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Perlenbesetzter Cowboystiefel

 

Es ist beeindruckend, wie der 32-jährige Amos Lee in der Tradition von Folk, Blues und Country seine eigene Stimme findet. Fast passen ihm die Schuhe von Willie Nelson oder Steve Winwood.

© Harper Smith

Wenn dieses Album ein Schuh wäre, dann ein staubiger Stiefel. Kein fransengeschmückter, edelsteinbesetzter Countrycowboy-Treter mit Schlangenmuster und falschen Sporen. Kein High-Tech-Modell mit versenkbaren Rollen oder eingenähten Leuchtdioden. Kein auf Hochglanz polierter Fetisch für Edelrocker. Nicht modern, nicht modisch. Einfach ein Stiefel. Haltbar, strapazierfähig, ordentlich gearbeitet.

Amos Lee ist im Windschatten der Kaffeehauskönigin Norah Jones bekannt geworden. Fünf Jahre nach dem ersten Album rühmt das Label Blue Note, auf dem beide ihre Musik veröffentlichen, Lees Tourneen mit Bob Dylan, Paul Simon, Merle Haggard und Elvis Costello, als wäre er nach drei Alben selbst schon einer von den Großen.

Ein bisschen klingt er auf Mission Bell auch, als wäre er schon Jahrzehnte im Geschäft. Die Stimme mit dem weichen Kern und den rauen Kanten, die bei erdigeren Stücken an Bruce Springsteen erinnert, bei den diesmal seltenen souligeren Nummern an Steve Winwood, hat einen so vertrauten Ton, als wäre sie immer schon da gewesen. Die Arrangements, das Songwriting – erstklassige Handarbeit in erprobtem Stil. Ein Stiefel im praktischen, bequemen, robusten Schnitt.

Das vierte Album reduziert die Soul- und die Jazz-Anteile, rührt stattdessen mehr Steel-Guitar-Country, Lagerfeuer-Blues und eine Spur Gospel hinein. Mexikanische Trompeten wehen wie ferner Enchillada-Duft heran, Gitarren schimmern, Vibrafon und Streicher schleichen sich an. Die Einflüsse aus dem südkalifornischen Grenzland dürften auch der Kooperation mit Calexico zu verdanken sein: Wüstenkönig Joey Burns hat das Album produziert und ihm diesen warmen Sound verpasst.

Wäre das alles, Lee wäre langweilig. Dann würde er einfach den alten Countryfolkstiefel runterreißen, könnte Dylan covern oder das Great American Songbook plündern, wäre ein mittelprächtiger Klampfenbarde, hätte sein Auskommen und gut. Aber er ist schon ein verdammt guter Songwriter. Er schreibt selbst am Great American Songbook – mit unspektakulären, aber ausgereiften, stimmigen Liedern.

Der große Outlaw Willie Nelson bescheinigt ihm auf dem Waschzettel der Plattenfirma: „Amos ist ein außergewöhnlich talentierter Künstler und ein begnadeter Geschichtenerzähler – er ist einzigartig in seiner Generation.“ Das mag ein wenig übertrieben sein. Na gut, ziemlich übertrieben. Aber wirklich nicht jeder perlmuttert aus Verlustängsten und Jenseitsfantasien so runde, schimmernde Kügelchen. Nur manchmal kippt die schöne Schlichtheit um in schlichte Einfalt: Flower beispielsweise beginnt mit der Zeile „My heart is a flower / that blooms every hour„.

Zu Gast hat der ehemalige Lehrer aus Philadelphia neben den Calexicanern gleich eine ganze Reihe weiterer Americana-Artisten, darunter Pieta Brown und Sam Beam alias Iron & Wine. Zwei Duette zeigen, dass einer 32-jährigen Stimme noch ein paar Schichten Patina fehlen: Dem Kleinod Clear Blue Eyes leiht Lucinda Williams ihr in 20 erfolglosen und einem guten Dutzend besseren Jahren auf der Country-Bühne durchgereiftes Organ, und für eine Reprise des Eröffnungsstücks El Camino lässt Willie Nelson himself seine ausgeleierten Stimmbänder zittern.

Für seine Jugend kann Amos Lee ja nichts. Umgekehrt wird ein Stiefel draus: Dass er jetzt schon in so große Fußstapfen treten kann, ohne auf die Nase zu fallen, ist beachtlich.

„Mission Bell“ von Amos Lee ist erschienen bei Blue Note.

Amos Lee spielt am 6. März in Berlin im Lido und am 7. März im Hamburger Stageclub.