Beim Stichwort „Politik auf YouTube“ denken die meisten – abgesehen von Rezo – wohl als Erstes an Verschwörungsvideos und den Empfehlungsalgorithmus der Plattform, der im Verdacht steht, Menschen nach rechts zu radikalisieren. Bisher weniger bekannt ist hingegen, dass sich auf YouTube seit einigen Jahren auch dezidiert linke politische Influencer mit zunehmendem Erfolg etablieren.
Wenn die Neue Rechte versucht, über rechte bis rechtsextreme Social-Media-Persönlichkeiten wie Ben Shapiro, Milo Yiannopoulos oder dem österreichischen Identitären Martin Sellner vornehmlich junge Menschen auf sich aufmerksam zu machen, tut sie das auf YouTube also nicht mehr völlig unwidersprochen.
Unter den Namen LeftTube oder BreadTube (benannt nach dem Buch Die Eroberung des Brotes des russischen Anarchisten Pjotr Kropotkin aus dem späten 19. Jahrhundert) sammelt sich eine Kategorie von Videokünstlern und -künstlerinnen, die vor allem eines eint: Das Selbstverständnis, die andere Seite des politischen Spektrums abzubilden. YouTube, but good lautet der Titel des Reddit-Unterforums, in dem viele ihrer Videos gesammelt und geteilt werden. Ihre Inhalte sind auf Englisch, die meisten kommen aus den USA und Großbritannien, der Macher des Kanals Three Arrows hingegen lebt laut seinem Twitter-Profil zum Beispiel in Deutschland.
Eine der größten Influencerinnen aus dem BreadTube-Kosmos ist Natalie Wynn alias ContraPoints, deren Videos dank bissigem Humor und extravaganten Kostümen millionenfach geklickt werden. Ähnlich wie ihr Kollege Oliver Thorn mit seinem Kanal Philosophy Tube bereitet sie komplexe Themen aus Bereichen wie Gender oder Kapitalismuskritik mit aufwendig produzierten Videos auf: Skripte, mehrere Rollen und Kostüme, in Thorns Fall sogar eine Bibliografie unter seinen Videos, beide mit offensichtlich akademischem Hintergrund.
So sieht beispielsweise eine Produktion von ContraPoints aus:
Oliver Thorn von Philosophy Tube setzt sich unter anderem mit Steve Bannon auseinander, Donald Trumps ehemaligem Wahlkampfstrategen.
Nicht alle inszenieren das Format des Videoessays so stark wie sie, in anderen Fällen reicht eine aufgenommene Audiospur mit Videoschnipseln und Standbildern. Oft geht es dabei zunächst einmal darum, sich am politischen Gegner abzuarbeiten: Verschwörungstheorien sollen entlarvt, rechte YouTuber argumentativ widerlegt werden. Titel wie Wie PragerU Dich belügt (PragerU ist ein weiterer populärer rechter YouTube-Kanal) wollen Nutzerinnen und Nutzer ansprechen, die bereits in die rechte Blase abzudriften drohen – wenn der Name des politischer Gegners im Titel steht, taucht das Video möglicherweise in den Empfehlungen seiner Zuschauenden auf.
Der Kanal Three Arrows hat sich darauf spezialisiert, geschichtsrevisionistische Behauptungen von rechten Influencern zu „debunken“, also zu widerlegen, versucht aber auch in Videos wie How to Fall Down the Anti-SJW Rabbit Hole darüber aufzuklären, wie unter Nutzerinnen der Plattform gegen sogenannte Social Justice Warriors (SJW), ein beliebtes Feindbild der Rechten, Stimmung gemacht wird.
Im deutschsprachigen YouTube gibt es laut einer Studie im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die im Dezember veröffentlicht wurde, dagegen keine vergleichbare „wirkungsvolle Präsenz“ von dezidiert linken politischen YouTubern mit großer Reichweite. Die Studie zählt nur den Comedy-Kanal Datteltäter des funk-Netzwerks von ARD und ZDF, der laut den Autoren „das Verhältnis der muslimischen Minderheit zur deutschen Mehrheitsgesellschaft satirisch behandelt“, die Journalisten Tilo Jung und Rayk Anders sowie den Politiker Nico Semsrott (Die PARTEI) zu den reichweitenstärksten linken Kanälen mit mehreren Hunderttausend Abonnentinnen und Abonnenten.