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Und dann ein tabuloses Gitarrensolo

Sport beherrschen viele Disziplinen. Auf ihrem zweiten Album „Aufstieg und Fall der Gruppe Sport“ überfliegen die Hamburger den Trümmerhaufen der Rockmusik

Cover Sport

Gerade mal zwei Alben in zehn Jahren Bandgeschichte. Da liegt der Verdacht nahe, das Metier der Gruppe Sport sei die Gemütlichkeit. Ein paar große Worte korrigieren diesen Eindruck schon im Eröffnungsstück: „Wir bauen Dinge, die noch niemand kennt. Kein Umbau, das hier geht ans Fundament. Und wenn es klappt, die Schwerkraft aufzuheben, wird Isaac Newton sich im Grab umdrehen.“ Den absoluten Anspruch flankiert eine Ladung tonnenschwerer Gitarrenriffs. Es scheint, als hätten Sport die Zeit genutzt, um Kraft zu sammeln. Jedenfalls besitzen sie davon jede Menge.

Das Trio pflegt einen liebevollen Umgang mit dem Trümmerhaufen des Grunge, dieses zotteligen Zombies der frühen neunziger Jahre. Während uns ausschließlich die entsetzlichen Frisuren der damaligen Protagonisten im Gedächtnis blieben, haben sich Sport der musikalischen Innovation von Bands wie Soundgarden erinnert. Doch die Schönheit des Strähnigen ist nur eine der Fährten, die dieses Album legt. Es versammelt zehn Lehrstücke darüber, was sich alles mit einem Lied anstellen lässt – textlich, musikalisch und in der Wechselwirkung beider Sphären.

An der Grenze zum Hörspiel bewegt sich etwa das Stück Wie Ameisen: Eine erfolglose Vorband muss erleben, wie erst die Hauptband das Publikum in Raserei versetzt. Der Stadionsprecher kündigt „the fantastic Gruppe Sport“ an, dann erklingt ein tabuloses Gitarrensolo, und Sänger Felix Müller mimt den überspannten Glamrocker. An anderer Stelle werden Flugkörper mit musikalischen Morsezeichen kontaktiert („S-P-O-R-T“). Man hört das Gas im Heißluftballon und das Klatschen der Hände, die sich von ihren Zwängen befreien. Dass Klangmalerei derart mitreißen kann, mag naturwissenschaftlich irrelevant sein – künstlerisch haben Sport hier ein ganz neues Ding gebaut.

Aufstieg und Fall der Gruppe Sport handelt von der Ambivalenz des Höhenrausches und vom Versprechen der Ebene. Es ist hübsch mit anzuhören, wie sich im melancholischen Sinkflug die klarsten Gedanken einstellen: „All die Bilder, all die Filme, all die Melodien, die uns andere Räume bilden – bloß Momente, die uns blasengleich umhüllen in der Nacht.“ Dazu schalten auch die Klänge einen Gang runter, kreisen eine Weile, sammeln sich neu. Sport beherrschen viele Disziplinen.

„Aufstieg und Fall der Gruppe Sport“ von Sport ist als CD und LP erschienen bei Strange Ways

Hören Sie hier „Die Hände“

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The Low Frequency In Stereo: „The Last Temptation Of… Volume 1“ (Rec90/Cargo 2006)

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Unentspannte Musik für unentspannte Typen

Über die Jahre (6): Im August widmet sich der Tonträger Platten aus vergangenen Tagen. Heute: Das 1992 erschienene Album „Reformhölle“ der Hamburger Band Cpt. Kirk &., ein stilbildender Koloss voll schlecht gelaunter Lyrik und musikalischem Sturm und Drang

Cover Cpt. Kirk &

Ich bin Musiker. Die Reformhölle von Cpt. Kirk &. ist meine Lieblingsplatte. Keineswegs aber lege ich sie in besonders schönen Momenten auf, noch schwelge ich beim Hören in angenehmer Erinnerung. Für mich verbindet sich die Reformhölle weder mit der ersten Liebe noch mit einem schönen Urlaub oder sonst einer verklärten Episode. Sie war immer nur ein geliebter Feind. Alle paar Jahre habe ich sie zögernd aus dem Regal gezogen, den Kopfhörer aufgesetzt – und hätte sie 38 Minuten später am liebsten gegen die Wand gefeuert. Wieder einmal war ich der Reformhölle in meiner eigenen Musik nur hinterher gelaufen. Übrigens befinde ich mich in guter Gesellschaft: Manch unentspannter Musiker teilt meine Verzweiflung, und selbst Cpt. Kirk &. sind im mächtigen Schatten ihrer zweiten Platte weitgehend verstummt. Was das Album so unerreichbar macht? Weiß ich nicht, lass mich in Ruhe.

Vermutlich liegt das Geheimnis in Tobias Levins Gesang der flüssigen Nuancen. Gerade noch hat er in schmeichelndem Sing-Sang die falsche Sehnsucht nach behüteten Orten beschrieben, „wo Sonne und Mond scheint und wo Sonne den Mond nicht vertreibt“. Einen Moment später kippt die zerbrechliche Litanei mühelos in eine verbale Großattacke: „Schau, in allem was sich ändert, hat ein Kaufmann investiert.“ Levins hohe Stimme nimmt den Wechsel im Gleitflug, sie verwischt die Struktur und dehnt die Metren. Dazu spielt der Bass weite Bögen, und das Schlagzeug treibt sein eigenes, entfesseltes Spiel. Alles fließt.

Textlich gesehen ist Reformhölle poetisch verklausulierte Politik. Die Deutsche Einheit war erst wenige Jahre alt, und Levin schimpft auf neuen Nationalismus, auf Pseudofreiheit und die Selbstherrlichkeit des Kapitals: „Ohne Geld trifft hier die leergebeutete Welt auf reiches Gewissen“, heißt es in Kommt Alle Zugleich Nach D. Doch konkrete Beschwerden bilden die Ausnahme. Stattdessen hagelt es Zitate, Wortverdrehungen und kryptische Stabreime, die sich verquast lesen, doch begleitet von seiner Band ungeheuer elegant klingen.

Die Stücke bersten vor Dringlichkeit. Sie sind überschäumender Undergroundrock, wie er nur von empfindsamen 20ern gespielt werden kann – aber mit reichem historischen Hintergrund: Vom Jazz ist die emanzipierte Rhythmusgruppe entliehen, im Gesang tauchen HipHop-Phrasierungen auf, manche Klavierpassage erinnert an die Minimal Music, dazu rauscht ein romantisches Melodienmeer. Dass die Musik in ihren tausend Details alle Rahmen sprengt, deutet schon das sechsfache Wechselcover an. Nichtsdestotrotz hat das kollektive Popgedächtnis diese Platte in den trüben Topf „Hamburger Schule“ geschmissen.

Tobias Levin hat in früher Blüte sein musikalisches Vermächtnis abgelegt. Bald darauf wechselte er die Seiten und produziert heute Bands im Hamburger Electric Avenue Studio – darunter manch eine, die seinem Meisterwerk weit hinterhertrabt.

„Reformhölle“ von Cpt. Kirk &. ist als LP und CD erhältlich bei What’s So Funny About

Hören Sie hier „Hotel Ruhe“

Weitere Beiträge aus der Serie ÜBER DIE JAHRE
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(4) The Mothers of Invention: „Absolutely Free“ (1967)
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Während das Rührei leise schmort

Das schottisch-deutsche Trio Music A.M. verbindet elektronische Ästhetik mit einem fast nostalgischen Sinn für Musikgeschichte

Music A.M.

Der französische Komponist Erik Satie komponierte seine Musique Ameublement zwischen 1917 und 1920 als akustischen Hintergrund für bestimmte Räume. So alltäglich wie „das Licht, die Wärme“ sollte die Musik wirken – zum Zuhören war sie eigentlich nicht gedacht. Doch Satie machte einen Fehler: Er komponierte seine kreisenden Muster so berückend schön, dass ihnen die Menschen bis heute andächtig lauschen.

Kreisende Muster gibt es auch bei Music A.M., loopbasierte Tracks nennt man so etwas heute. Deren Funktion geht schon aus dem Projektnamen hervor, für den Vormittag sind sie gedacht. Doch anders als bei Satie, der wiederholt und vergeblich auf seine ursprüngliche Absicht hinwies, geht das Konzept bei Music A.M. geradewegs auf. Seit Wochen bereits ist der tragbare CD-Player in meiner Küche mit Unwound From The Wood bestückt. Immer wieder kommt es zu Momenten großer Rührung, während das Rührei leise schmort.

Die Musik des schottisch-deutschen Trios ist frei von Pathos. Sie scheint wie nebenbei komponiert, und man bemerkt sie erst, wenn sie schon unter der Haut ist. Zunächst nisten sich die gemächlich pulsierenden Beats und tieffrequenten Bassläufe ein, dann verströmen getragene Bläsersätze ein Gefühl von Vertrautheit. Schließlich sind es Luke Sutherlands sehnsüchtig gehauchte Textpassagen, die den ersten Kaffee zu einem Erlebnis außerhalb von Raum und Zeit machen. Dergestalt verstreichen die Tage.

Es wäre nicht verkehrt, Music A.M. eine Allstar-Band zu nennen. Schon seit Mitte der neunziger Jahre bereichern Luke Sutherland, Stefan Schneider und Volker Bertelmann die subkulturelle Musiklandschaft mit Projekten wie To Rococo Rot, Hauschka und Long Fin Killie. Gerade eben hat Schneider als Mapstation eine Platte voll reduzierter Rhythmusstudien veröffentlicht, Sutherland ist inzwischen ein angesehener Romancier. Der kleinste gemeinsame Nenner all ihrer Äußerungsformen ist eine Abneigung gegen Klischees jeglicher Art.

Auf Unwound From The Wood trifft elektronische Ästhetik auf einen fast nostalgischen Sinn für Musikgeschichte. Dazu passt, dass Sutherland in Stars On 45 ein großes Gefühl mit der Zeit verknüpft, als man noch Singles auf seinen Plattenspieler legte. Je genauer man hinhört, desto klarer schält sich der doppelte Charakter dieser Platte heraus: Sie ist zugleich zeitlos und aktuell; sachlich, aber auch sexy.

Man könnte dieses federleichte Gemisch in einer modischen Cocktail-Lounge laufen lassen, es würde sich als gedeckte Klangtapete sicherlich bewähren – doch schade wär’s um die schöne, tiefe Musik.

„Unwound From The Wood“ von Music A.M. ist als CD erschienen bei Quartermass/Alive.

Hören Sie hier „Stars On 45“