In den Achtzigern war Pop aus Neuseeland weltweit einflussreich. Heute sind die alten Platten kaum erhältlich. Ein Glück, dass Morr Music den größten Hits ein Jubiläumsalbum widmet
Was wissen wir schon von der Musik Neuseelands? Es gab eine Zeit, da erschien das Land nicht ganz so weit entfernt wie heute. Der südliche Pazifik war in Reichweite, bald näher als der Ärmelkanal. In den frühen Achtzigern war das, da tönte Unerhörtes zwischen Dunedin und Christchurch. Kleine Labels veröffentlichten handgemachte Lieder kleiner Bands auf kleinen Vinylscheiben. Zurückhaltende, introvertiert Aufnahmen, deren sanfter Hall bald im Mutter- und im Vaterland von Rock und Pop erhört wurde. Und die schließlich doch der Grunge der frühen Neunziger übertönte.
Fragt man Sonic Youth und Yo la Tengo nach ihren Einflüssen, dann schwärmen sie von Bands wie The Chills, The Tall Dwarfs und Jean Paul Sartre Experience, von dem minimalistischen Indiepop und dem melodiösen Folk des Labels Flying Nun. Die legendären Creation Records hörten sich damals eine Scheibe ab und brachten manche neuseeländische Platte in Großbritannien auf den Markt. Heute klingen die hübschen Kreationen von Flying Nun etwa bei Belle & Sebastian durch – und auf den Platten des Berliner Labels von Morr Music.
Morr Music feiert in diesem Jahr seinen zehnten Geburtstag mit einer Reise zu ebenjenen fliegenden Nonnen nach Neuseeland. Bereits vor einigen Jahren ließ der Labelchef Thomas Morr auf Blue Skied An‘ Clear seine Künstler Lieder der britischen Shoegazer Slowdive nachspielen. Nun gräbt er erneut ein paar seiner musikalischen Wurzeln frei. Achtzehn Neuinterpretationen von Liedern aus zwanzig Jahren neuseeländischen Indiepops nach 1981 erklingen auf der Kompilation mit dem etwas ausufernden Namen Not Given Lightly – A Tribute To The Giant Golden Book Of New Zealand’s Alternative Music Scene.
Selbermachen! war das Motto bei Flying Nun, wenn ein paar Lieder auf Vierspurmaschine eingespielt waren, sollte die Welt sie auch bald hören können. So erschienen anfangs fast nur Singles und Maxis, erst Ende der Achtziger kamen mehrere Alben hinzu, oft waren das Zusammenstellungen früherer Singles. Vieles war und ist hierzulande nie erhältlich gewesen, so klingt Not Given Lightly auch nicht wie ein typisches Coveralbum, sondern frisch und luftig wie so viele Morr-Platten.
Zu hören sind vor allem die Künstler, die in den vergangenen zehn Jahren bei Morr Music veröffentlichten. Der treue B. Fleischmann, Masha Qrella und Lali Puna, ISAN und American Analog Set, die erst kürzlich entdeckten People Press Play, Borko und The Wooden Birds. Den meisten gelingt der Versuch, den spröden Geist des Originals im eigenen Klangkosmos neu zu beschwören – gute Lieder sind eben schwer kaputtzukriegen. Auf einer zweiten CD sind als Beigabe drei Hände voll unveröffentlichter Stücke der Beteiligten zusammengestellt, sie klingen wie ein Zwischenfazit nach zehn Jahren Labelarbeit.
Not Given Lightly wirft Fragen auf: Wie nur konnte The Chills‘ Kaleidoscope Eyes im Jahr 1982 nicht zum Welthit werden? Und I Like Rain von Jean Paul Sartre Experience vier Jahre darauf? Und weshalb muss man die vielen tollen Aufnahmen hierzulande – wenn überhaupt – heute zu horrenden Importpreisen erstehen? Seit drei Jahren gehört das noch immer existierende Label Flying Nun dem Weltkonzern Warner Music. Liebe Plattenfirma, es besteht Nachholbedarf!
Vor einiger Zeit stellte das australische Jugendradio Triple J die „30 besten neuseeländischen Acts aller Zeiten“ vor, 20 davon hatten ihre Alben bei Flying Nun veröffentlicht. Bis Australien klingt es also auch heute noch, in Europa ist neuseeländische Musik kaum mehr zu vernehmen (es sei denn, Crowded Houses Don’t Dream It’s Over tönt aus dem Formatradio). Dunedin ist wieder 17.000 Kilometer von Berlin entfernt. Morr Music sei Dank gibt es nun einen Grund, die schönen alten Lieder neu zu hören und Flohmärkte und Internetbörsen nach den schönen alten Platten zu durchforsten.
„Not Given Lightly – A Tribute To the Giant Golden Book Of New Zealand’s Alternative Music Scene“ ist auf Doppel-CD und Dreifach-LP bei Morr Music/Indigo erschienen.
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