Ein Journalist sollte dahin gehen, wo es weh tut. Wenige beherzigen dieses Motto so sehr wie Stefan Aigner, 40, der auf seinem Blog „regensburg-digital“ jene kritische Berichterstattung betreibt, die den regionalen Medien in der ostbayerischen Stadt zu heikel ist. Aufgrund seiner investigativen Arbeit musste sich Aigner in den vergangenen fünf Jahren dreimal vor Gericht verantworten: gegen das Möbelhaus XXXLutz, den Rüstungskonzern Diehl und gegen die katholische Kirche – jedesmal mit Erfolg. Um der chronischen Unterfinanzierung beizukommen, hat er einen Förderverein für „regensburg-digital“ gegründet, trotzdem liegt Aigners Einkommen nach wie vor weit unter dem seiner Berufskollegen. Ehrliche journalistische Arbeit ist ihm wichtiger als Geld – das danken ihm jeden Monat rund 80.000 Besucher auf seinem Blog.
Was ist für Sie das vollkommene Blog?
Gibt es nicht. Vollkommenheit bedeutet Stillstand.
Mit welchem Blogger identifizieren Sie sich am meisten?
Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht.
Was ist online Ihre Lieblingsbeschäftigung?
Surfen.
Was ist offline Ihre Lieblingsbeschäftigung?
Labern. Tanzen. Rauchen.
Bei welcher Gelegenheit schreiben Sie die Unwahrheit?
Nie!
Ihr Lieblingsheld im Netz?
Viele, in ständig wechselnder Besetzung. Derzeit unter anderem Jakob Appelbaum. Er erklärt das Netz, den Kampf um dessen Freiheit und was das alles mit dem ganz realen Leben, Demokratie, Menschenrechten etc., zu tun hat, so, dass ich es verstehe. Er macht das (bei allem gebotenem Ernst) mit einer Begeisterung, die unterhält und motiviert. Und mit einem Mut, der ansteckt.
Ihr Lieblingsheld in der Wirklichkeit?
Horst Czerny, Journalist, Chefredakteur der Straubinger Woche in den 50ern, Überzeugungstäter, „Kommissar aus der Hölle“ (Zuruf von der Kirchenkanzel).
Welche Eigenschaften schätzen Sie an Menschen, denen Sie im Netz begegnen?
Ausdrucksfähigkeit, Textverständnis und, wenn das alles gegeben ist, Diskussionsbereitschaft.
Welche Eigenschaften schätzen Sie an Menschen, denen Sie in der Wirklichkeit begegnen?
Authentizität, Menschlichkeit, Lebensfreude.
Was mögen Sie im Netz am wenigsten?
Trolle, den losgelassenen Kommentar-Lynchmob („Schwanz ab“, „Kopf ab“, „abschieben“) und aufdringliche Werbe-Popups.
Was stört Sie an Bloggern am meisten?
Mit dem Begriff „Blogger“ als spezielle Klasse von Internet-Schreibern kann ich nicht viel anfangen, außer man bezeichnet damit alle und jede(n), der im Netz veröffentlicht. Von denen mag ich nicht: Lügner, Klickhuren und Hetzer.
Was stört Sie an sich selbst am meisten?
Selbstzweifel, Egozentrik, Unorganisiertheit (nicht ganz so schlimm).
Ihr glücklichster Moment als Blogger?
Beruflich: Das Urteil des Landgerichts Regensburg im Rechtsstreit Stefan Aigner ./. XXXLutz mit dem schönen Satz: „Das Verbreiten wahrer Tatsachen ist grundsätzlich nicht rechtswidrig.“
Persönlich: Als ein Opfer sexuellen Missbrauchs bei den Regensburger Domspatzen mich angerufen und gesagt hat, dass es ihm durch meine Berichterstattung besser geht.
Was halten Sie für Ihre größte Errungenschaft als Blogger?
Ganz konkret: Nach mehreren Unterlassungsklagen gegen mich hat die Gewerkschaft ver.di klargestellt, dass freie, bloggende Journalisten (oder freie journalistische Blogger) von ihren Richtlinien erfasst sind und Rechtsschutz bekommen können. Das war vorher – zumindest in Bayern – so nicht geklärt. Darauf kann sich seitdem jede(r) berufen.
Ganz allgemein: Immer noch (und das zunehmend nicht allein) zu schreiben, immer noch neugierig zu sein, mich immer noch über etwas aufregen (oder freuen) zu können und immer noch dem Glauben anzuhängen, dass Geld garantiert nicht alles ist.
Über welches Talent würden Sie gern verfügen?
Ein Musikinstrument spielen zu können
Als welcher Blogger möchten Sie gern wiedergeboren werden?
Stefan Aigner, alternativ als Spatz
Ihre größte Extravaganz?
Ein Hut, komische Schuhe, Prosecco Grapefruit.
Ihre gegenwärtige Geistesverfassung?
zurechnungsfähig.
Ihr Motto?
Das Wichtigste im Getriebe ist der Sand.
(c) Hubert Lankes