Eine virtuelle Pandemie verbreitet sich im Jahr 2005 im Spiel World of Warcraft. Die Entdeckungen, die die epidemiologische Forschung anschließend machte, lässt uns bis heute echte Pandemien besser verstehen.
Um während des erneuten Corona-Maßnahmen der Enge der Wohnung, dem Mangel an kulturellen Angeboten und der Langeweile und manchmal sogar Einsamkeit zu entgehen, greifen viele auf ein altbekanntes Spiel zurück: World of Warcraft. Das zeitintensive Rollenspiel in einem Fantasieuniversum bietet die ideale Plattform, um digital Gemeinschaft und Zeitvertreib genießen zu können.
Doch das Spiel ist nicht nur ein Begleiter in der Pandemie, sondern wurde zur Blaupause für deren Erforschung. Im Jahr 2005 verbreitete sich aufgrund eines Programmierfehlers ein Virus, das die Spielcharaktere über die ganze Welt verteilt tötete – der sogenannte Corrupted Blood Incident.
Einer der Endgegner im Spiel belegte die Spielfiguren mit einem Fluch namens Corrupted Blood, der über einen längeren Zeitraum hohen Schaden zufügte, dadurch der Spielfigur die Lebensenergie raubte und diese schlussendlich virtuell tötete. Das wäre kein Problem, denn in World of Warcraft wird man nach dem virtuellen Tod wiedergeboren. Der Fluch war jedoch auch hoch ansteckend.
Kam ein Spieler im Kampf mit dem Endgegner in die Nähe eines infizierten Mitstreiters, so übertrug er automatisch das Corrupted Blood. So blieb der Fluch auch über den Tod der Spielfigur hinaus im Umlauf. Ursprünglich sollte dieser Zauber nur in einem abgegrenzten Bereich des Spiels wirksam sein, um die Verbreitung auf die Population im Spiel zu verhindern. Aufgrund einer Nachlässigkeit in der Programmierung konnte sich der Zauberspruch über fast die gesamte Spielwelt ausbreiten und tötete in der Folge Tausende der Spielfiguren.
Epidemiologische Forschung zur Ausbreitung von Viren findet unter anderem auf Basis von Modellen statt. Die gängigsten Modelle sind dabei die Kompartimentmodelle (Bsp. SIR-Modell), Netzwerkmodelle und die agentenbasierte Modellierung. Diese Modelle unterscheiden sich in ihrer Methodik, doch ihnen ist gemeinsam, dass sie das menschliche Verhalten nur unzureichend abbilden können, denn der Mensch ist in seinen Handlungen unvorhersehbar.
Mit dem versehentlichen Ausbruch der virtuellen Pandemie in World of Warcraft hatten Forscherinnen und Forscher die Möglichkeit, eine Art Testbevölkerung von 6,5 Millionen Spielern, in Alter, Geschlecht, Herkunft, etc. divers, zu beobachten. Die Diversität in der zufälligen Pandemiesimulation zeigte echtes Verhalten während eines solchen Ausbruchs. So fanden sich Spielfiguren, die als Heiler fungierten, zusammen und versuchten der Pandemie entgegenzuwirken. Andere zogen sich in entlegene Gegenden der virtuellen Welt zurück, die als nicht infiziert galten, oder betraten die Spielwelt für mehrere Tage nicht, in der Hoffnung, dass Problem sei anschließend gelöst. Sozusagen eine selbst auferlegte Quarantäne. Wieder andere witterten eine Verschwörung.
All dies bestätigte die Annahmen, die in der realen Forschung bis dahin gemacht wurden, um Pläne für einen etwaigen Ernstfall zu konzipieren. Mehr noch, es konnte ein weiterer Faktor hinzugefügt werden, den die Forscherinnen und Forscher bis dahin nicht bedacht hatten:
Obwohl andere Spielerinnen und der Hersteller davor warnten, konnten viele der Neugierde nicht widerstehen und besuchten infizierte Gebiete. Bei der Rückkehr in die Ballungszentren des Spiels infizierten sie weitere Spieler.
Forscher erkannten das Potential solcher Simulationen in Onlinespielen und versuchten ähnliche Szenarien mit dem Spielhersteller Blizzard zu erzeugen. Nina H. Fefferman, Professorin für Biologie und Epidemiologie an der Universität Tennessee, sagte: „Gaming kann helfen die Welt zu retten“. Die ersten Versuche, solche Modelle für Online-Spiel zu designen, hatten nicht den durchschlagenden Erfolg wie der auf einem Zufall basierende Corrupted Blood Incident. Die Arbeit an Modellen mit aussagekräftigen Ergebnissen läuft jedoch bis heute weiter.