Das ist mein erstes Diktat. Ich habe es als Erstklässlerin im Oktober 1967 geschrieben, offensichtlich stand der Buchstabe M auf dem Lehrplan. Die stolzen Eltern haben beide unterschrieben. Das Blatt hat die Zeiten überdauert und wurde mir zu einem ganz wichtigen Erinnerungsstück: Meine damalige Lehrerin ist der Grund dafür, dass ich heute (nun schon seit über 25 Jahren) selbst im Lehrberuf tätig bin, und zwar im Fach Deutsch. Der Unterricht dieser Lehrerin war so faszinierend, dass für mich gleich am ersten Schultag feststand: Das will ich auch mal machen! Geglaubt hat mir das damals keiner so recht. Aber hier stehe ich und danke meine Freude an der richtigen Berufswahl einer engagierten jungen Referendarin, die uns Erstklässler immer spüren ließ, wie wichtig und einmalig jeder von uns ist.
Ein im Zeitalter der Globalisierung und des Schengener Abkommens (aber auch bayerischer Separationsbestrebungen; d. Red.) faszinierendes Dokument fand ich zufällig im Nachlass meiner Eltern: die in der Nachkriegszeit erforderliche Genehmigung für den Zuzug unserer dreiköpfigen Familie nach Bayern. Hintergrund war, dass die Firma Siemens, der Arbeitgeber meines Vaters, die Hauptverwaltung aus dem »unsicheren« Berlin ins »sichere« Bayern verlegen wollte. In Erlangen, dem neuen Standort, wurde ein völlig neuer Gebäudekomplex samt Wohnsiedlung aus dem Boden gestampft. Am letzten Apriltag 1951 kam abends der Möbelwagen. Ich war damals dreizehn Jahre alt und wurde auf einem Sofa auf der Ladefläche zum Schlafen gelegt. Am nächsten Morgen durfte ich nach vorne ins Führerhaus, und so trafen wir am 1. Mai bei blauem Himmel und Sonnenschein in unserem neuen Domizil ein. Dort lebe ich noch heute.
Nach dem Tod meiner Mutter vor zwei Jahren fand ich die Liebesbriefe meines Vaters. Meine Eltern schrieben sich unbekannterweise über fünf Jahre, während mein Vater in Stalingrad und später in Sibirien in Kriegsgefangenschaft war. Sie hatten sich vorher kein einziges Mal gesehen. Sie waren sich aber sicher, dass sie füreinander bestimmt seien und eines Tages heiraten würden. Nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft machte sich mein Vater todkrank zu Fuß auf den Heimweg. Allein die Liebe zu meiner unbekannten Mutter hielt ihn am Leben. In Frankfurt an der Oder gab er 1949 dieses Telegramm an sie auf: »Ich komme _ erwarte Dich _ Dein Helmut«. Sie trafen sich insgesamt drei Mal, bevor sie schließlich heirateten, sie bekamen vier Kinder und waren bis zum Tod glücklich miteinander.
Diese Karte schrieb meine Mutter an meinen Vater, den Obergefreiten Johannes Kellermann, der in Frankreich in Kriegsgefangenschaft war. Sie berichtete ihm von meiner Geburt. Dies geschah allerdings erst mehr als zwei Monate nach meiner Geburt. Im Jahr zuvor war das zweite Kind meiner Eltern, der kleine Lothar – im Alter von knapp zwei Jahre – auf der Flucht vor den Bomben auf die Stadt Krefeld gestorben. Er wurde in Niedermarsberg im Sauerland beerdigt.
Die Karte erreichte meinen Vater nicht, sie kam zurück. Wann er aus der Gefangenschaft entlassen wurde, weiß ich nicht.
Von diesen ganzen Vorgängen erfuhr ich erst vor etwa zwei Jahren, als meine Schwester, die auf der Karte Liesel genannt wird, das Schreiben in den alten Unterlagen meiner 1979 und 1981 verstorbenen Eltern fand. An unseren Familiennamen habe ich inzwischen wieder das ursprünglich gebräuchliche s angehängt.
Das ist der Flugzeugführer-Ausweis für Doppeldecker, den mein Opa Julius Wenger, Jahrgang 1895, im Jahr 1918 gemacht hat. Ich bewahre diesen Ausweis voller Stolz auf. Als mein Opa noch lebte, erzählte er mir immer vom Fliegen. Er konnte es nicht verstehen, wenn man nicht so viel Interesse zeigte, wie er erwartete. Für ihn war das Fliegen das Schönste, obwohl er nach dem Ersten Weltkrieg nicht mehr offiziell flog. Soweit ich mich erinnere, ist er in den siebzigerer Jahren aber noch einige Male mit einem Sportflugzeug in die Lüfte gegangen.
Ischgl, Tirol, im April 2002. Der Hotelier Günther Aloys hat keine Kosten und Mühen gescheut, um den 42. Präsidenten der USA, Bill Clinton, kurz nach dessen zweiter Amtszeit zu einem Besuch auf die 2300 Meter hoch gelegene Idalpe einzuladen. Clinton wird eine Message from the Mountains an die Jugend Europas richten. Geheimdienstmitarbeiter bereiten den Aufenthalt des Ex-Präsidenten minutiös vor. Als Journalistin soll ich darüber berichten. Kurz zuvor war ich in Disneyland Paris, habe noch meine Eintrittskarte. In Plastik eingeschweißt, an einem breiten schwarzen Band. Nicht ganz ernsthaft sage ich, das sei mein »pass to the president«. Heiterkeit. Dann Hektik. Und so schaffe ich es mit meiner gelben Mickymaus-Akkreditierung tatsächlich bis in den VIP-Bereich. Bill Clinton kommt mit ausgestreckter Hand auf mich zu und begrüßt mich mit einem freundlichen »Hello again!«.
Meine Tante, die 1927 geboren wurde, hat alte Schulhefte gefunden, in denen wir kürzlich zusammen gelesen haben. Wirklich sehr beeindruckend sind die Sprache, die Rechtschreibung und die schöne Schrift der damals erst Sieben- oder Achtjährigen. Bei ihr wurde die Messlatte allerdings auch immer besonders hoch angelegt, da ihr Vater gleichzeitig ihr Lehrer war. Ebenfalls prägend war sicher die Erfahrung, mit Kindern von bis zu vier Klassenstufen gleichzeitig in einem Zimmer unterrichtet zu werden. Irritierend für uns heute, aber wohl typisch für die Zeit: Zwischen Aufsätzen wie »Unterm Christbaum« und weiteren herrlichen Geschichten finden sich auch immer wieder Bilder von Fahnen und Aufmärschen der Nazis.
Unter den vielen Erinnerungen an meine Zeit in Shanghai (1994 bis 1998) fand ich dieses in roten Samt gebundene Dokument. Es ist meine Ernennung zum General Manager eines deutsch-chinesischen Joint Ventures. Der Schreibfehler in meinem Vornamen hat mir immer gut gefallen. Ich habe ihn nie beanstandet, sondern eigentlich genossen. War es vielleicht Absicht? In unserem internationalen Bekanntenkreis vor Ort brachte mir die Buchstabenverwechslung übrigens den Beinamen Mr. Peaceful ein.
Unser Enkel war kürzlich mit der Schulklasse nach London unterwegs. Da erinnerte ich mich meiner ersten Klassenreise im Jahr 1951. Ein Bus brachte uns von Hamburg in die Lüneburger Heide. 18,50 Mark mussten unsere Eltern für die zwölf Tage in der Jugendherberge zahlen, was niemandem leichtfiel. In den Wochen zuvor hatten wir Altpapier gesammelt, der Erlös aus dem Verkauf beim Trödler schloss die finanziellen Lücken. Unsere Lehrerin belohnte ihre Schüler ob der Selbsthilfe, etwa mit einem Reclam-Heft mit Widmung »für fleißiges Sammeln«. Vierzig Jahre später übernachteten die Überlebenden der Klasse zur Erinnerung noch einmal in dieser Herberge, aber das ist auch schon wieder lange her …
Bei der Suche nach einem alten Bild fiel mir die Eintrittskarte für das Fußball-WM-Finale 1966 in Wembley in die Hände. Ich hatte mir diese Karte für drei englische Pfund auf dem Schwarzmarkt gekauft. Kurz nach Spielbeginn schoss Helmut Haller das 1 : 0 für Deutschland. Jubelnd riss ich die Arme hoch, um kurz darauf erstarrend um mich zu schauen. Ich war der Einzige, der jubelte! Alle anderen Zuschauer waren wohl Engländer. Ich wurde etwas skeptisch angeschaut, aber kein böses Wort. Das Spiel ging 4 : 2 für England aus. Die mir nach meiner Rückkehr am meisten gestellte Frage lautete: »War der drin?« Gemeint war das umstrittene 3 : 2 für England. Ich kann es nicht sagen. Ich stand 200 Meter entfernt, aber ich konnte es nicht erkennen!!