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Ist eine Maschine der neue Shakespeare?

 

Wenn man auf der Suche nach neuen Wortschöpfungen ist, muss es nicht immer klassische Literatur sein. Ein Blick auf den Twitter-Kanal der New York Times@NYT_first_said, offenbart Überraschendes.

Die Tweets, die dort zu finden sind, bestehen aus nur einem Wort. Voraussetzung für einen Tweet: Das Wort muss zum ersten Mal in einem Artikel der New York Times erschienen sein.

In dieser zufälligen Anthologie finden sich zeitgeistige Neologismen …

… Rechtschreibfehler …

… oder aus anderen Sprachen entliehene Begriffe.

Besonders schön:

Für den einen oder die andere dürfte das wie ein Traumjob erscheinen: Den ganzen Tag Artikel lesen und schöne Begriffe sammeln. Die Realität sieht aber so aus, dass sich mit der Sprache auch die Technik entwickelt und die Prozesse automatisiert wurden. Sogenannte Bots (eine Kurzform für robots) übernehmen das Auslesen der Artikel. Bots sind Computerprogramme, die den Menschen sich wiederholende, digitale Aufgaben abnehmen sollen. Im Stundentakt ‚liest‘ das Programm die Webseite der New York Times, immer auf der programmierten Suche nach noch nicht archivierten Begriffen. Taucht ein dem Bot unbekanntes Wort auf, wird dieses in die Datenbank aufgenommen und als automatisierter Tweet abgesetzt. Der Bot lernt praktischerweise dabei selbstständig dazu und wird dadurch noch genauer in seiner Analyse.

Ein Projekt des Datenanalysten und Rapfans Matt Daniels nutzte diese Technik, um die Texte bekannter Rapkünstler zu analysieren. Er war müde, sein favorisiertes Genre als Kunstform gegen die schönen Künste verteidigen zu müssen, und visualisierte Wortkreationen mithilfe eines Bots. Dieser Bot las aus 35.000 Texten die Worte heraus, die nicht in einem Duden zu finden waren, und verglich das Ergebnis mit den Neologismen, die dem Schriftsteller Shakespeare zugeschrieben werden.

Wortschöpfungen: Ist eine Maschine der neue Shakespeare?
Die Schönheit der Daten

Nach Daniels‘ Analyse kam Shakespeare auf 5.170 eigens kreierte Begriffe, womit er weit hinter Rappern wie Aesop Rock (7.879 Wörter) oder MF Doom (6.169 Wörter) liegt. Ob dies nun einen künstlerischen Wert definiert, liegt in den Augen der Betrachtenden.

Für Daniels reichte dies als Beweis, dass Rap als Kunstform eine Existenzberechtigung besitzt.

Dem steht der @nyt_first_said Twitter-Account mit seinen derzeit rund 12.600 Tweets gegenüber, hinter dem sich eine riesige Fangemeinde gebildet hat. Folgt man den Zahlen, ist dieser Account wohl einer der größten Sprachkunstwerke der Gegenwart.

Dass er mindestens für Irritation sorgt, zeigen diese Antworten von Twitter-Nutzern auf die Tweets:


Ob es die Maschine, die den @nyt_first_said Account mit Informationen füttert, zum Künstler schafft, muss man abwarten. Sicher ist aber, dass sich eine eigenwillige und charmante Poetik entwickelt hat, die Tausende Nutzer angeregt über interessante oder witzige Begriffe diskutieren lässt. Sie interpretieren, amüsieren sich oder lassen ihrer Fantasie freien Lauf. Vor unseren Augen entsteht in Echtzeit ein Kompendium der neuen Worte und wir können zusehen und staunen. Über die Sprache, die Technik und die Fantasie.