(c) Hauke Walden
Von Antarktis über Italien bis Patagonien – gemeinsam mit Emma, ihrer Kamera, hat Inka Chall in den letzten Jahren einiges von der Welt gesehen. Von großen und kleinen Abenteuern zwischen Wildnis, Garten in Berlin und eigenen Erinnerungen berichtet die 39-jährige technische Redakteurin in ihrem Blog blickgewinkelt. Einen roten Faden, sagt sie, gibt es nicht – denn Inka Chall findet die Welt zu spannend, um sich für nur eine Ecke zu entscheiden. Stattdessen einen die Wortwitz, eine scharfe Beobachtungsgabe und beeindruckende Bilder ihre Texte.
Was ist für Sie das vollkommene Blog?
Wollen Sie diese Frage nicht langsam mal ändern? Weil, da antworten ja alle immer das Gleiche drauf: Einen vollkommenen Blog gibt es nicht, weil vollkommen ist ja langweilig blabla… Ok, dann meine Antwort: Der perfekte Blog erfüllt sein Ziel. Die Frage ist, was ist das Ziel?
Mit welchem Blogger identifizieren Sie sich am meisten?
Ich bin wohl nicht schizophren genug, um mich mit jemand anderem zu identifizieren als mir selbst. Wenn ich unbedingt jemanden nennen muss: Vielleicht mit Glumm. Glumm ist total anders als ich. Er ist ein Mann. Er arbeitet nachts. Er stellt Fotos von sich auf dem Klo ins Internet. Er schreibt viel über die Vergangenheit. Aber er ist ein bisschen merkwürdig, das passt, und wenn ich seine Worte lese, kommt er mir häufig so vertraut vor wie ein verschollener Bruder, ich habe keine Ahnung warum. Vermutlich könnte ich ihn nicht leiden, wenn er mir gegenüber sitzen würde.
Was ist online Ihre Lieblingsbeschäftigung?
Ich weiß immer nicht, ob ich das wirklich „mich inspirieren lassen“ nennen soll oder einfach „Ideen klauen“. Außerdem: Prokrastinieren, mich über beknackte Dinge kaputt lachen und mich jenseits der üblichen Medienlandschaft informieren.
Was ist offline Ihre Lieblingsbeschäftigung?
Mann, Garten, Reisen, Fotografieren, immer irgendetwas Neues ausprobieren, Konzerte kleiner unbekannter Berliner Künstler, irgendwo Dinge entdecken, Zelten, Wandern, Dinge tun, bei denen ich das Gefühl habe, schlauer zu werden, verbunden mit viel Spaß haben. Sex darf man nicht schreiben, oder? In loser Reihenfolge.
Bei welcher Gelegenheit schreiben Sie die Unwahrheit?
a) Wenn ich irgend etwas total doof fand, aber weiß, dass es nur wegen meinem PMS doof war. Dann winde ich mich normalerweise geschickt um die Beschreibung oder Beurteilung herum. Das ist zwar nicht die Unwahrheit schreiben, aber eben auch nicht die Wahrheit. Mein PMS gehört nur mir.
b) Wenn ich mich mal wieder unfassbar trottelig verhalten habe. Über sechs Trotteligkeiten kann der Leser lachen, bei der Siebten wird’s peinlich, die lasse ich dann weg oder schreibe im Notfall die Story um. Was ich selbstverständlich abstreite.
Ihr Lieblingsheld im Netz?
Der Mann. Er ist so unglaublich schlagfertig, und er tut etwas im Netz, womit ich schon seit langem aufgehört habe: Er diskutiert über Politik. Ich bewundere, dass er nicht damit aufhört, weil es so unglaublich aufraucht und er die Energie ja woanders für sich selbst einsetzen könnte.
Ihr Lieblingsheld in der Wirklichkeit?
Der Mann. Oh Gott, bin ich langweilig. Dann lieber schnell noch meine Helden in Spiderman-Manier: Menschen, die sich politisch bzw. journalistisch engagieren und dabei ihr Leben riskieren und das nicht nur aus Adrenalinsucht tun. Vor diesen Menschen habe ich tiefen Respekt. Und ich bewundere so einige Menschen in meiner Familie, angefangen mit meinem Großvater, der ein sehr politischer, engagierter und idealistischer Mensch und ein großartiger Dichter in Zille-Tradition war. Leider hat er die meisten Gedichte mit ins Grab genommen. Ein Kleines kenne ich auswendig:
Ich habe Dich im Stehn` geküsst,
im Sitzen und im Liegen,
und wenn Du mal ein Engel bist,
dann küss ich Dich im Fliegen.
(Herbert Chall)
So verschmitzt, wie er seine Gedichte vortrug, mit dem leicht schnodderigen Berliner Dialekt, musste er einfach mein Held werden.
Welche Eigenschaften schätzen Sie an Menschen, denen Sie im Netz begegnen?
Wie im Offline-Leben: Humor, sich selbst nicht ganz so ernst zu nehmen und Dankbarkeit für das, was man hat. Nicht zu verwechseln mit trotteliger Loyalität oder Kritiklosigkeit.
Welche Eigenschaften schätzen Sie an Menschen, denen Sie in der Wirklichkeit begegnen?
Zusätzlich zu den geschätzten Eigenschaften im Netz: Wache Augen, einen guten Händedruck und gut riechen dürfen sie auch noch.
Was mögen Sie im Netz am wenigsten?
Egozentrismus und Unhöflichkeit, z.B. die absolut furchtbare, um sich greifende Unverbindlichkeit. Dass Technologie häufig entscheidender ist als der Content, um über den Erfolg einer Seite zu bestimmen. Irgendwie verständlich, trotzdem ärgerlich. Und dass trockener Humor leider meist nicht funktioniert; ich werde häufig verkannt.
Was stört Sie an Bloggern am meisten?
Die ewige Rennerei nach der Reichweite und dass dann so mancher manchen Quatsch mitmacht, weil er oder sie meint, das müsse jetzt alles getan werden.
Was stört Sie an sich selbst am meisten?
Dass ich viel zu wenig gute Bücher lese. Und auch zu wenig schlechte.
Ihr glücklichster Moment als Blogger?
Glück gehört für mich zu den großen Worten, mit denen ich lieber nicht inflationär umgehe. Ich habe mich sehr gefreut, als ich das erste Mal von einer anderen Reisebloggerin nach einem Interview gefragt wurde. Da habe ich gedacht, dass ich so blöd wohl nicht rüberkommen kann. Haben Sie das gemeint? Sonst so: Mein Leben macht mich glücklich, häufig genug.
Was halten Sie für Ihre größte Errungenschaft als Blogger?
Dass ich meinen Spielplatz gefunden habe. Ich glaube, jeder Mensch, egal in welchem Alter, braucht einen Spielplatz. Und dass die Idee, eine Berliner Bloggergruppe zum Thema Fotografie zu gründen, Wirklichkeit geworden ist und ganz feine Menschen zusammengebracht hat. Wir hatten neulich unser erstes Barcamp.
Über welches Talent würden Sie gern verfügen?
Menschen zum Lachen zu bringen. Ich versuche es, aber ich denke, so ein richtiges Talent dafür wäre toll. Und ich würde gerne mit Tieren kommunizieren können, vor allem mit Kamelen, dann würde ich sie zu ihrer kollektiven Erinnerung interviewen.
Als welcher Blogger möchten Sie gern wiedergeboren werden?
Als einer, der so schlau ist, in den 90er Jahren mit dem Bloggen anzufangen. Dann wäre ich heute ’ne große Nummer. Und nein, ist nicht unlogisch, hat ja niemand gesagt, dass Wiedergeburt zeitlich linear abläuft.
Ihre größte Extravaganz?
Mein Hilleberg-Zelt. Und dass ich keinen Führerschein habe und der Mann mich immer chauffieren muss, wenn wir das Auto nehmen.
Ihre gegenwärtige Geistesverfassung?
Müde und glücklich.
Ihr Motto?
Der rote Faden ist ein Mythos.
Zuletzt füllten Jannis „schmerzwach“ Plastargias, Sascha Pietsch und Peter Kempe vom Männermodeblog Horstson, New Yorker Modefotograf Ari Seth Cohen, Fußballtrainer Frank Baade, Inés „Kaltmamsell“ Gutiérrez, Antonietta Bonanno von „Vintage Curves„, Taxiblogger Sascha Bors, Fotografin Birgit Engelhardt, Mode- und Entertainmentbloggerin Niki Blasina und Stilpirat Steffen Böttcher unseren Proust-Fragebogen für Blogger aus.