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Zeit für Kampagnen!

AndreaDie Zahlen der Umfrageinstitute sehen Hannelore Kraft auf den letzten Metern im Wahlkampf knapp vorne: Im direkten Vergleich mit Rüttgers schneidet sie laut aktuellem Politbarometer mit 43% zu 41% besser ab als der Ministerpräsident, der somit seinen Amtsbonus vollständig eingebüßt zu haben scheint. Dies ist beachtlich, im Nachgang des Fernsehduells aber nicht wirklich verwunderlich. Wie wir aus empirischen Arbeiten wissen (siehe auch den Beitrag von Thorsten Faas in diesem Blog), dienen Fernsehduelle gerade in Landtagswahlkämpfen dazu, den Bekanntheitsgrad des Herausforderers zu steigern. Seit Mitte März konnte Hannelore Kraft folgerichtig 12 Prozentpunkte zulegen.

Aber es geht um mehr als die reine Sichtbarkeit der Kandidaten oder die Frage nach dem direkten Vergleich: Entscheidend ist die wahrgenommene Problemlösungskompetenz zu den drängenden Problemen des Landes. Und hier zeigt sich das eigentlich Erstaunliche in den Umfragedaten: In den drei relevanten Themenbereichen Bildung, Arbeitslosigkeit und Wirtschaft ist das Bild uneinheitlich und die Kandidaten liegen sehr eng beieinander. Im Bereich der Bildung wird der SPD mit Hannelore Kraft eine größere Kompetenz zugesprochen, Rüttgers‘ CDU punktet hingegen beim Thema Wirtschaft. Dies alles deutet darauf hin, dass der Wahlausgang absolut offen ist, zumal auch keine der präferierten Koalitionen – Schwarz-Gelb oder Rot-Grün – derzeit eine Mehrheit hätte.

Mit anderen Worten: Hinten werden die Enten fett, der Wahlausgang entscheidet sich auf der Zielgeraden. Nach aktuellen Umfragen sind 37 % der Wählerinnen und Wähler in NRW unentschlossen – was für ein Potential für Wahlkämpfe!

Alle Parteien brauchen nun eine passende Wahlkampfstrategie: Die SPD muss ihre steigenden Umfragewerte und die neue Popularität von Hannelore Kraft nutzen, um die enttäuschte SPD-Basis zu mobilisieren und in einer Woche an die Urnen zu bringen. Möglicherweise trägt dazu auch die skandalangehauchte CDU bei, welche die SPD-Anhänger „fremdmobilisieren“ könnte. Die Union scheint auf den ersten Blick in einer schwierigeren Lage zu sein, da sie und ihr Spitzenkandidat zugleich mobilisieren und deeskalieren müssen. Viel wird hier darauf ankommen, den richtigen Ton zu treffen.

Andererseits sollte man aber auch nicht vergessen, dass Jürgen Rüttgers als Ministerpräsident auch auf den letzten Metern noch seinen Amtsbonus ausspielen könnte, falls es ihm gelingt, das passende Thema zu platzieren. Das Rennen scheint offener denn je, eine Woche vor der Wahl kommt es auf die richtige Kampagne an…

 

Wer mit wem in NRW? Was der Wahl-o-mat sagt

Keine Wahl ohne Wahl-o-mat: Nun ist auch zur Landtagswahl in NRW das „Informationsangebot über Wahlen und Politik“ online gegangen. Er soll die Wahlberechtigten dabei unterstützen, eine sinnvolle Wahlentscheidung zu treffen. Aber er kann auch den Parteien helfen zu erkennen, mit welchen anderen Parteien sie die größte (inhaltliche) Übereinstimmung haben.

Wie funktioniert der Wahl-O-Mat? 38 Thesen wurden den Parteien in NRW für die neueste Version des Informationsangebots vorgelegt. Als Antwortoptionen standen zur Verfügung: “dafür”, “dagegen” oder “neutral”. Mit Hilfe der Antworten lässt sich nun leicht feststellen, wer mit wem in welchem Maße übereinstimmt. Die folgende Grafik zeigt dies anhand eines einfachen “Übereinstimmungsindex” für Parteipaare (*):

Bei der Bundestagswahl sah das Bild noch so aus:

wahlomat

Was also schon bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr galt, wird jetzt in NRW noch deutlicher sichtbar, zumindest auf Basis der 38 Thesen: Es gibt weiterhin zwei Lager – und Brücken zwischen diesen gibt es kaum: Ob zwischen Grünen und FDP, zwischen SPD und FDP, CDU und Grünen oder auch CDU und SPD: Inhaltliche Übereinstimmungen sind jeweils in der Mehrheit Minderheit. Und dies ganz im Gegensatz zu den Übereinstimmungen zwischen CDU und FDP auf der einen, SPD, Grünen und Linken auf der anderen Seite.

(*) Der Index berechnet sich wie folgt: Für jedes Paar von Parteien wird über alle 38 Thesen hinweg gezählt, wie oft die Parteien übereinstimmen. Jede Übereinstimmung gibt einen Punkt, jede Kombination von “stimme zu” oder “stimme nicht zu” mit “neutral” einen halben Punkt. Addiert man diese Punkte zusammen und teilt die Summe durch 38 (die Zahl der Thesen), erhält man den Index. Die Annahme ist dabei natürlich, dass alle Thesen gleich wichtig sind.

 

Bestenfalls egal: Skandale eignen sich einfach nicht für Wahlkämpfe

AndreaFast möchte man es mit einem Stoßseufzer untermalen: Es ist wieder Wahlkampf, diesmal in Nordrhein-Westfalen. Und eigentlich kommt er für alle Parteien zu früh. Union und FDP befinden sich noch immer in der Findungsphase und können keine Erfolge vorweisen. Die SPD musste vor kurzem den empfindlichsten Rückschlag ihrer Geschichte wegstecken und ist von ihrem alten Kampfgewicht meilenweit entfernt. Die Linke muss möglicherweise sogar um den Einzug ins Parlament bangen. Und die Grünen sollten ausdiskutieren, wo sie wirklich stehen, bevor sie mit wackeligen Koalitions(nicht)aussagen in alle Richtungen werben. Sprich: Eigentlich wollen die Beteiligten diesen Wahlkampf gar nicht führen, aber genau deswegen müssen sie es umso mehr. Denn auch wenn es wenig zu gewinnen gibt, steht viel auf dem Spiel: die Mehrheit der schwarz-gelben Koalition im Bundesrat und damit um Wohl und Wehe der zentralen Reformprojekte der Regierung Merkel II.

Dies ist ein Dilemma, für das es in politischen Kreisen einen beliebten (Schein-)Ausweg gibt: Man attackiert den Gegner umso schärfer, auch auf einer persönlichen Ebene, und skandalisiert sein Tun, um so seine generelle Wählbarkeit in Frage zu stellen. Dankbare Ziele für diese Strategie gaben jüngst etwa FDP-Chef Guido Westerwelle und NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers ab. So könnte man meinen, dass solche vermeintlichen Skandale der Opposition sehr gelegen kommen. Natürlich: Sie kann die Wähler auf einer emotionalen Ebene ansprechen und öffentlichkeitswirksam den Rücktrittsforderungen aussprechen. Ist dies aber ein echter Vorteil, möglicherweise gar ein veritables Gegengewicht zum Amtsbonus der Regierung? Sehr wahrscheinlich nicht!

Erstens können Wahlkämpfe nicht nur auf den Gegner ausgerichtet werden. Moderne Kampagnen sind minutiös durchorganisierte Projekte, an denen Werbeagenturen, politische Berater und Medienexperten engmaschig rund um die Uhr arbeiten. Spontane Verschiebungen, etwa in Reaktion auf Fehler des politischen Gegners, sind da zwar möglich. Sie können aber nicht das Wesen der gesamten Kampagne verändern, da Partei und Kandidat ansonsten unglaubwürdig werden. Zweitens produzieren Skandale nur Verlierer, keine Sieger. Sie tragen zum allgemeinen Phänomen der Politikverdrossenheit bei, weil sich in der Bevölkerung (oft zurecht!) die Meinung durchsetzt, dass es wohl nicht um einen Einzelfall, sondern eher um die Spitze eines Eisbergs handelt. Es ist nicht wichtig, wer einen Skandal verursacht hat, und keine Partei profitiert davon – Leidtragende ist die Politik als solche, der die Bürger nicht mehr vertrauen. Drittens lassen sich die Wählerinnen und Wähler nicht blenden. Natürlich orientieren sie sich an den handelnden Personen und dabei spielt sicherlich auch deren moralisches Verhalten eine große Rolle. Die Wahlentscheidung ist aber immer von den Themen abhängig, die den Wahlkampf bestimmen.

Natürlich treffen Skandale einen empfindlichen Nerv und können die Einstellungen der Menschen über einen gewissen Zeitraum hinweg prägen. Ein wirklich wahlentscheidender, „perfekter“ Skandal müsste eine Vielzahl von Kriterien erfüllen: kurz vor der Wahl aufgedeckt werden, eindeutig nur dem politischen Gegner zuzuschreiben sein, in die eigene Wahlkampfstrategie passen und nicht durch andere Großereignisse überdeckt werden. Die Barschel-Affäre 1987 in Schleswig-Holstein mag dieser Idealsituation nahe gekommen sein, der damalige Ministerpräsident hatte ganz eindeutig rechtliche und moralische Grenzen überschritten. Die aktuelle Diskussion in NRW um gekaufte Gesprächstermine mit dem Ministerpräsidenten hat jedoch nicht annähernd diese Dimension und wird am Wahltag verpufft sein.

Das soll nicht bedeuten, dass diese Vorgänge nicht wichtig wären. Es besteht eindeutiger und umfassender Klärungsbedarf. Die Opposition sollte aber dringend davon Abstand nehmen, die Skandalisierung zu betreiben. Das wird ihr nicht helfen. Wenn überhaupt, wird es das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in die Politik weiter schwächen. Und das kann kein legitimes Ziel von Wahlkämpfen sein.

 

Koalitionspoker in Nordrhein-Westfalen: was passiert, wenn Schwarz-Gelb die Mehrheit in Düsseldorf verliert?

Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen Anfang Mai diesen Jahres steht im Zentrum der Aufmerksamkeit der Parteien wie auch der politischen Beobachter. Dies hat mit einer Vielzahl von Gründen zu tun. Erstens ist bei einer Niederlage für CDU und FDP in Düsseldorf die Mehrheit der Bundesregierung in der Länderkammer dahin, was das „Durchregieren“ des Kabinetts Merkel/Westerwelle deutlich erschweren würde. Zweitens bleibt abzuwarten, in welchem Ausmaß sich die Sponsorenaffäre um Ministerpräsident Jürgen Rüttgers und die NRW-CDU auf den weiteren Verlauf des Wahlkampfs und schließlich auf das Wahlergebnis auswirken wird. Drittens ist die Landtagswahl an Rhein und Ruhr ein erster Test für die nicht allzu glücklich agierende Bundesregierung. Zudem ist Nordrhein-Westfalen aufgrund seiner Stellung als einwohnerstärkstes Bundesland von großer Bedeutung im föderalen System Deutschlands sowie für den bundesdeutschen Parteienwettbewerb. So wurden bereits verschiedene Koalitionsoptionen in Nordrhein-Westfalen auf ihre „Tauglichkeit“ hin getestet, bevor sie von den Parteien in Bonn oder Berlin als Regierungskoalition installiert wurden. Beispiele hierfür sind etwa die von 1956 bis 1958 bestehende sozialliberale Koalition in Nordrhein-Westfalen unter Ministerpräsident Steinhoff (SPD) sowie das rot-grüne Bündnis, das Johannes Rau nach dem Verlust der absoluten Mandatsmehrheit im Landtag 1995 eingehen musste.

Jüngste Umfragen wie die des ZDF-Politbarometers vom 19. März machen in der Tat deutlich, dass es für schwarz-gelb knapp werden wird. Momentan würden Union und FDP im Landtag von Nordrhein-Westfalen keine Mehrheit erreichen. Damit gewinnt die schon seit Wochen virulente Koalitionsdebatte noch mehr an Fahrt. Auf der Grundlage der bislang vorliegenden Statements der Parteien können nur solche Koalitionen ausgeschlossen werden, die CDU, FDP und die „Linke“ umfassen würde. Zwar präferieren Union und Liberale eine Neuauflage der amtierenden schwarz-gelben Koalition, allerdings haben Bündnisgrüne wie auch die Christdemokraten in NRW ein gemeinsames Regierungsbündnis nicht ausgeschlossen. Auch die FDP hat – überraschenderweise – bislang die Bildung einer Ampelkoalition mit Sozialdemokraten und Grünen nicht a priori abgelehnt. Dies gilt auch für eine Koalition aus SPD, Grünen und der „Linken“. Zwar werden letztere nicht als besonders regierungsfähig von Sozialdemokraten wie Grünen wahrgenommen, aber ein solches Bündnis ausschließen will die SPD-Spitzenkandidaten Hannelore Kraft wie auch die Führung der Grünen nicht.

Wie wahrscheinlich sind aber nun all diese Koalitionsmöglichkeiten? Auf der Grundlage aller Regierungsbildungen in Bund und Ländern seit 1990 lassen sich mit Hilfe multivariater statistischer Analysen die Determinanten der Koalitionsbildung in Deutschland ermitteln und auf dieser Basis auch die Wahrscheinlichkeiten für alle potentiell möglichen Koalitionen berechnen. In die Berechnung fließen die Stärke der Parteien im Parlament, ihre programmatischen Positionen, die anhand einer Analyse der Landtagswahlprogramme gewonnen werden, die Koalitionsaussagen der Parteien sowie die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat ein. Für Nordrhein-Westfalen wird die Sitzverteilung im neuen Landtag anhand der Ergebnisse des ZDF-Politbarometers vom 19. März berechnet. Die Landtagswahlprogramme der Parteien liegen bei CDU, SPD, FDP, den Grünen und der Linken entweder als Entwurf oder bereits in endgültiger Form vor.

Im Rahmen dieses Blogs wurde dieses Verfahren bereits für die Landtagswahlen in Brandenburg, dem Saarland und in Thüringen im letzten Herbst mit Erfolg durchgeführt: die schließlich gebildeten Koalitionen wiesen in zwei der drei Bundesländer – in Thüringen und dem Saarland – die höchste Wahrscheinlichkeit auf (vgl. Bräuninger/Debus 2009). Für Nordrhein-Westfalen ergibt sich das in der folgenden Tabelle abgetragene Bild.

Tabelle 1: Wahrscheinlichkeiten ausgewählter Koalitionsoptionen in Nordrhein-Westfalen

Koalitionsoption Wahrscheinlichkeit
CDU und Bündnis 90/Die Grünen 64,3%
CDU und SPD 29,5%
SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Linke 2,8%
SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen 1,2%

 

Den Ergebnissen zufolge wäre – für den Fall, dass Union und FDP eine Mehrheit im Landtag verfehlen würden – eine schwarz-grüne Koalition die mit Abstand wahrscheinlichste Koalitionsoption nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Ein Bündnis der beiden großen Parteien CDU und SPD würde auf Platz 2 mit einer Wahrscheinlichkeit von knapp 30% landen, während ein Linksbündnis wie auch eine „Ampelkoalition“ mit 2,8% bzw. 1,2% äußerst unwahrscheinlich sind. Ein Grund für die Unwahrscheinlichkeit der „Ampel“ ist der große Gegensatz zwischen SPD und Grünen in wirtschaftspolitischen Fragen auf der einen und den Freidemokraten auf der anderen Seite. Die NRW-CDU ist hingegen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik sehr moderat ausgerichtet, so dass die Übereinstimmung mit mit Grünen oder SPD größer ist. Sollte also schwarz-gelb in Düsseldorf keine Mehrheit erreichen, dann könnte NRW nach Hamburg das zweite Bundesland werden, in dem CDU und Grüne gemeinsam die Regierung stellen. Ob das dann ein Zeichen für den Bund ist, bliebe dann abzuwarten.

Literatur
Bräuninger, Thomas & Marc Debus (2009): Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot, Jamaika oder die Ampel? Koalitionsbildungen in Bund und Ländern im Superwahljahr 2009. Zeitschrift für Politikberatung 2: 3, 563-567. [http://dx.doi.org/10.1007/s12392-009-0215-2]

 

Die NRW-Landtagswahl im deutschen Föderalismus

Nils Bandelow

Am 9. Mai wird in Nordrhein-Westfalen ein neuer Landtag gewählt. Die Wahl ist die Grundlage für die spätere Bildung der Regionalregierung in dem bevölkerungsstärksten Bundesland Deutschlands. Aber gibt es in Deutschland überhaupt so etwas wie „Regionalwahlen“? Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ist wichtig. Vielleicht ist sie wichtig für die Bildungspolitik in NRW. Studiengebühren, das Schulsystem – und (nicht ganz unabhängig von Bildung) – auch die unbelehrbaren Raucher in den Kneipen zwischen Bielefeld und Bonn könnten vom Ergebnis betroffen sein.

Trotz aller Föderalismusreformen bleibt die Landtagswahl in NRW aber in erster Linie eine Wahl zur Bundespolitik. Sie ist es schon unabhängig vom Ergebnis: Nie war es so deutlich wie jetzt (obwohl auch frühere Regierungen derselben Logik gefolgt sind): Reformen auf Bundesebene, die vielen schaden und wenigen nützen, macht man nach  Landtagswahlen – und nicht davor. Aber wie wird sich die Wahl inhaltlich auswirken? Nun, es könnte sein, dass sich nichts verändert. Wenn die „christlich-liberale“ Regierung auch in NRW bestätigt würde, dann wären Jürgen Rüttgers und Andreas Pinkwart gestärkt. Die Bundeskanzlerin und ihr Außenminister hätten dann für die Zukunft jeweils einen wichtigen internen Rivalen behalten.

Die Alternative ist jede andere Koalitionsregierung in NRW. Sollte eine der Oppositionsparteien – egal  welche – an der Landesregierung beteiligt werden, dann sind die Gewinner: Bündnis 90/Die Grünen. Das gilt selbst für den (unwahrscheinlichen) Fall einer rot-roten Landesregierung, selbst dann, wenn die Grünen den Einzug in den Landtag verpassen würden. Wieso das? Bisher verfügen schwarz-gelbe Landesregierungen insgesamt über eine theoretische knappe Mehrheit im Bundesrat. Die Mehrheit ist theoretisch, weil die Kammer der Landesregierungen selten ausschließlich nach parteipolitischen Vorgaben entscheidet. Aber bisher reicht es eben, wenn Merkel und Westerwelle ihre Leute hinter sich bringen. Dann – und nur dann – können sie jedes Gesetz und jede Verordnung verabschieden, solange das Grundgesetz unberührt bleibt.

Dies kann sich nach der „Landtagswahl“ in NRW ändern. Die Anführungsstriche sollen verdeutlichen: Hier handelt es sich um eine Wahl, deren Bedeutung für den Bund wichtig ist. Nicht nur, weil sie ein Signal sendet, und eine Rückmeldung gibt, für die bisherige Arbeit der Regierung.

Die wichtigste Bedeutung der Landtagswahl in NRW liegt darin, dass sie die schwarz-gelben Landesregierungen um ihre Mehrheit im Bundesrat bringen kann. Um eines klar zu stellen: Das heißt nicht, dass „die Opposition“ dann eine Mehrheit im Bundesrat hätte, auch nach der NRW-Wahl werden unionsgeführte Regierungen eine Mehrheit im Bundesrat stellen. Diese Mehrheit braucht die Opposition aber auch nicht. Koalitionen auf Landesebene pflegen zu vereinbaren, dass sie sich bei Unstimmigkeiten im Bundesrat der Stimme enthalten. Da Enthaltungen (auch nach dem gescheiterten Vorstoß von Wolfgang Schäuble, dies zu ändern) bei der Gesetzgebung des Bundes weiterhin wie Nein-Stimmen zählen, fehlt jedem Regierungsentwurf für ein zustimmungspflichtiges Gesetz die Mehrheit im Bundesrat. Konkret heißt das: Nicht nur knapp die Hälfte aller Gesetzesvorhaben der Bundesregierung drohen zu scheitern, sondern es sind vor allem die zentralen Reformen, die eine Zustimmung durch die Länderkammer benötigen.

Was würde das politisch bedeuten? Die Bundesregierung bräuchte die Zustimmung von Landesregierungen, an denen mindestens eine Oppositionspartei beteiligt ist. Und dabei würde die Zustimmung der Länder Hamburg und Saarland reichen – in beiden Ländern sind die Grünen an den Landesregierungen beteiligt. Inhaltlich heißt das: Die schwarz-gelbe Bundesregierung würde in wichtigen Fragen zu „Jamaika“ mutieren. Die Alternative wäre es, mit der SPD zu verhandeln – hier wäre der Preis gegenwärtig wohl noch höher.

Die Grünen werden also plötzlich in der Lage sein, einen Preis zu verlangen, um schwarz-gelb entscheidungsfähig zu halten. Wie wird dieser Preis aussehen? Er könnte generelle Forderungen enthalten, etwa das Festhalten am Zeitplan für den Atomausstieg. Die Grünen könnten auch „billige“ Forderungen stellen, etwa in der Gleichstellungspolitik. Dies wäre „billig“, weil wesentliche grüne Positionen längst von führenden Vertreterinnen der Bundesregierung geteilt werden.

Wahrscheinlicher sind aber Tauschvereinbarungen, die jedes einzelne Politikfeld betreffen. Denn auch wenn im Bundesrat Parteienvertreter sitzen und man dann die Grünen braucht: Einen neuen förmlichen Koalitionsvertrag wird es nicht geben. Jedes einzelne Gesetz muss so gestrickt sein, dass die Grünen in Hamburg und im Saarland zustimmen können. Das heißt etwa in der Gesundheitspolitik: Es wird Forderungen nach einer Stärkung von Qualitätssicherung und (nichtmedizinischer) Prävention geben – und diese werden auch erfüllt werden. In der Verkehrspolitik werden sich die Grünen für ein Nachhaltigkeitskonzept einsetzen, das nicht allein technische Lösungen sondern auch Verhaltenssteuerungen beinhaltet.

Insgesamt wird sich nicht nur der Inhalt der Bundespolitik ändern. Die neuen Machtverhältnisse werden alle Beteiligten auf die Probe stellen: Sind die Grünen bereit für Jamaika? Wird sich ein Bündnis mit den Grünen in der CDU durchsetzen lassen? Wie wird die Kanzlerin mit den zu erwartenden Widerständen aus FDP und CSU umgehen? Die Landtagswahl in NRW ist somit spannend. Sie wird nicht nur die Machtverhältnisse auf Bundesebene nachhaltig mitbestimmen, sondern auch die Weichen für die zukünftige Entwicklung unseres Parteiensystems stellen.

 

"Honeymoon" is over

Für die Medien ist es ein gefundenes Fressen: Gesundheitspolitik in der Krise, Umfragetief für die FDP, Einbußen für die wichtigsten Regierungspolitiker. Im Politbarometer der vergangenen Woche erhält die schwarz-gelbe Regierung erstmals negative Beurteilungen, im Deutschland-Trend der ARD gaben Befragte in den vergangenen Tagen an, die jetzige Regierung sei schlechter als die Vorgängerregierung. Die Koalition, so scheint es, befindet sich in einer echten Krise. Tatsächlich?

Fakt ist, dass es in der Regierung noch nicht rund läuft. Einiges ist durch den Regierungswechsel bedingt. Selbst Wunschkoalitionen müssen sich erst einmal finden. Man denke zurück an den Regierungsantritt von Rot-Grün 1998: Von Dezember 1998 an ging es mit der Unterstützung für die neue Regierung bergab. Ein erster Schock war die verlorene Landtagswahl in Hessen am 7. Februar 1999, die auch die Mehrheit im Bundesrat kostete. Es folgte ein Stimmungstief im März 1999, der absolute Tiefpunkt im September 1999, und erst die CDU-Spendenaffaire (Winter 1999/2000) führte zu erheblichen Verbesserungen der Bewertungen für Rot-Grün.

Insofern ist das, was derzeit in Berlin passiert, nicht neu. Und es ist durchaus typisch für die erste Phase einer Legislaturperiode. Neu gewählte Regierungen erhalten in der Regel kurz nach einer Wahl die besten Bewertungen, was Bestätigungseffekt im „Honeymoon“ genannt wird. Doch Flitterwochen dauern nie lange. Im Anschluss muß dann nicht mehr nur – wie im Wahlkampf und während der Koalitionsverhandlungen – geredet, sondern regiert werden. Und die ersten wichtigen und für Teile der Bevölkerung harten Politikentscheidungen müssen früh, wenn auch nicht sofort getroffen werden. Am Ende einer Legislaturperiode ist dies weitaus schwieriger, denn da muss der Souverän wieder gewonnen und keinesfalls vergrätzt werden.

Doch wie steht es im Lichte dieser Erfahrungen um die Lage der Koalition im Februar 2010? Gemessen an den ersten Monaten der letzten Regierungen, geht es Schwarz-Gelb „den Umständen entsprechend“. Das bedeutet, dass man nicht von einer Krise der Regierung sprechen kann, auch wenn die Holperer doch recht zahlreich sind. Aus der Perspektive einer ganzen Legislaturperiode hat die Regierung noch genug Zeit, in Tritt zu kommen. Ein wenig problematisch ist allerdings der Wahltermin in Nordrhein-Westfalen. Geht es „normal“ weiter, also für Schwarz-Gelb bis auf weiteres nach unten, dann wird es für Union und FDP schwierig werden, die Landtagswahl im größten deutschen Bundesland am 9. Mai 2010 zu gewinnen.

Landtagswahlen weisen allerdings ein paar Spezifika auf, die schwer kalkulierbar sind. Es wird vor allem darum gehen, welche Lager und Parteien ihre Klientel bei einer vermeintlich weniger wichtigen Wahl besser moblisieren können. Ist der Bundestrend für Schwarz-Gelb weiter negativ, dann sind Mobilisierungsdefizite für Union und FDP sehr wahrscheinlich, zumal die Regierungskonstellation im Bund und in NRW die gleiche ist. Allerdings werden Landtagswahlen auch von landesspezifischen Faktoren beeinflusst. Hier wird es um die Zufriedenheit der Bürger NRWs mit den Politikergebnissen, mit ihrem Ministerpräsidenten und um politische Alternativen gehen. Letzteres könnte zum Problem für die Opposition werden. Rot-Grün liegt derzeit klar hinter Schwarz-Gelb zurück und hat damit keine eigene Machtperspektive. Insofern wird es spannend werden: Wer „könnte“ mit wem, zu welchem Zweck und vor allem mit welchen Erfolgsaussichten? Wird es zu bunt und unübersichtlich, bliebe der Rückgriff auf ein bekanntes, bestenfalls auch bewährtes Koalitionsmodell.

 

Ein Blick in die Zukunft?

Henrik SchoberKurz vor der Bundestagswahl ist am vergangenen Wochenende bereits eine Wahlentscheidung der besonderen Art gefallen: 127.208 Kinder und Jugendliche haben sich an der „U18-Wahl“ beteiligt und damit ein deutliches Zeichen gesetzt. Denn diese Wahlbeteiligung lag weit über der des ersten Urnengangs im Jahr 2005, als sich 48.461 junge Menschen beteiligten. Natürlich kann das Ergebnis dennoch nicht als repräsentativ für das politische Interesse oder gar die politische Stimmung der unter 18-Jährigen gelten: Die Einzugsbereiche der insgesamt 1000 Wahllokale konnten naturgemäß nicht das gesamte Bundesgebiet abdecken und überdies ist anzunehmen, dass insbesondere die politisch interessierten Kinder und Jugendlichen an der Wahl teilnahmen. Dennoch lohnt der Blick auf das Wahlergebnis, hier im Vergleich zu dem der ersten U18-Wahl vor vier Jahren:

U18-Wahlen 2009 und 2005

U18-Wahl 2009 und 2005

Dunklere Balken: Ergebnis 2009, hellere Balken: Ergebnis 2005 (Die Tierschutzpartei wurde 2005 mit einem Anteil von 1,1% unter „Sonstige“ gefasst).

Wenn es nach den unter 18-Jährigen ginge, gäbe es in Deutschland also ein 7-Parteien-Parlament. Neben den etablierten Parteien würde auch der Piratenpartei und der Tierschutzpartei der Einzug in den Bundestag gelingen, die NPD hingegen würde an der 5%-Hürde scheitern. Die guten Ergebnisse der kleinen Parteien gehen vor allem zu Lasten der SPD, die sich nur knapp als stärkste Partei behaupten kann. Nun ist hinlänglich bekannt, dass sich politische Meinungen im Laufe des Lebens ändern können, das Ergebnis der U18-Wahl ist somit keine Projektion zukünftiger Bundestagswahlergebnisse. Dennoch sei eine Gegenüberstellung des U18-Ergebnisses mit einer aktuellen Forsa-Umfrage zur Bundestagswahl gestattet, die im selben Zeitraum durchgeführt wurde:

U18-Wahlergebnis und Forsa-Umfrage unter Wahlberechtigten

U18-Wahl und Forsa-Umfrage

Dunklere Balken: U18-Ergebnis vom 18.9.2009, hellere Balken: Forsa-Umfrage im Zeitraum 15.9.-21.09.2009 (Piratenpartei, Tierschutzpartei und NPD werden im Umfrageergebnis unter „Sonstige“ gefasst).

Insbesondere die Union, aber auch SPD und FDP erzielen im U18-Ergebnis schlechtere Werte als in der Umfrage unter Wahlberechtigten. Die Grünen sowie die drei genannten kleinen Parteien hingegen schneiden bei den Kindern und Jugendlichen besser ab. Das U18-Ergebnis weicht damit erkennbar von dem der Umfrage ab, dennoch steht es in Einklang mit einem Trend, den nicht nur Wahlforscher seit einigen Jahren beobachten: Die „diffuse“, grundsätzliche Unterstützung für Parteien schwindet und die Wähler orientieren sich in ihrer Wahlentscheidung zunehmend an spezifischen Themen und Sachfragen. Dies ist bei den Kindern und Jugendlichen in besonderer Deutlichkeit sichtbar: Mit Piraten und Tierschutzpartei würden zwei Parteien ins Parlament einziehen, die nur ein Thema prominent besetzen und sich nicht im Stil der Volksparteien thematisch breit aufstellen.

Zugegeben: Die Grünen, einst ebenso mit einem engen Themenspektrum gestartet, haben inzwischen zu allen wichtigen politischen Fragen Position bezogen. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass durch das immer stärker an Sachfragen orientierte Wahlverhalten in Zukunft auch junge Parteien Erfolg haben könnten, die sich dauerhaft auf einzelne Themen konzentrieren und damit den Nerv bestimmter Wählergruppen treffen. Die etablierten politischen Parteien sollten sich daher perspektivisch auf Konkurrenz einrichten, die den Wählern nicht etwa neue Ideologien, sondern dezidiert thematische Alternativen anbietet. Passend dazu hat eine Forsa-Umfrage im Vorfeld der U18-Wahl ermittlet, dass für mehr politisches Interesse bei Jung- und Erstwählern zwei wesentliche Voraussetzungen geschaffen werden müssen: „mehr politische Bildung“ und ein „besseres inhaltliches Angebot der Parteien“.

 

Koalitionskarrussell – eine bisher noch kaum beachtete Option

Andrea RömmeleAuf einer politikwissenschaftlichen Tagung letzte Woche in Potsdam wurde eine in der Öffentlichkeit bisher kaum beachtete Koalitionsoption hinterfragt: die Minderheitsregierung. Der Blick auf unsere europäischen Nachbarn und andere OECD-Staaten zeigt, dass eine solche Konstellation nicht so exotisch ist, wie man vermuten könnte: In Spanien beispielsweise kommen die Sozialdemokraten von José Zapatero auf 164 von 350 Sitzen und sind auf die Stimmen kleinerer Parteien angewiesen; die kanadischen Konservativen um Premier Stephen Harper regieren, obwohl sie mit 124 von 308 Mandaten ebenfalls keine Mehrheit im Parlament stellen; und in Dänemark verfügen Lars Rasmussens „Venstre“ und die Konservativen aktuell zusammen über 64 von 179 Sitzen. Auch in Schweden, den Niederlanden, der Tschechischen Republik, Österreich und einigen anderen Ländern hat man bereits – teilweise langjährige – Erfahrungen mit Minderheitsregierungen gesammelt.

Somit stellt sich angesichts einer möglicherweise sehr schwierigen Koalitionsbildung nach der Bundestagswahl die Frage, ob eine Minderheitsregierung nicht auch ein probates Mittel sein könnte, mit dem man der drohenden Politikblockade nach der Wahl entgehen könnte. Die Erfahrungen der Bundesrepublik Deutschland mit diesem Regierungstyp sind gering. Nachdem Minderheitsregierungen zu Zeiten der Weimarer Republik in engem Zusammenhang mit der Instabilität des gesamten Regierungssystems standen, waren sie nach dem zweiten Weltkrieg nur in Übergangsphasen gegeben – etwa nach dem Bruch der sozialliberalen Koalition 1982.

Es scheint also, als ob das Potenzial dieses Regierungstyps in Deutschland noch nicht ausgereizt wäre. Allerdings gibt es sehr gute Gegenargumente, die sich nicht nur aus der Geschichte der Weimarer Republik, sondern auch aus strategischen Überlegungen der heutigen Zeit speisen: Es ist auffällig, dass Minderheitsregierungen in Ländern beliebt sind, in denen es keine starke zweite Parlamentskammer gibt. In Deutschland jedoch ist der Bundesrat ein wichtiger politischer Akteur, gegen den man kaum regieren kann. Ohne seine Zustimmung könnte nahezu jedes Gesetz gekippt werden und die Regierung wäre somit handlungsunfähig.

Nach aktuellem Stand und unter Berücksichtigung der anstehenden Regierungsbildungen in Thüringen, Schleswig-Holstein, Brandenburg und dem Saarland scheint einzig eine Bundesratsmehrheit für Schwarz-Gelb realistisch zu sein. Sie könnte auf 37 von 69 Stimmen kommen, falls Schleswig-Holstein nach der Landtagswahl von CDU und FDP regiert werden sollte. Die Große Koalition hingegen hat schon nach der Hessenwahl ihre Mehrheit verloren, da die CDU dort nun nicht mehr alleine, sondern mit der FDP regiert. Durch den anzunehmenden Wegfall zweier weiterer CDU-Alleinregierungen in Thüringen und dem Saarland könnte eine Mehrheitsperspektive im Bundesrat für Länder, die Unions-, SPD- oder von einer Großen Koalition geführt sind, noch ferner rücken. Und Rot-Grün, das in dieser Konstellation nur noch in Bremen regiert, kann gerade mal auf 7 Stimmen (Bremen plus das von der SPD alleine regierte Rheinland-Pfalz) zählen.

Man könnte also schlussfolgern: Schwarz-Gelb sollte die Bundesregierung stellen – egal, ob als Mehrheits- oder als Minderheitsregierung. Aber wäre eine solche Koalition, wenn sie im Bundestag über keine Mehrheit verfügt, politisch tragfähig? Würde der Bundestag unter diesen Umständen eine CDU-Kanzlerin wählen? Einiges scheint dagegen zu sprechen, insbesondere das gemeinsame Credo von SPD, Grünen und Linken, dass Schwarz-Gelb verhindert werden müsse. Der Blick ins Ausland zeigt aber auch, dass Vieles möglich ist: Minderheitsregierungen können sowohl aus einer Partei als auch aus Koalitionen bestehen und sowohl von der politischen Mitte als auch von einem klar definierten Lager aus organisiert werden. Vielleicht ist es angesichts der aktuellen Experimentierfreudigkeit der deutschen Politik (schwarz-grün, Jamaika, rot-rot-grün) für alle Parteien an der Zeit, auch die Option einer Minderheitsregierung neu zu diskutieren.

 

Der Wahl-O-Mat – Millionenfach gespielt

Stefan MarschallMit dem gestrigen Tag ist der Wahl-O-Mat zur Bundestagswahl rund zwei Millionen Mal genutzt worden. Somit wurde dieses Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung innerhalb seiner ersten Online-Tage schon öfter gespielt als die Version zur Europawahl 2009 in ihrer gesamten Laufzeit. Bis zum Montagabend hatte der Wahl-O-Mat bereits 1,6 Millionen Mal berechnet, wie nahe die zur Bundestagswahl zugelassenen Parteien Usern in Bezug auf 38 Thesen aus dem Wahlkampf stehen. Zum Vergleich: Der Europa-Wahl-O-Mat wurde insgesamt circa 1,56 Millionen Mal gespielt.

Man kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bereits jetzt sagen, dass auch die bisherige Nutzungsspitze bei der Bundestagswahl 2005 von dieser Version deutlich getoppt werden wird. Damals konnte der Wahl-O-Mat 5,1 Millionen Nutzungen verzeichnen. Rechnet man die nun vorliegenden Zahlen auf der Grundlage der bisherigen Erfahrungen vorsichtig hoch, dann könnte das Tool bis zum Wahltag rund acht bis zehn Millionen Mal gespielt worden sein.

Die starke Nachfrage hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass der Wahl-O-Mat – wie überhaupt die Bundestagswahl – ein prominentes Thema auch und insbesondere in den „alten“ Medien ist. Zahlreiche Wahl-O-Mat-Medienpartnerschaften sind auf den Weg gebracht worden, unter anderem mit der ARD, dem ZDF und RTL. Aus den Befragungen der Nutzer wissen wir, dass viele über die klassischen Massenmedien auf den Wahl-O-Mat aufmerksam gemacht worden sind.

Bedeuten die Zahlen, dass am Ende rund zehn Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung den Wahl-O-Mat genutzt haben werden? Nicht unbedingt. Es handelt sich um Nutzungen, nicht um Nutzer. Zwar wird bei jeder einzelnen Sitzung ein „session cookie“ gesetzt, sodass, wenn man das Tool mehrfach durchspielt, dies als nur eine Nutzung gewertet wird (notabene: auch für den Fall, dass mehrere Personen vor dem Computer sitzen und den Wahl-O-Mat nacheinander durchspielen). Verlässt man die Seite und ruft sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf, wird dies als eine zweite Nutzung registriert. So liegt die exakte Zahl der User im Dunkeln – aber sie wird definitiv im Millionenbereich liegen.

Von niederländischen Verhältnissen sind wir freilich noch weit entfernt: Der niederländische Wahl-O-Mat, der „Stemwijzer“, verzeichnete bei der Tweede-Kamer-Wahl 2006, den Wahlen zum nationalen Parlament, rund 4,7 Millionen Nutzungen bei einer Gesamtbevölkerung von 16,4 Millionen: Das sind rund 28 Prozent! Insofern ist für kommende Wahl-O-Mat-Einsätze durchaus noch Luft nach oben.

 

Thüringen: Warum nicht eine grüne Ministerpräsidentin?

Nach der Landtagswahl gibt es in Thüringen zwei realistische Koalitionsoptionen: Schwarz-Rot oder Rot-Rot-Grün. Der Spitzenkandidat der SPD, Christoph Matschie, hat am Wahlabend und am Tag darauf betont, dass es mit der Thüringer SPD keinen Ministerpräsidenten der Linken geben wird. Auch die Grünen haben große Vorbehalte gegen Bodo Ramelow. Wie die SPD stößt man sich an zwei Kandidaten (jetzt: Abgeordnete) auf der Landesliste der Linken, die keine ganz reine „DDR-Weste“ haben. Ramelow und die Linke beanspruchen dagegen das Amt des Ministerpräsidenten. Matschie lässt verlauten, dass er eher eine Koalition mit Dieter Althaus und der CDU eingehen wird als unter der Führung eines linken Ministerpräsidenten Rot-Rot-Grün zu versuchen. Andererseits weisen die drei Parteien der Linken auf programmatische Übereinstimmungen hin, die ein Rot-Rot-Grünes Bündnis lohnenswert machten.

Was tun? Nun, die Linke wird nie und nimmer Herrn Matschie zum Ministerpräsidenten wählen, SPD und Grüne dagegen nicht Herrn Ramelow. Da bleibt eigentlich nur noch die Große Koalition, die vielleicht gar nicht das Schlechteste für Thüringen wäre. Andererseits könnte man gleich ein weiteres Mal etwas Neues wagen: Warum nicht eine grüne Ministerpräsidentin in Thüringen? Diese hiesse dann Astrid Rothe-Beinlich. Für die Grünen könnte sich mit diesem Personalvorschlag eine Regierungsoption eröffnen. In Thüringen haben sie – verglichen mit dem Saarland oder Sachsen – nur eine Option: Rot-Rot-Grün. Eine grüne Ministerpräsidentin hätte zwischen zwei roten Blöcken zu moderieren und liefe natürlich Gefahr, zwischen SPD und Linken aufgerieben zu werden. Andererseits: Wer es nicht versucht, hat in jedem Fall verloren. Aber vielleicht gehen die Grünen ja gern in die Opposition. Hierzu meinte ein gewisser Franz Müntefering einmal: Opposition ist Mist.