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Der Oskar-Code

Der Wahlkampf im Saarland nimmt außergewöhnliche Züge an. Der ehemalige SPD-Ministerpräsident Reinhard Klimmt organisiert derzeit eine Unterschriften-Aktion für Heiko Maas, in der sich alle ehemaligen SPD-Minister des Landes offen zum SPD-Kandidaten bekennen sollen. In jedem anderen Bundesland käme dies einem Offenbarungseid gleich, schließlich sollte die Unterstützung ehemaliger Minister für ihre Partei eine Selbstverständlichkeit sein. Im saarländischen Wahlkampf 2009 könnte dieses Signal an die Wählerschaft jedoch tatsächlich den gewünschten Effekt entfalten: Es geht darum, die zur Linkspartei abgewanderten Wähler wieder für die SPD zu gewinnen.

Das Kalkül lautet folgendermaßen: Viele Wähler sind auch deshalb bereit, die Linke zu wählen, weil diese Partei in Person des ehemaligen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine die politischen Erfolge vergangener SPD-Regierungen für sich reklamiert. Daher gilt es nun klar zu machen, dass diese Erfolge nicht auf die Person Lafontaine, sondern auf die Regierungspartei SPD zurückzuführen sind. Stellvertretend dafür werden die sozialdemokratischen Kabinettsmitglieder der Lafontaine-Ära angeführt, die die damaligen politischen Entscheidungen geschultert und verantwortet haben.

Das Stimmenpotenzial, das dieser Frage innewohnt, lässt sich erahnen, wenn man das saarländische Ergebnis der Europawahl der jüngsten Umfrage zu Landtagswahl von Infratest dimap gegenüberstellt und sich dabei vor Augen hält, dass die Zugkraft des Spitzenkandidaten Lafontaine auf Landesebene sehr viel größer ist als im Rahmen der Europawahl.

Saarländische Umfrage- und Wahlergebnisse im Vergleich

Angaben in Prozent. Quellen: Infratest dimap und Bundeswahlleiter.

Es zeigt sich, dass die Linkspartei bei der Europawahl sechs Prozentpunkte weniger erreicht hat, als ihr in Umfragen zur Landtagswahl zugetraut wird. Davon konnte jedoch keine der etablierten Parteien profitieren, stattdessen teilen sich diese sechs Prozentpunkte unter den kleinen Parteien auf. Beispielsweise konnten die Freien Wähler, die Piraten- und die Rentnerpartei aus dem Stand zusammen knapp drei Prozent der Stimmen erringen.

Diese Differenz zwischen Umfragedaten und Wahlergebnis der Linkspartei kann natürlich nicht allein auf das Zugpferd Lafontaine zurückgeführt werden, schließlich standen bei der Europawahl nicht nur andere Personen, sondern auch andere Themen im Vordergrund. Ein weiteres klassisches Argument gegen die Übertragbarkeit von Europawahlergebnissen auf die Landesebene ist die zumeist deutlich höhere Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen. Dies ist hier jedoch nicht gegeben, das Saarland konnte bei der Europawahl mit 58,6% die höchste Wahlbeteiligung aller Bundesländer verzeichnen. Bei der letzten Landtagswahl 2004 sind 55,5% der Wahlberechtigten an die Urnen gegangen.

So liegt die Vermutung nahe, dass tatsächlich einige Saarländer eher Oskar Lafontaine als der Linkspartei als solcher zugeneigt sind. Diese Menschen haben an der Europawahl nicht teilgenommen, weil keine Partei sie ansprechen konnte. Es bleibt die entscheidende Frage: Wie knackt man den Oskar-Code?

 

Wo sind all die Themen hin, wo sind sie geblieben? Die SPD im Kampf um ihre Kernkompetenzen

Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit sind gerade in Zeiten der Finanzkrise Themen, wenn nicht sogar die Themen, die Bürger bewegen. Für diesen Bundestagswahlkampf ist es für Parteien folglich wichtig, gerade diese Themen zu besetzen und von den Wählern als kompetent angesehen zu werden.

Aus der Wahlkampfkommunikationsforschung wissen wir, dass Parteien besonders erfolgreich bei der Vermittlung von Themen sind, wenn es ihnen gelingt diese mit „Köpfen“, d.h. mit Spitzenpolitikern, zu verbinden. Werden Spitzenpolitiker als Experten für bestimmte Themen von den Wählern wahrgenommen, ist es für eine Partei einfacher, diese Themen als ihre Kompetenzen zu verkaufen. Das Thema „Wirtschaft“ wurde traditionell immer eher der CDU/CSU als Kompetenz zugeschrieben, selbst Schröder gelang es rückblickend nicht, die Wähler davon zu überzeugen, dass er bzw. seine Partei die richtige Wahl für die Lösung wirtschaftlicher Fragen sei: Nur 19% der Wähler gaben beispielsweise im Politbarometer Juni 2002 an, Schröder sei kompetenter im Bereich Wirtschaft, wohingegen 29% Stoiber für den Kompetenteren in diesem Bereich hielten.

Blickt man auf die Sympathiewerte für den christsozialen Wirtschaftsminister zu Guttenberg, der im Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen im Juni 2009 gleichauf mit Kanzlerin Merkel auf dem ersten Platz liegt, so dürfte es für die SPD auch in diesem Wahlkampf kaum möglich sein, das Thema Wirtschaft für sich zu entscheiden. Auch die Kompetenzzuweisung für den Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier spiegelt dies nur all zu deutlich wieder, lediglich 10% halten ihn für kompetent wirtschaftliche Probleme zu lösen, im Vergleich dazu kommt Angela Merkel auf 25%.

Quelle: ZDF-Politbarometer Juni 2009

Hier lässt sich die CDU also nicht die Butter vom Brot nehmen. Noch kein Grund zur Panik, denn es bleibt ja noch das Thema „Soziales“, das traditionell der SPD zugeschrieben wird. Hier müsste die SPD eigentlich punkten. Eigentlich… denn auch bei der Kenkompetenz „Soziales“ hat es die CDU scheinbar geschafft, den Sozialdemokraten den Rang abzulaufen: 26% der Wähler vertrauen auf die Kanzlerin Merkel, wenn es um soziale Gerechtigkeit geht, nur noch 20% der Wähler sehen Steinmeier kompetenter auf diesem Gebiet.

Betrachtet man die Beliebtheitsliste der Spitzenpolitiker in Deutschland, lässt auch diese keinen Zweifel zu: Mit 2,0 Punkten führt die Kanzlerin zusammen mit ihrem Wirtschaftsminister das Ranking an, der CDU ist es also gelungen, ihre Spitzenpolitiker mit den zentralen Wahlkampfthemen zu verknüpfen. So gut, dass selbst die Kernkompetenz der SPD nun der Kanzlerin zugeschrieben wird. Das Worst-case-Szenario: Die beiden großen Themen „Wirtschaft“ und „Soziales“ sind von den Spitzenpolitikern der CDU besetzt, wovon eines ein Kernthema der SPD ist. Ohne die wichtigen Wahlkampfthemen besetzen zu können und vor allem ohne das Vertrauen der Wähler in ihre Kernkompetenzen wird es für die SPD jedoch schwer, bei der Bundestagswahl zu punkten. Jetzt gilt es für die Genossen, ihren Kanzlerkandidaten Steinmeier in eine Linie mit den traditionellen Themen zu bringen. Gelingt dies, ist das zwar eine notwendige Bedingung für einen Wahlsieg, jedoch noch lange keine hinreichende…

 

Volksparteien gibt es nicht

Journalisten und Wissenschaftler sind sich einig wie selten und die Wahlkämpfer der Gegenseite genießen den Befund: Die SPD ist keine Volkspartei mehr. Endgültig. Schwache Wahlergebnisse (zuletzt noch magere 20,8 Prozent bei der Europawahl), anhaltender Mitgliederschwund und geringes Vertrauen ins politische Personal sprechen seit langem eine deutliche Sprache.

So war es am Wahlparteitag vorgestern vielleicht Frank-Walter Steinmeiers Hauptaufgabe, das Bild der gebrechlichen alten Dame SPD zurechtzurücken und den Anspruch zu untermauern, eine Partei für das gesamte Volk zu sein. „Ich will Kanzler aller Deutschen werden“, sprach der Kandidat, und er machte auch deutlich, wo er sich dabei verortet: „Wir dürfen die Mitte der Gesellschaft nicht räumen.“

Was aber ist dran am Nimbus Volkspartei? Der Begriff stammt aus der politikwissenschaftlichen Forschung der 1960er Jahre – und streng genommen gehört er genau da auch hin. „Volkspartei“ war damals ein Synonym für „Allerweltspartei“, im Englischen sprach man von einer „catch all party“ oder einem „big tent“. Diese Wortschöpfungen zeigen: Die Konnotationen waren durchaus gemischt. Eine Partei setzt auf allumfassende Breitenwirkung und vermarktet sich und ihr Spitzenpersonal auf Kosten ihrer Ideologie, das kann man kritisch sehen.

Eine Volkspartei, schrieb Otto Kirchheimer anno 1965, „lenkt ihr Augenmerk in stärkerem Maße auf die Wählerschaft; sie opfert also eine tiefere ideologische Durchdringung für eine weitere Ausstrahlung und einen rascheren Wahlerfolg.“ Volksparteien, so die Vermutung, würden dank flexibler Programme und moderner Werbemethoden Wahlen in Serie gewinnen und so zum dominierenden Parteitypus werden. Allerdings war dieser Typ Partei in Westeuropa in seiner reinen Form damals nirgends zu finden. Und bis heute haben weder CDU und SPD in Deutschland noch andere Großparteien in Europa so konsequent auf Ideologien verzichtet und sich so vollständig von Ihren Milieus gelöst, dass sie wirklich für die gesamte Bevölkerung wählbar wären.

Die echte Volkpartei war also nie Realität in Deutschland, eine CDU ohne „C“ ist nicht vorstellbar. Und Wahlergebnisse in ganz Europa zeigen sehr deutlich, dass sich die Parteienlandschaften derzeit eher fragmentieren als konzentrieren; neue Parteien entstehen und besetzen Positionen. Nachdem sie nie wirklich Realität wurde, scheint die Volkspartei also inzwischen auch als Modell überholt. Der Begriff ist neudeutsch ausgedrückt nicht mehr als ein „Label“, das einen bestimmten Anspruch ausdrücken soll. Damit reiht sich die Volkspartei neben dem Volkswagen und dem Volkshandy ein.

Die großen deutschen Parteien werden mittelfristig weiter abschmelzen und sie täten gut daran, sich schon heute darauf einzustellen, indem sie nicht Inhalte für Wählerstimmen opfern. Die Kunst wird darin liegen, die Programme unverwechselbar zuzuschneiden und für diese Positionen durch geeignetes Spitzenpersonal eine breite Zustimmung zu organisieren. Insofern müssen der SPD nicht vergangene Wahlausgänge sondern die aktuellen schlechten persönlichen Werte ihres Kandidaten zu denken geben: Laut ARD-Deutschlandtrend fanden fanden letzte Woche nur 32 Prozent der Deutschen, dass Frank-Walter Steinmeier ein guter Bundeskanzler wäre. Diesen Wert muss er steigern, vor allem im eigenen Lager, wo er auch nur 59 Prozent Zustimmung erreichen konnte. Ein erster kleiner Schritt wurde am Wochenende getan.

In der selben Befragung gaben übrigens stolze 74 Prozent an, dass Angela Merkel eine gute Bundeskanzlerin sei, im eigenen Lager waren es 96 Prozent. Auch eine Direktwahl würde die Amtsinhaberin mit 60 zu 29 Prozent klar gewinnen. Die CDU ist auch keine Volkspartei – sie hat aber die „Volkskanzlerin“…

 

Wahlen werden in der Mitte gewonnen!

Die SPD hat sich auf ihrem Bundesparteitag vom vergangenen Wochenende „einstimmig“ (wo gibt es das noch?!) beschlossen, den Bundestagswahlkampf 2009 zu einem klaren Richtungswahlkampf zu machen und „schwarz-gelb“ zu konfrontieren mit dem sozialdemokratischen (eigentlich: rot-grünen) sozialen und ökologischen Gewissen: Priorität hat klar die soziale Gerechtigkeit, nicht das Wirtschaftswachstum. Der Kanzlerkandidat der Partei, Frank Walter Steinmeier (FWS), ist dafür gefeiert worden. Allerdings musste der Parteivorsitzende Franz Müntefering dann auf Nachfrage doch erklären, dass man mit der FDP nicht verfeindet sei und diese wenn nötig auch in einer Ampel mitregieren dürfe.

Das Problem ist, dass Wahlen in der Mitte gewonnen werden und nicht an den Rändern. Jede potentielle Regierungs-führende Partei sollte dies wissen, und ihr Spitzenkandidat auch. Nicht nur in der Bundesrepublik ist es so, dass das rechte und das linke politische Lager (von saisonalen Schwankungen einmal abgesehen) tendenziell gleich stark sind, und Regierungs-entscheidende Zugewinne nur in der Mitte zu erzielen sind. Was die SPD angeht, hat dies zuletzt Gerhard Schröder erkannt und 1998 als SPD-Spitzenmann die „Neue Mitte“ für sich reklamiert (und damals gegen Kohl gewonnen). Der erste SPD-Kanzler der Bonner Republik, Willy Brandt, hat auch nicht mit einem trennenden Umverteilungsprojekt gewonnen, sondern mit einem gemeinschafts-stiftenden Projekt namens Wiedervereinigung (das war die neue Ostpolitik) und für die neu-linke sozialdemokratische Seele war auch noch „mehr Demokratie wagen“ dabei.

Man darf sich wundern (in einem Blog mit dem Titel „Wahlen nach Zahlen“ zumal), ob FWS die Normalverteilung vertraut ist. Links-Rechts-Orientierungen der Wähler folgen derselben recht zuverlässig. Die Position der SPD ist knapp links der Mitte, die der CDU knapp und die der CSU nicht ganz so knapp auf der anderen Seite. Links von der SPD gibt es die Grünen und die Linke. Wo kann man da Stimmen gewinnen? In der Mitte!!!

 

Die feinen Unterschiede? Ein Vergleich zwischen dem Entwurf und der endgültigen Version des SPD-Bundestagswahlprogramms

Die Sozialdemokraten haben sich nach ihrem schlechten Europawahlergebnis auf ihrem Parteitag in Berlin wieder Mut zugesprochen. Im Mittelpunkt stand dabei Frank-Walter Steinmeier, der sich in einer kämpferischen, wieder einmal an Gerhard Schröder erinnernden Rede als Kanzlerkandidat der SPD zurückgemeldet hat. Durch die Konzentration auf den Bundesaußenminister und die Auswirkungen seiner Rede auf die in Lethargie befindlichen Genossen trat der eigentliche Anlass des Parteitages – die Verabschiedung des SPD-Wahlprogramms für die Legislaturperiode des Bundestages von 2009 bis 2013 – leicht in den Hintergrund. Grund genug, um sich im Folgenden kurz anzuschauen, ob sich die endgültige Version des Programms von der schon seit April verfügbaren vorläufigen Variante unterscheidet oder ob die SPD hier Änderungen – quasi durch die Hintertür – vorgenommen hat.

Um diese Frage zu beantworten, wird eine Inhaltsanalyse der bislang vorliegenden Bundestagswahlprogramme zur Wahl 2009 – inklusive des SPD-Wahlprogrammentwurfs vom April – vorgenommen. Die Technik zur Gewinnung der Positionen ist wiederum das auf relativen Worthäufigkeiten beruhende „wordscore“-Verfahren von Michael Laver, Kenneth Benoit und John Garry. Grundlage der Schätzung sind alle Wahlprogramme der im Bundestag vertretenen Parteien seit 1980. Da das Verfahren auch einen Fehlerbereich für die jeweilige Parteiposition ermittelt, sind diese in Form von Balken in der folgenden Abbildung angegeben. Der Punkt, wo sich die Balken schneiden, ist die ermittelte Parteiposition. Unterschieden wird – wie bereits in der Analyse des FDP-Wahlprogramms – zwischen einer wirtschafts- und sozialpolitischen Links-Rechts-Dimension einerseits und einer gesellschaftspolitischen Konfliktlinie andererseits, die zwischen progressiven und konservativen Auffassungen zu Fragen wie etwa Abtreibung oder gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften unterscheidet.

Die Grafik, in der auch die Positionen der 2005er-Wahlprogramme abgetragen sind, macht deutlich, dass sich die Haltung der SPD zwar nicht auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialpolitik, wohl aber auf dem der Gesellschaftspolitik signifikant in eine moderatere Richtung zwischen April und Juni diesen Jahres verändert hat. Damit nähern sich die Sozialdemokraten wieder der Position ihres 2005er-Wahlprogramms auf der gesellschaftspolitischen Konfliktdimension an und entfernen sich dabei gleichzeitig etwas von den sehr progressiven Positionen der Liberalen und der Grünen, die ja die präferierten Koalitionspartner der SPD sind. Ob diese Positionsverschiebung der Sozialdemokraten ein Signal an die Unionsparteien, deren Wahlprogramm erst gegen Ende diesen Monats vorliegen wird, und damit auch an eine Neuauflage der großen Koalition ist, erscheint jedoch eher unwahrscheinlich. Unter der Annahme, dass das 2009er-Wahlprogramm der CDU/CSU im Politikraum ungefähr dort liegen wird, wo sich auch das Regierungsprogramm der Union von 2005 befindet, ist die inhaltlich „günstigere“ Option für die SPD weder ein Bündnis mit CDU und CSU einerseits noch mit FDP und Bündnisgrünen andererseits, sondern vielmehr die von Müntefering und Steinmeier abgelehnte rot-rot-grüne Koalition. Hier gibt es – zumindest was die beiden hier betrachteten Politikfelder angeht – die größten Schnittmengen. Während es in einem schwarz-roten Bündnis große Unterschiede in wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Fragen gibt, so wäre eine „Ampel“ von großen Gegensätzen im gerade in der Wirtschaftskrise zentralen sozioökonomischen Politikfeld gekennzeichnet. Ob es für ein Linksbündnis aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der „Linken“ aber Ende September reichen und die Sozialdemokraten sich unter ihrer jetzigen Führung darauf einlassen werden, ist mehr als fraglich. Um hierauf eine Antwort zu bekommen, müssen wir nicht nur das Wahlprogramm der Union abwarten, sondern vor allem des Wahlergebnis vom 27. September 2009.

 

Vor dem Wahlparteitag der SPD: Vergleich der Stimmungen 2005 und 2009

Die SPD gilt als Kampagnenpartei, also als eine Partei, die im Wahlkampf an Fahrt gewinnt und auf der Zielgeraden mit dem politischen Gegner aufholt. Dies haben wir in den Jahren 2002 und 2005 recht eindrucksvoll erlebt. Allerdings sind die Ausgangsbedingungen heute deutlich schwieriger als 2009 und das liegt u.a. an der Kanzlerin! Schauen wir uns die Zahlen hierzu kurz an.

Die Stimmung 2005, also kurz vor dem Wahlparteitag der SPD Ende August, und einen knappen Monat vor der Wahl lagen die Sozialdemokraten bei der Sonntagsfrage 29%, die CDU/CSU bei 42% Prozent.

Allerdings, und das ist der zentrale Unterschlied, lag Kanzler Schröder in seiner Gunst deutlich vor seiner Herausforderin Angela Merkel: 48% zu 41%. Auf dem Wahlparteitag – wir erinnern uns – spielte Schröder dann auch erfolgreich die negative-campaigning-Karte mit Paul Kirchhoff, dem Professor aus Heidelberg.
Was ist 2009 anders? Die SPD stürzt in ein erneutes Umfragetief mit 22 %, bei der Sonntagsfrage erlangt sie nur 25% – und sie profitiert nicht von der im Vergleich zu 2005 schwächeren CDU. Und der Retter ist eben nicht in Sicht und das ist der große Unterschied zu der Situation 2005: der Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier liegt mit 29% im direkten Vergleich deutlich hinter seiner Chefin Angela Merkel, für die 58% der Befragten votieren.

Und auch mit der Waffe „negative campaigning“, die 2005 auf dem Wahlparteitag noch voll zur Geltung kam, wird Steinmeier wohl vorsichtig umgehen, denn das zu Guttenberg-bashing kam beim Wähler nicht gut an.
Was kann ein Wahlparteitag hier ausrichten: Steinmeier kann mit einer Blut- und Schweißrede die eigenen Leute einschwören, hinter sich bringen, eine solche Rede kann durchaus eine Strahlkraft entfalten – ob ihm dies gelingt und wenn ja wie werden wir heute sehen.

 

Das Superwahljahr 1994 als Vorlage für das Superwahljahr 2009: Keine guten Aussichten für die SPD

Aktuelle Wahlergebnisse werden in der Regel mit den Resultaten der vorhergehenden Wahl verglichen, um den Ausmaß an Wandel in den Präferenzen der Wählerschaft darzustellen. Dies ergibt intuitiv Sinn: Man will verdeutlichen, wie sich die Stärkeverhältnisse der politischen Parteien auf der entsprechenden Ebene – Bund, Land, Kommune oder eben Europa – im Vergleich zur letzten Wahl verschoben haben. Wenn es jedoch um den Aspekt der Mobilisierungsfähigkeit einer Partei geht – dieser stand in der Wahlberichterstattung des gestrigen Abends aufgrund des schwachen Ergebnisses der SPD massiv im Vordergrund –, dann wird auch mal auf zeitlich weiter zurückliegende Resultate oder auf Ergebnisse zu Wahlen auf anderen Ebenen zurückgegriffen. Gestern diente in einer ARD/Infratest Dimap-Grafik die absolute Stimmenanzahl der SPD zur Europawahl 2004, 2009 und zur Bundestagswahl 2005 als Grundlage für den – angeblichen – Beleg, dass die Sozialdemokraten sich immer schwer tun, ihre traditionelle Kernwählerklientel bei Europawahlen zu mobilisieren, während es ihnen bei Bundestagswahlen – zumindest bei der letzten vom September 2005 – relativ gut gelungen ist.

Der mit dieser Interpretation verbundene Hoffnungsschimmer für die SPD und ihre Chancen bei der Bundestagswahl in diesem September werden allerdings deutlich kleiner, wenn man die Analyse vor dem Hintergrund der letzten Wahlen aus den Jahren 2004 und 2005 verlässt und eine Situation als Vergleichsperspektive wählt, in der gleiche Rahmenbedingungen gerade im Hinblick auf die Mobilisierungsfähigkeit der Parteien geherrscht haben. Ein Bundestagswahlkampf mag die Wähler zwar vor allem in den letzten Wochen vor der Wahl beschäftigen, aber der Wahlkampf an sich beginnt schon Monate zuvor und übt auch dann bereits Effekte auf das Verhalten – gerade der vielgenannten Kernwählerklientel – aus.

Solche Wahlen mit ähnlichen Rahmenbedingungen sind – gerade im Fall der SPD – nicht die Europawahlen 1999 und 2004, bei denen die traditionellen SPD-Wähler aufgrund von Frustration über das generelle Agieren der rot-grünen Bundesregierung (1999) bzw. deren Wirtschafts- und Sozialpolitik (2004) der Wahl fern geblieben sind, sondern vielmehr die Wahl aus dem Jahr 1994. Das „Superwahljahr“ vor 15 Jahren gleicht in sehr vielen Punkten, die entscheidend für die Mobilisierung der eigenen Anhänger sind, dem Jahr 2009: es fanden 1994 neben zahlreichen Landtagswahlen eine Bundespräsidentenwahl und eine Wahl zum europäischen Parlament statt, die beide für die SPD ähnlich wie in diesem Jahr verloren gingen. Der Unterschied ist jedoch das Ausmaß: 1994 konnten die Sozialdemokraten – zugegebenermaßen bei höherer Wahlbeteiligung von 60% – bei den Europawahlen noch ein Ergebnis von 32,2% erreichten. Der Abstand zur Union, die auf 38,8% kam, betrug somit rund sieben Prozentpunkte. Die SPD änderte dann massiv ihre Wahlkampfstrategie und setzte mit dem fröhlichen Slogan „Freu Dich auf den Wechsel, Deutschland“ auf den Wunsch vieler Wähler, den 1994 seit 12 Jahren amtierenden Kanzler Helmut Kohl (CDU) abzulösen. Diese Taktik ging jedoch erst 1998 auf: Bei der Bundestagswahl im Oktober 1994 konnten beide Volksparteien bei deutlich höherer Wahlbeteiligung von 79% ihre Stimmenanteile leicht steigern – die SPD kam auf 36,4% und die CDU/CSU auf 41,5% der Stimmen – und die christlich-liberale Koalition blieb im Amt.

Nimmt man den Ausgang der Bundestagswahl 1994 – natürlich bei aller gegebenen Vorsicht, die sich auch aus dem durch die bundesweite Etablierung der „Linken“ geänderten Parteiensystem ergeben – als Grundlage einer Prognose für die Wahlen im September diesen Jahres, so ist nur sehr schwer vorstellbar, wie die SPD bei einem Stimmenanteil von nicht ganz 21% bei der Europawahl bei der Bundestagswahl im September die 30%-Marke schaffen oder gar an ihr Ergebnis aus 2005 von 34,2% der Stimmen herankommen will. Denn 1994 ähnelt nicht nur dem Superwahljahr 2009 hinsichtlich der Anzahl und Sequenz von bundesweiten Wahlen und Abstimmungen, sondern auch in Fragen des Charismas und der Ausstrahlungskraft der jeweiligen SPD-Kanzlerkandidaten: letztgenannte Eigenschaften fehlten dem 1994 angetretenen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Rudolf Scharping, und sie fehlen auch Frank-Walter Steinmeier, der – obwohl er aus der populären Rolle des Bundesaußenministers antritt – nicht so recht in die Rolle des mobilisierenden Wahlkämpfers hineinwachsen will. Wenn man also das Wahljahr 1994 als Vorlage für eine Prognose für das Wahljahr 2009 heranzieht und dazu noch annimmt, das ein Kanzlerkandidatenfaktor als Komponente der Entscheidung eines Wählers nicht zu vernachlässigen ist, dann steht der SPD bei weitem keine angenehme zweite Hälfte dieses Superwahljahres bevor.

 

Die Rente: Auf ewig im Wahlkampf sicher

Ewigkeitsgarantien kannte man in der Bundesrepublik bislang nur aus Artiktel 79 (3) des Grundgesetzes, in dem es heißt: „Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig“, wobei in Artikel 1 die Menschenwürde (als Grundlage aller weiteren Persönlichkeitsrechte) und in Artikel 20 die Prinzipien der Demokratie und der Bundes-, Sozial- und Rechtsstaatlichkeit festgelegt sind. In diesen erlauchten Kreis ist nun auch die Sicherheit der Renten aufgestiegen – auch sie sollen auf ewig nicht mehr sinken, so wollen es Union und SPD.

Dass dies gerade jetzt – knapp fünf Monate vor der Bundestagswahl und im Angesicht eines drohenden Rückgangs der Renten – verkündet wird, ist sicherlich kein Zufall. Wirft man einen Blick zurück auf die Bundestagswahl 2005 (und die zugehörige repräsentative Wahlstatistik), so stellt man fest, dass 32 Prozent der Wahlberechtigten bei dieser Wahl 60 Jahre und älter waren (und nur 9 Prozent 25 Jahre oder jünger). Da zudem die Wahlbeteiligung mit dem Alter tendenziell steigt, liegt der Anteil 60plus bei den Wählern sogar noch etwas höher: Jeder dritte Wähler ist mittlerweile zumindest nahe dem Rentenalter. Die Wählerschaft der Union bestand 2005 sogar zu 41 Prozent aus Personen, die mindestens 60 Jahre alt waren. Bei der SPD waren es 33 Prozent, bei den weiteren Parteien dagegen nur 25 Prozent waren. Dass die Große Koalition diese Wählergruppe nicht er- und verschrecken will, ist vor dem Hintergrund dieser Zahlen nachvollziehbar. Interessant ist einzig noch, dass die Initiative aus dem Kreise der SPD kam, man hätte sie eher noch aus Unionskreisen erwartet.

Literatur
» Doreen Namislo, Karina Schorn, Margitta von Schwartzenberg: Wählerverhalten bei der Bundestagswahl 2005 nach Geschlecht und Alter Ergebnisse der Repräsentativen Wahlstatistik, in: Wirtschaft und Statistik 3/2006 (Download)

 

Expertise integrieren statt outsourcen – das Modell der „Kampa“ war gestern

Jeder erinnert sich an die historische Bundestagswahl von 1998. Dem charismatischen SPD-Kandidaten Gerhard Schröder gelang damals der Regierungswechsel, der zudem nicht auf einer Entscheidung politischer Eliten beruhte (wie etwa der Wechsel von Schmidt zu Kohl im Jahr 1982), sondern einem überzeugenden Wahlsieg zu verdanken war (vgl. den Beitrag von Andreas Wüst zu Wählerbindungen). So zog Schröder nach 16 Jahren schwarz-gelber Regierung mit einer rot-grünen Allianz ins Kanzleramt ein.

Natürlich waren es nicht nur seine Telegenität und seine Persönlichkeit, die der SPD zu einem überzeugenden Sieg verhalfen. Auch die innovative und hochprofessionalisierte Kampagne der SPD trug einen nicht unerheblichen Teil dazu bei. Die Wahlkampfzentrale „Kampa“ der SPD setzte damals einen Meilenstein in der Wahlkampfkommunikation und so wird der Wahlkampf 1998 von Experten nicht umsonst als der erste vollständig professionalisierte bezeichnet. Eine der Zauberformeln war dabei die Loslösung der Wahlkampfzentrale von der Parteizentrale, das sogenannte „outsourcing“ der Wahlkampfexpertise. Die Parteiführung entwickelte ihre Wahlkampfstrategien und Botschaften räumlich getrennt von der Parteizentrale und setzte vor allem auf die Zusammenarbeit mit Beratern und Agenturen. Dieser erlauchte Kreis an Personen war der Dreh- und Angelpunkt der Kampagne, die Parteizentrale wie auch die Mitglieder spielten die zweite Geige. Schnelle, zentralisierte Entscheidungen ohne Diskussionen mit Parteimitarbeitern und Mitgliedern, so lautete das Credo. Dieses Rezept wurde zum Erfolg, als Dauerbrenner taugt es jedoch nicht.

Mit der rasanten Entwicklung des Internets und neuer Informations-und Kommunikationstechnologien können es sich die Parteien heute einfach nicht mehr leisten, ihre Parteizentralen und die Mitglieder außen vor zu lassen. Ohne grassroots campaigning, online communities und Multiplikatoreneffekte lässt sich 2009 kein Wahlkampf gewinnen. Ein professionalisierter Wahlkampf setzt auf Mobilisierung und Koordinierung der Parteibasis durch Internet und direct marketing Elemente: Für diese kommunikative Leistung brauchen die Parteien die Mitarbeiter ihrer Parteizentralen, eine ausgelagerte Wahlkampfzentrale wie bei der Kampa erschwert einen reibungslosen Zugriff auf Personalressourcen und in-house Expertise. Auch ist es die Parteizentrale, die den Kommunikationsfluss zwischen Parteielite und Mitgliedern sicherstellt. Betrachteten die Parteien die Mitglieder in den letzten Jahren eher als unangenehmen Ballast, der Entscheidungen blockiert, so haben sie ihr Potential für den Wahlkampf 2009 wiederentdeckt. Als kommunikativer Knotenpunkt innerhalb der Parteiorganisation, der die interne Kommunikation mit Fraktion und Mitgliedern steuert, hat die Parteizentrale alle notwendigen Ressourcen, die Mitglieder anzusprechen und für den Wahlkampf zu mobilisieren.

So ist es kaum verwunderlich, dass selbst die SPD als Vorreiterin der externen Wahlkampfzentrale dieses Mal auf die Integration von Expertise und die Einbeziehung der Parteizentrale und der Mitglieder setzt. Die Wahlkampfzentrale der SPD, die „Nordkurve“, ist räumlich in das Willy-Brandt-Haus integriert und vereint erfahrene und neue Wahlkämpfer der Partei mit Agenturen und Beratern. Dreh-und Angelpunkt ist jetzt die Parteizentrale, die mit Hilfe ihrer integrativen Position innerhalb der Parteiorganisation das Wahlkampfkonglomerat aus Parteimitarbeitern, Politikern, Parteimitgliedern, Freiwilligen sowie Agenturen und Beratern zusammenführt und steuert. Organisationstheoretisch betrachtet ist das ein guter Schachzug: Die pivotale Funktion und die Personalressourcen der Parteizentrale werden genutzt und das Potential der Mitglieder ausgeschöpft. Am Beispiel der SPD zeigt sich deutlich: Parteien sind durchaus lernende Organisationen, die Trends erkennen und in ihre Strategie aufnehmen. Mit anderen Worten: Ihrem in der Fachliteratur viel diskutierten Niedergang bieten die Parteien mit Organisationswandel die Stirn.

 

Seit‘ an Seit‘ oder nicht Seit‘ an Seit‘? Egal.

1. Mai – Tag der Arbeit, der Arbeiter, der Arbeiterbewegung und der Arbeiterpartei. Doch das Verhältnis zwischen den Gewerkschaften (als gesellschaftlicher Organisation der Bewegung) und der SPD (als ihrem Arm im Parteiensystem) gestaltet sich zunehmend schwierig. Die wechselseitige Entfremdung fand ihren Höhenpunkt in der Politik der „Äquidistanz“ der Gewerkschaften im Vorfeld der Bundestagswahl 2005. Die Gewerkschaften sahen sich in gleicher Distanz zu allen Parteien. Erst allmählich haben SPD und Gewerkschaften seit dem wieder zueinander gefunden.
Das mediale Echo auf dieses schwierige Verhältnis (und seine neuesten Entwicklungen) ist zumeist beachtlich – doch was davon kommt eigentlich bei den Wählerinnen und Wählern an? In einer Studie im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 sollte eine repräsentative Stichprobe der Deutschen die Frage beantworten: „Wie ist das eigentlich in diesem Wahlkampf – unterstützen Ihres Wissens nach die Gewerkschaften eine bestimmte Partei oder nicht?“, wobei die richtige Antwort im Sinne der seinerzeit gültigen DGB-Poliitk der Äquidistanz „keine Partei“ gewesen ist. Die folgende Grafik zeigt die Antworten der Befragten:

37 Prozent der Befragten gaben damals unumwunden zu, die Antwort nicht zu kennen, 25 Prozent sahen die SPD und Gewerkschaften – entgegen der DGB-Politik – weiterhin Seit‘ an Seit‘, ein Drittel der Befragten gab die richtige Antwort. Bemerkenswert ist dabei, wie weitere Analysen von Rüdiger Schmitt-Beck und Jens Tenscher gezeigt haben, dass gerade interessierte Bürger häufiger daneben lagen. Schließlich zeigen ihre Ergebnisse, dass von diesen Wahrnehmungen praktisch kein direkter Einfluss auf Wahlentscheidungen der Bürger ausgeht.
Ob Seit‘ an Seit‘ oder nicht ist demnach nicht sonderlich wichtig.

Weitere Informationen:
Rüdiger Schmitt-Beck, Jens Tenscher: Divided We March, Divided We Fight: Trade Unions, Social Democrats, and Voters in the 2005 German General Election. In: Farrell, David/Schmitt-Beck, Rüdiger (Hrsg.), Non-Party Actors in Electoral Politics. The Role of Interest Groups and Independent Citizens in Contemporary Election Campaigns. Baden-Baden, 2008 (S. 151-182).