Das vierte Album von Peaches klingt fantastisch: „I Feel Cream“ ist dickbassig produziert, tanz- und liebeslüstern inszeniert und dabei beseelter als die Platten zuvor
Das ist so eine Sache mit Frauen, Männern und dem Pop. In akademischen Zirkeln mögen die Geschlechterwelten und deren Mechanismen als durchschaut gelten. In der Vermarktung und musikjournalistischen Beschreibung von Popkultur greift weiterhin die hinlänglich bekannte Arbeitsteilung: Der Mann verkauft sein Werk, die Frau ihren Körper.
Was aber verkauft die in Berlin lebende Kanadierin Peaches? In den vergangenen zehn Jahren hat sie – in ihrem Pass steht Merrill Nisker – drei Alben mit Stücken wie Fuck The Pain Away und Lovertits, Shake Yer Dix, Fuck or Kill und Slippery Dick aufgenommen. Ihre Texte sind explizit, über die Bühne turnt sie in Seide, Lack und Leder, ihr Elektrorock hat gehörig Wumms. Und sie scheint selbst über ihren Körper zu verfügen, die Spielregeln des Sex zu bestimmen: Two Guys (For Every Girl) und Suck And Let Go, Unterwäsche, Achselhaare, Empfängnisverhütung, auch davon singt sie.
„Peaches – Und den Männern wird mulmig“, war kürzlich ein Spex-Interview mit der Künstlerin anlässlich ihres neuen Albums I Feel Cream übertitelt. Warum mulmig? Trieb die Dame den Fragesteller etwa unziemlich in die Enge? Haute ihm frivol auf den Po? Drohte gar mit Vergewaltigung? Die Frau, die ihre Sexualität öffentlich thematisiert, gleichzeitig aber die Autonomie ihres Körpers und ihrer Kunst offensiv propagiert, muss ihm eine Bedrohung gewesen sein. Zur Gegenwehr bemühte er das Bild vom männermordenden Monster, es greift ganz simpel und macht ihn zum Opfer. Mehr als aus dem Werk der Künstlerin speist sich dieser Schmus allerdings aus männlichen Projektionen.
Der Autor der Spex weiß also, in welche Schublade Peaches gehört, „abnorm“ steht drauf. Ihre Sexualität, ihre Körperlichkeit überhaupt, schickt sie in ein gesellschaftliches Abseits. Sie lässt sich in kein gängiges Muster von Geschlechtlichkeit pressen, das verwirrt ihn. Die Hülle ihres zweiten Albums Fatherfucker – Peaches posierte mit angeklebtem Vollbart – deutet er als Vorläufer von Charlotte Roches Roman Feuchtgebiete, in dem „Behaarung und Intimbehaarung als etwas Fremdes, Ekeliges dargestellt“ würden. Doch hier scheint sich vor allem der Autor selbst zu ekeln.
Und so geht es den meisten Kommentatoren. Im Interview versuchen sie Peaches feministische Aussagen zu entlocken, um sie – bei gleichzeitig überschwänglichem Lob ihrer Musik – als verbohrt darstellen zu können. Dass Peaches ihnen diesen Gefallen nicht tut, schert die meisten nicht. Denn in der geschmacklich männlich dominierten Popwelt wird einer Frau wie ihr sogar die Weigerung, regelmäßig ihre Körperbehaarung zu entfernen, als Provokation ausgelegt. So ist Verstören nicht schwer. Peaches wird das alles hoffentlich egal sein.
Die Musik? Aber ja: I Feel Cream ist ein fantastisches Album. Dickbassig produziert wie eh und je, tanz- und sexlüstern inszeniert und dabei beseelter als zuvor. Ungeheuer formenreich fliegen hier die Fetzen: Da ist der wohlbekannte Elektroclash, den sie seit einem Jahrzehnt kultiviert. Und da ist das soulige Bratzeln von Talk To Me – kein flehendes „Sprichdochbittemitmir“, nein, eine Belehrung der Marke Peaches: „He, du da, wenn du die Klappe nicht aufmachst, wird das nix mit uns. Deine Schuld, mir egal!“
Das Wummern von More bringe die Party in Gang, verspricht Peaches. Und der säuselige Refrain des Titelstücks hätte gar Kylie Minogue zur Ehre gereicht. Aber hätte die so detailliert davon gesungen, was eine Zunge anstellen kann? Auf Billionaire – na klar, „Fuck you like a …“ – helfen ihr die beiden wortgewandten Rapperinnen von Yo! Majesty die richtigen Worte zu finden. Und an anderer Stelle proklamiert Peaches: „I never go to bed without a piece of raw meat“, es sei ja schließlich „nothing wrong with a little bit of uh-ah!“ Auch auf I Feel Cream geht es beinahe nur um Sex. Wer hätte anderes erwartet?
Peaches verhökert mit I Feel Cream scheinbar wohlfeil ihren Körper. Erst zuhause merkt man, das sie einem eine Mogelpackung angedreht hat: Ein Abbild ihrer selbst, ein musikalisch ausgefeiltes Werk. Und solange die Gaffer nicht verstehen, wer hier die Hosen anhat, ist eine wie Merrill Nisker wahrlich vonnöten.
„I Feel Cream“ von Peaches ist auf CD und LP erschienen bei XL Recordings/Beggars Banquet/Indigo
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