Eines der Lieblingswörter unserer Familie ist Astrid Lindgrens Drehumdiebolzeningenieur, von dem Lasse sagt, man müsse Pappscheiben an Lichtschaltern anbringen können, wenn man so etwas Feines werden wolle. Unsere Kinder waren vom Kindergartenalter an davon begeistert, zumal ihr Papa Ingenieur ist und ihr Interesse am Basteln früh geweckt hat. Auch heute noch, kurz vor dem Abitur, fällt dieses Wort von Zeit zu Zeit. Ob es wohl die Studienwahl beeinflusst?
Seit über 40 Jahren habe ich – immer im Dezember – ein Lieblingswort: Christkindl (Oder besser: »Chrischdkindl«, wie wir im heimatlichen bayrisch-schwäbischen Dialekt sagen.) Schon das Wort ist weich und rund, und wir Kinder wussten, dass dieser kleine Kerl in kurzem dünnem Kleidchen den ganzen Dezember die Fensterbänke abflog und Wunschzettel einsammelte. Welche Macht dieses kleine Wesen hatte: Es konnte all die Wünsche erfüllen und auch liefern! Das Wohnzimmerfenster musste dazu an Heiligabend nur einen klitzekleinen Spalt offen stehen. Das war das Weihnachtswunder! Als Erwachsene erfuhr ich dann vom Weihnachtsmann, bedingt durch meinen norddeutschen Ehemann. Wie profan! Ein dicker Mann mit dickem Mantel gegen die Kälte, der auch noch einen Schlitten zur Fortbewegung braucht! Unsere Kinder kennen aus paritätischen Gründen nun beide: das Christkindl (nun hochdeutsch) und den Weihnachtsmann. Die beiden haben sich die immer mehr werdende Arbeit in einer globalisierten Welt geteilt. Zu uns aber kommt weiterhin das Christkindl: Am Heiligen Abend steht die Terrassentür einen klitzekleinen Spalt offen.
Mein Wort-Schatz: schlaftrunken. Wenn ich am frühen Morgen nicht wie sonst mit meinem Mann aufstehe, sondern liegen bleibe, weil ich am Abend zuvor spät von einer Probe kam. Wenn er sich dann, bevor er das Haus verlässt, noch mal für ein paar Minuten zu mir legt. Dann schmiege ich mich an, nur zur Hälfte wach: schlaftrunken. Und glücklich.
Mein Wortschatz: die Zeitlupe. Ein wunderbares Wort, das es auf den Punkt bringt: die Zeit so vergrößern, dass kleinste Details wahrnehmbar werden. Wie bedauerlich, wenn stattdessen von Slow Motion oder gar von »Slo Mo« gesprochen wird. Warum hegen wir unsere Wort-Schätze nicht und geben sie so leichtfertig auf? Wir staunen doch immer über Sprachen, deren Vielfalt wir als poetisch empfinden, man denke an »Schnee, der auf Zedern fällt«. Bei uns fällt weniger Schnee und mehr Regen, dementsprechend haben wir den Dunst, den Niesel, den Fieselregen. Es tröpfelt, schauert, regnet Bindfäden, gießt wie aus Kübeln, schüttet aus Eimern… Und dann der Wolkenbruch! Was für ein Wort-Schatz! Ähnliche Vielfalt findet sich übrigens auch beim Geld: schnöder Mammon, Knete, Kies, Schotter, Kohle, Asche, Moos, Zaster, Moneten, Patte, Piepen, Pieselotten… Was sagt diese Vielfalt über uns aus? Das Vorangegangene jedenfalls illustriert, wie man »von Höcksken up Stöcksken« kommen kann. Darum sei an dieser Stelle Schluss!
Um Bettlaken oder Kopfkissen glatt zu bekommen, braucht man eine Mutter und ein Bügeleisen. So habe ich das als Kind in den siebziger Jahren wahrgenommen. Deshalb hat mich das Schild Heißmangel, das an einer Tür im Nachbarort hing, nie auch nur im Entferntesten an Wäsche denken lassen. Für mich war völlig klar, dass es dort ein Haus gab, in dem heißer, also riesiger, Mangel herrschte oder behandelt wurde. Heißhunger bedeutet ja auch, dass man fast unbezwingbar großen Hunger hat. Was für ein Mangel das dort war, war mir unklar, aber eigentlich auch egal. Es war beruhigend zu wissen, dass man bei Heißmangel eine Anlaufstelle hatte. Schade, dass solche Anlaufstellen nicht wirklich existieren – und dass inzwischen auch das Wort immer seltener zu lesen ist!
Zur Abwechslung mal ein Wort aus der Schweiz: Als ich ein Kind war, kam der Milchmann täglich ins Haus und brachte Milch, Butter, Rahm, Eier und so weiter – wie im Milchbüechli gewünscht. Es war ein einfaches Heftchen mit Zeilen für jeden Tag und dem Sortiment des Milchmannes. Ende des Monats nahm er das Büchlein mit und rechnete zusammen, was wir bezogen hatten, dann gingen wir in den Laden und bezahlten bar. Die Rechnung im Milchbüechli war einfach: Multiplikation und Addition. Und im übertragenen Sinne wird die Milchbüechli-Rechnung für alle logischen Zahlenoperationen verwendet, wie jedermann und jedefrau machen kann. Die astronomischen Finanzdebakel, Überschuldungen und Spekulationen mit nicht vorhandenen Gewinnen – mit einfachen Milchbüechli-Rechnungen wären sie zu vermeiden gewesen.
Wir sehen schon von Weitem die Schafe auf der Weide. Mit meiner Mutter – ihre Demenz ist fortgeschritten – bin ich im Auto unterwegs zu altbekannten Orten. Der Bauer an der Schafweide begrüßt uns. Im Gespräch bemerkt er die Verwirrtheit meiner Mutter. Ohne ein weiteres Wort läuft er weg und kommt nach einigen Minuten mit einem neugeborenen Lamm zurück. Er legt es meiner Mutter in die Arme. Erinnerungen werden wach, das Be-Greifen wird sichtbar. Gespür für einen Menschen, der nicht mehr rational begreift, das hatte dieser Mann. Es bräuchte mehr Menschen, die Gespür haben für das, was ältere Menschen, was Kinder brauchen. Gespür, das ist mein Wort-Schatz.
In der deutschen Sprache gibt es unzählig viele Wörter mit Nachsilben wie -heit, -keit oder -schaft, aber nur zwei mit dem Suffix -dei, nämlich Nackedei und Dambedei. Das erste ist synonym mit »Nacktfrosch« und allgemein gebräuchlich für Kinder, die nackt am Strand spielen oder sich gerade zum Duschen ausgezogen haben. Das zweite hat es mir jedoch mehr angetan: Das Wort Dambedei ist vor allem in meiner Karlsruher Heimat gebräuchlich und bezeichnet ein Hefeteig-Männchen mit Rosinenaugen. Es ist ein vorweihnachtliches Gebäck, und sein Name soll sich – eine von zahlreichen Theorien – als Abbild des Christkinds vom lateinischen (in nomine oder ad honorem) domini Dei herleiten. In neuerer Zeit wanderte der Dambedei jedoch im Kalender von Weihnachten über St. Nikolaus weiter nach vorn und wurde Synonym zum »Martinsmännchen«, das alle Kinder, die brav beim Martinszug mitgegangen waren und mitgesungen hatten, quasi als Belohnung erhielten. Beim Verteilen der Hefeteigmännchen konnte es auch schon mal zu unschönen Szenen kommen, wenn Eltern für ihre eigenen Sprösslinge gleich zwei oder mehr Männchen an sich rafften und manches Kind dann leer ausging. Es gibt freilich auch eine übertragene Bedeutung des Dambedei: ein unsportlicher Typ, etwas dicklich und weißbäuchig, oder gar ein »Hannebambel«, ein Mann ohne Rückgrat, der alles mit sich machen lässt. Doch als Erstes denkt man, wenn vom Dambedei die Rede ist, natürlich an den lecker schmeckenden Hefeteig-Mann aus Kindertagen.
Das Schreckwort huch! ist mir besonders lieb. Wenn uns ein kleiner, unvermuteter Schrecken mit seinen Fledermausflügeln streift, entfährt uns leicht dieses theatralische »huch!« in gehobener Stimmlage. Aber wir wissen gleichzeitig: Nichts Ernstes, gleich vorbei! Ein geniales Wort!
Seit Jahrzehnten höre ich gerne Reinhard Mey. Eines seiner Lieder, in dem das eher unmelodisch daherkommende Wort Luftaufsichtsbaracke Platz gefunden hat, schwebt nach wie vor über den Wolken. Aktuell ist es sogar in der SWR1-Hitparade unter den ersten 100 Hits aus aller Welt auf Platz 67 gelandet. Kompliment an den Sänger, dass trotz eines solchen Wortungetümes die Zuhörer gerne mit ihm fliegen!