznamen für Weiße nehmen Bezug auf die Überlegenheit weißer Landbesitzer. Die in den USA übliche Bezeichnung „Cracker“ etwa kommt von „to crack a whip“, die Peitsche knallen lassen.
  2. Sie sehen das Problem nicht. Ein Forscher hat Menschen in San Francisco gefragt, was es bedeutet, weiß zu sein? Die Standardantwort lautete: „Ich weiß nicht, normal zu sein?“ Weiße, so die Annahme, nehmen ihr Weißsein gar nicht wahr, sehen sich selbst nicht als Rasse. Ihre eigene Kultur verstehen sie eher als das Normale, die Grundlage für alles andere.
  3. Sie fühlen sich angegriffen. Weil die Begriffe „Weiße“ und „privilegiert“ so eng miteinander verknüpft sind, verstehen viele eine Diskussion über Rasse als versteckten Vorwurf. Sobald jemand das Wort Rassismus verwendet, fühlen sich Weiße als Rassisten angeklagt.

So weit, so problematisch. Doch was können die Weißen tun, um weniger fragil auf die Rassendiskussion zu reagieren? Die erste wichtige Erkenntnis, schreiben die Wissenschaftler, sei zu verstehen, dass man als Individuum keine Schuld an rassistischer Unterdrückung trage. Weiße können genauso wenig etwas für ihre Hautfarbe und ihre Herkunft wie schwarze, asiatische oder lateinamerikanische Menschen. Mit dieser Erkenntnis komme jedoch auch die Verantwortung, seine unfreiwillig privilegierte Situation anzuerkennen und entsprechend zu handeln. Von der wissenschaftlichen Beobachtung von den „fragilen Weißen“ hin zu einer sachlichen Diskussion dürfte es also noch ein weiter Weg sein.