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Musik ist kraftlos geworden

 

Mit seinem Quartett hat der Saxofonist Branford Marsalis eine Metamorphose durchgemacht. Leider klingt das Ergebnis fad und uninspiriert

Cover

 
Branford Marsalis Quartet – Jabberwocky
 
Von dem Album: Metamorphosen Marsalis Music (2009)

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Den heißen Sommer des vergangenen Jahres verbrachte Branford Marsalis im Aufnahmestudio. Bereits damals habe er gewusst, dass Barack Obama zum amerikanischen Präsidenten gewählt werden würde. Schließlich habe er, Marsalis, neben Musik auch Geschichte studiert und erfahren, dass in außergewöhnlichen Zeiten immer außergewöhnliche Menschen an die Macht gekommen seien – im Guten, wie im Schlechten.

Einst galt Branford Marsalis als kämpferisches Wunderkind, bereits früh machte er mit seinem technisch brillanten Saxofonspiel auf sich aufmerksam. Er arbeitete mit den Stars des Jazz, beschäftigte sich mit afro-amerikanischer Kultur und bildender Kunst, etwa dem Werk Romare Beardens, dem Maler der Black Renaissance, und nahm eine eigene Version von John Coltranes Meisterwerk A Love Supreme auf. Als Leiter der Band in Jay Lenos Tonight Show und Saxofonist von Sting wurde er schließlich selbst ein Star. Zwischenzeitlich war ihm der Jazz keine Herausforderung mehr, so wandte er sich der Klassik zu.

Viele Improvisateure schätzten Marsalis‘ Musik damals gering, oft musste er sich den Vorwurf gefallen lassen, sie sei zu seicht. Damals arbeitete er als künstlerischer Leiter der Jazzabteilung von Columbia/Sony. Er verpflichtete zornige Avantgardisten wie den Tenorsaxofonisten David S. Ware – und verlor die Stelle.

Seit Jahren spielt Branford Marsalis nun mit seinem Quartett, dem Pianisten Joey Calderazzo, dem Bassisten Eric Revis und dem Schlagzeuger Jeff „Tain“ Watts. Auf seinem Label Marsalis Music veröffentlicht er auch deren Soloalben. Marsalis erzählt, er lade zu Hause Musik von iTunes runter und schicke sie den Musikern seines Quartetts, um mit ihnen darüber zu reden. Während der drei Aufnahmetage für Metamorphosen sei es allen gelungen, sich aufeinander einzulassen, die langjährige Vertrautheit haben das Zusammenspiel beflügelt.

Die Aufnahmen des Quartetts klingen, als spiele Branford Marsalis vor allem für seine Mitmusiker. Er selbst nimmt sich zurück, auf Metamorphosenerklingen beinahe nur Kompositionen seiner Band. Sein einziges eigenes Stück ist Jabberwocky, da nimmt er die schnellen Läufe des Bebop auf. Marsalis betont, das Quartett sei gemeinsam gewachsen, habe sich einer Metamorphose gleich in ein neues Stadium weiterentwickelt. Der Musik ist das nicht anzuhören.

Marsalis, der immer wieder davon spricht, wie wichtig es sei, sich mit der Geschichte der Musik auseinanderzusetzen, kann voll und weiträumig wie Coltrane klingen. Tief summend wie Coleman Hawkins oder lyrisch weich wie Lester Young. Er ist in der Lage, die Erwartungen seines Publikums zu erfassen und so zu klingen, wie seine Hörer ihn wünschen. Allein, auf Metamorphosen gelingt es ihm nicht. Die Lieder sind vorhersehbar wie das Tagewerk eines Beamten der höheren Verwaltung.

Marsalis erzählt, er selbst habe in den letzten Jahren seine Illusionen verloren, vor allem seinen Glauben an die gesellschaftsverändernde Kraft der Musik. Nein, Musik habe diese Kraft nicht. Um sich herum fühle er eine künstlerischen Leere. In dem Wunsch, diese zu füllen, sei er auf die 2000-jährigen Metamorphosen Ovids gestoßen, die später die Kunst des Barock stark beeinflussten und in denen sich Ovid mit der Geschichte der Menschheit auseinandersetzt. Marsalis erzählt, er wünsche sich lineare Entwicklungen, die weiter reichten als von Mingus und Monk bis zu seiner Interpretation der Musik. So gesehen ist er ein Romantiker.

Metamorphosen klingt, als sei dieser Romantiker nun auf der Suche nach den Inhalten seines Schaffens.

„Metamorphosen“ vom Branford Marsalis Quartet ist bei Marsalis Music/Universal erschienen.

Lesen Sie hier das Interview mit Branford Marsalis zum neuen Album »

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