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Es lauscht das Gepflanzte

Stuart Staples ist Sänger der Großstadt-Melancholiker Tindersticks. Mit seinem zweiten Solalbum „Leaving Songs“ knüpft er an das Frühwerk der englischen Band an

Cover Staples

Topfpflanzen, wohin das Auge reicht. Kleine, große, karge, dünne. Farne auf Tellern, Gummibäume in Töpfen, Aloe Vera vor einer rosa angehauchten Zimmerwand. Man kann sich vorstellen, wie sie vom charakteristischen Tremolo des Sängers Stuart Staples in Schwingung geraten, wie ihre Blätter beim Musikhören zittern.

Als der 1965 geborene Musiker aus Nottingham im vergangenen Jahr sein erstes Soloalbum veröffentlichte, hatte das bereits etwas von einem Abgesang auf die opulent orchestrierten Stücke seiner Band. Von Trennung wollte trotzdem niemand reden. Lucky Dog Recordings 03-04 klang wie ein Gegenentwurf zu den Tindersticks: minimalistisch, karg, solitär. Zur Untermalung seiner Texte verzichtete er auf Streicherekstase, eine alte Orgel reichte ihm in seinem kleinen Studio. Das CD-Booklet mit den botanischen Einblicken passte prächtig, zusammen mit Frau Suzanne hatte Staples seine Hauspflanzen ins rechte Licht gerückt. Nur knapp ein Jahr danach folgt nun Solostreich Nummer zwei. Eingespielt worden ist Leaving Songs in Nashville, zusammen mit Lambchop-Produzent Mark Nevers, der zuvor schon Bonnie ‚Prince‘ Billy und Calexico ins Studio begleitete.

Staples macht einen Schritt zurück und einen zur Seite. Er erfindet sich solo nicht neu, sein Kosmos bleibt vertraut. Den Minimalismus der Lucky Dog Recordings hat er in Amerika an der Studiogarderobe abgegeben. Leaving Songs klingt wie eine Rückkehr in die Frühphase der Tindersticks, gepaart mit amerikanischem Liedgut. Große Gefühle packt er in fein inszenierte fünfminütige Pop-Dramen. Wer die Tindersticks nie mochte, für den klingt auch dieses Album nach romantisch-verklärter Rotwein-Musik.

Verflossene Beziehungen, Trennungen und die Unwägbarkeiten des Lebens stellen das narrative Arsenal. Der Titel Leaving Songs ist nicht zufällig gewählt: So viel Abschied war nie. Das Schlagzeug wird dazu zärtlich gestreichelt, das Piano liefert im Verbund mit der akustischen Gitarre Melodien, die im Kopf bleiben. Zwischendurch farbtupfern die Trompeten. Die Lieder stehen und fallen mit Staples Stimme. Man erkennt sie aus Tausenden. Ein in rauchigen Holzfässern gereiftes Timbre weist den Weg. Zwei Mal ergänzen weibliche Stimmen die Lieder zwischen Country-Ballade und Trauer-Pop. Auf Maria McKee hätte verzichtet werden können. Das Duett mit Lhasa de Sela gelingt überzeugender: That Leaving Feeling rauscht im Kindereisenbahnwaggon durch eine alte und eine neue Beziehung.

Leaving Songs ist ein schönes, wenn auch erwartbares Album geworden. An der Prägnanz des Band-Meisterwerks Curtains darf man es nicht messen. Staples hat seinen Frieden mit der Vergangenheit gemacht. Auf Konzerten lächelt er neuerdings des Öfteren. Trauersongs machen glücklich.

„Leaving Songs“ von Stuart Staples ist als LP und CD erschienen bei Beggars Banquet.

Sehen Sie hier „That Leaving Feeling“

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Zucker in den Ohren

Das Projekt Nouvelle Vague verzauberte vor zwei Jahren den Sommer mit Bossa-Nova-Versionen von Klassikern der Achtziger. Aus einer schönen Idee ist auf ihrem zweiten Album „Bande À Part“ Routine geworden

Nouvelle Vague

Der Moment war unvergleichlich. Der Strand von Saint-Malo im August 2004, hohe Wellen und Wind, Sonne und Meer. Und: Nouvelle Vague, ein Projekt, das die achtziger Jahre musikalisch nach Rio entführt. Dort im Sand geben Marc Collin, Olivier Libaux mit zwei Sängerinnen halbakustisch eines ihrer ersten Konzerte. Love Will Tear Us Apart spielen sie, Mongoloid von Devo und In A Manner Of Speaking von Tuxedomoon. Zärtlich gehauchte Weisen wechseln sich ab mit Punk- und Wave-Klassikern im Bossa Nova-Gewand. Wellen rauschen im Hintergrund, Kindergeschrei ist zu hören und der Geruch von Sonnencreme liegt in der Luft.

Eine der Sängerinnen, Camille, wird wenig später in Frankreich ein Star werden: als Erneuerin des Chansons. In Saint-Malo tanzt sie den Nachmittag über am Strand, singt eine lebensbejahende Version von Too Drunk To Fuck von den Dead Kennedys. Zwischendurch springt sie in die Fluten, um mit Algen behangen zurück ans Mikrofon zu eilen. Die Sonne brennt. Es ist ein merkwürdiger Nachmittag in der Bretagne und Nouvelle Vague liefern den perfekten Soundtrack dazu.

Damals in Saint-Malo und später auf ihrem ersten Album funktionierte die Kombination von New Wave-Liedern und Bossa Nova prächtig. Wer sich darauf einließ, hörte Sommermusik, die den Ahnen der achtziger Jahre fröhlich einen Sonnenbrand ins bleich geschminkte Gesicht zauberte. Zum Bossa wurde aufgespielt, Punk verzärtelte sich zu einem lasziven Versprechen.

So sehr dieses Spiel mit Erwartungshaltungen, mit Provokationen und lüstern-unschuldigen Blicken auf der Bühne zu Beginn funktionierte, so kalkuliert wirkte es später. Die Magie des ersten Mals ist verloren gegangen, auf halbem Weg zwischen Saint-Malo in den Lounge- und Kaffeehäusern der europäischen Metropolen. Auf ihrem zweiten Album Bande À Part verkommt eine an sich gesehen gute Idee zur Masche, zur Routine. Das liegt nicht einmal an der Auswahl der Stücke. Libaux und Collin beweisen einmal mehr genug Spürsinn, auch Abwegigeres aus ihrer musikalischen Sozialisation neben die erwartbaren Klassiker der ausgehenden Postpunk/Wave-Ära zu stellen. Echo & the Bunnnymen (Killing Moon) sind dabei und die Lords Of The New Church (Dance With Me), Visage (Fade To Grey) und Bauhaus (Bela Lugosi’s Dead).

Was auf dem Debüt allerdings Frische und Naivität versprühte, wirkt nun aufgesetzt. Camille hat die Band verlassen. Die beiden neuen Sängerinnen fügen sich in das bereits bestehende Konzept weitaus lieblicher ein. Natürlich macht auch Band À Part an der ein oder anderen Stelle Spaß: Ever Fall In Love von den Buzzcocks ist auch in der Bossa-Version ein guter Song, das vom Pomp befreite Dance With Me bringt einen zum lächeln. Anderes ist überflüssig: Yazoos Don’t Go ebenso wie die schwache Neudeutung von New Orders Blue Monday. Am Ende klebt Zucker in den Ohren.

„Bande À Parte“ von Nouvelle Vague ist als CD und LP erschienen bei PIAS

Hören Sie hier „Don’t Go“

Sehen Sie hier Bilder des Konzerts von Nouvelle Vague in Hamburg

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Batteriebetriebene Melancholie

Der amerikanische Klangtüftler Owen Ashworth alias Casiotone For The Painfully Alone galt bisher als Meister minimalistischer Weisen. Sein neues, viertes Album „Etiquette“ überrascht dagegen mit Opulenz

Cover Casiotone

Owen Ashworth aus Chicago, Illinois ist kein Mann, der irgendwo auf der Welt als Popstar durchgehen würde. Die paar Pfunde zu viel, die er auf den Hüften trägt, der Vollbart, die Brille und seine Unsicherheiten machen ihn auch optisch zu einem etwas verschrobenen Heimwerker tieftrauriger Weisen. Jeder, der ihn einmal auf der Bühne gesehen hat, wird das bestätigen.

Mit seinem Projekt Casiotone For The Painfully Alone beglückt er seit ein paar Jahren Freunde spartanischer Lieder. Der Name seines Projekts ist Programm. Ein batteriebetriebenes Mini-Keyboard der Marke Casio, holprige, vorprogrammierte Rhythmen und fein gearbeitete Texte steckten das künstlerische Feld ab. Dazu verhandelt er all die Miseren der Liebe und des Lebens. Die Seele der Stücke liegt in seiner Stimme. Traurig und intim klingt das, was er in seinen Mehrspur-Rekorder diktiert. Die Platten dazu heißen Answering Machine Music (Anrufbeantworter-Musik), Pocket Symphonies For Lonesome Subway Cars (Taschen-Sinfonien für einsame U-Bahn-Waggons) oder ganz aktuell: Etiquette.

Der Minimalismus der vorangegangen Platten ist auf dem neuen Tonträger etwas aufgeweicht worden: Etiquette ist Casiotone For The Painfully Alone in Cinemascope. Streicher, Piano, Orgel und Schlagzeug ergänzen das eng gezogene Korsett der Anfänge. Nashville Parthenon ist ein Country-Song im Elektronik-Gewand, Cold White Christmas träumt zu einer heimeligen Orgel von fernen Weihnachtsabenden, während der Blick nach draußen auf kahle Winterbäume fällt. Den Stücken tut die neu gewonnene musikalische Opulenz gut.

Auf der Bühne wird alles wieder zurückgeführt auf mehrere analoge Keyboards, Sequenzer und Stimme. Owen Ashworth ist kein Entertainer, er wirkt fast unfreiwillig ins Rampenlicht gezerrt. Die Füße, die schräg zum Publikum positioniert sind, der scheue Blick und die kurzen Ansagen sprechen Bände. Da steht einer auf der Bühne, der wundervolle Stücke schreibt, diesen aber lieber im Heimstudio den nötigen Schliff verpasst, als vor gierigen Blicken.

Ein Konzert wird so zu einer Erfahrung von Einsamkeit. Die Melancholie, die Vereinzelung, die Stücke mit Titeln wie I Should Have Kissed You When I Had A Chance, Tonight Was A Disaster oder Don’t They Have Payphones Where You Were Last Night durchwehen, wirkt nicht aufgesetzt, sondern authentisch. Das Leben verdichtet sich darin zu dreiminütigen, analogen Songminiaturen. Von der wahren Liebe, die so schwer zu finden ist, erzählt er, von dem schalen Geschmack nach einem One-Night-Stand am Neujahrsmorgen, von einem Schutzschild, der ihn vom wirklichen Leben trennt. Ob es sein eigenes Leben ist, von dem er unter dem Mantel fremder Geschichten berichtet? Man muss es fast glauben.

Bei seinen Konzerten spielt er manchmal ganz zum Schluss, als Zugabe, eine vollkommen zerhackte Version von Paul Simons Graceland. „Die Liebe zu verlieren“, heißt es darin, „gleicht einem Fenster in deinem Herzen. Jeder sieht, dass es dich umhaut, jeder spürt den Wind.“ Owen Ashworth trotzt diesem Wind: mit der Energie von drei Mignon-Batterien, einem kleinen, handlichen Keyboard und den wundervollen Songs seines Albums Etiquette.

Etiquette von Casiotone For The Painfully Alone ist als LP und CD erschienen bei Tomlab.

Hören Sie hier „New Year’s Kiss“

Weitere Stücke können Sie auf seiner Website hören