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Die Ampelkoalition und die FDP: nicht geliebt und nicht gewollt, aber inhaltlich gar nicht so abwegig?

Der Parteitag der FDP vom vergangenen Wochenende in Hannover bot – mit einer Ausnahme – wenig Neues. So verabschiedeten die Liberalen ohne große Diskussionen ihren Wahlprogrammentwurf „Die Mitte stärken“ und bestätigten ihren Vorsitzenden Guido Westerwelle mit einem deutlichen Ergebnis von mehr als 95% der Delegiertenstimmen. Die (implizite) Überraschung des Parteitages bildete hingegen die Aussage, dass eine Koalition mit SPD und Bündnis’90/Die Grünen nicht von vorneherein ausgeschlossen wird (Analysen der Programme dieser Parteien finden sich hier für die Grünen und hier für die SPD). Dies ist gegenüber der bisherigen Strategie der Liberalen, wie sie etwa ihr hessischer Landesverband bei den Wahlen 2008 und 2009, aber auch die Gesamtpartei bei den letzten Bundestagswahlen 2005 vertreten hat, eine deutliche Kehrtwende. Zwar bleibt die Erstpräferenz der Freidemokraten ein bürgerliches Bündnis mit der Union, aber der deutliche Aufruf zur Abwahl der großen Koalition sowie der nicht erfolgte Ausschluss der „Ampel“ implizieren, dass sich die Liberalen hier ein Hintertürchen offen halten.

Das grundlegende Statement der FDP vom Wochenende im Hinblick auf die nächste Regierungsbildung ist, dass eine Koalition ausschließlich auf der Grundlage inhaltlicher Übereinstimmung geschlossen werden soll. Um zu überprüfen, ob solche Schnittmengen bestehen, müssen die Positionen der Wahlprogramme der Parteien auf den für Deutschland zentralen Politikfeldern bestimmt werden. Dies sind laut gängigem Forschungsstand die Wirtschafts- und Sozialpolitik einerseits sowie die Innen-, Rechts- und Gesellschaftspolitik andererseits. Unterschiedliche ideologische Ausrichtungen in diesen beiden Politikbereichen prägen maßgeblich Wahlverhalten und Parteienwettbewerb in Deutschland. „Linke“ Positionen bedeuten in der Wirtschafts- und Sozialpolitik ein Eintreten für einen starken Wohlfahrtsstaat mit hohem Steuer- und Abgabenniveau zugunsten einer starken sozialen Sicherung, während eine „rechte“ Position mit der Forderung nach einem schwachen Sozialstaat mit niedrigen Steuersätzen übersetzt werden kann. Gesellschaftspolitisch „progressive“ Positionen meinen liberale Haltungen zu Fragen der Abtreibungsregelung oder der Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften mit traditionellen Formen familiären Zusammenlebens. Im Gegensatz dazu impliziert eine „konservative“ Haltung auf diesem Politikfeld etwa eine striktere Abtreibungsregelungen und weniger Rechte für gleichgeschlechtliche Paare.

Wo liegen nun die die Übereinstimmungen zwischen den Bundestagsparteien, wenn man sich deren Positionen auf diesen beiden Politikfeldern anschaut? Haben sich die Positionen im Vergleich zur letzten Bundestagswahl 2005 deutlich gewandelt? Um diese Fragen zu beantworten, wird eine Inhaltsanalyse der bislang vorliegenden Bundestagswahlprogramme zur Wahl 2009 sowie der Programme von 2005 vorgenommen (basierend auf der Wordscore-Methode von Laver, Benoit und Garry).

Die gewonnenen Positionen der Parteien zu den Wahlen 2005 und 2009 zeigen – mehr oder weniger – das Bestehen zweier Blöcke: Union und FDP nehmen recht ähnliche Positionen auf dem Politikfeld „Wirtschaft“ ein, die in der Grafik auf der x-Achse abgetragen sind. Hier hat die FDP ihre Positionen nur sehr marginal gegenüber 2005 verändert (da das 2009er Programm der Union noch nicht vorliegt, können die Distanzen zur Union nur auf dem Wahlmanifest interpretiert werden). Anders sieht es jedoch im gesellschaftspolitischen Bereich aus, wo SPD, FDP, Grüne und die Linke einen ideologischen „Block“ bilden: Hier haben sich die Liberalen im Vergleich zu 2005 deutlich in die progressive Richtung verändert. Dies gilt auch für SPD und Grüne. Generell hatten bereits 2005 (und auch zu früheren Wahlen, wie zahlreiche Studien zeigen) Sozialdemokraten, FDP und Grüne sehr ähnliche Standpunkte zu gesellschaftspolitischen Fragen. Das Konfliktpotential einer potentiellen „Ampelkoalition“ liegt also vor allem im wirtschaftspolitischen Bereich, das eines christlich-liberalen Bündnisses in der Innen-, Rechts- und Gesellschaftspolitik (sofern sich die gesellschaftspolitische Position des CDU/CSU-Wahlprogramms 2009 nicht klar in die progressive Richtung verändert). Ob dieser Grad an Übereinstimmung im Falle eines Verfehlens einer bürgerlichen Mehrheit jedoch zur Bildung einer (stabilen) Dreierkoalition aus Rot, Gelb und Grün reicht, werden erst Sondierungsverhandlungen zwischen den Parteien zeigen können. Würden einzig und allein Fragen der Bürgerrechte und – generell – gesellschaftspolitische Aspekte entscheidend für die Regierungsbildung im kommenden Herbst sein, dann wäre eine Ampelkoalition jedoch die ideale, programmatisch kohärenteste Lösung.

 

Die Steuerversprechen von Union und FDP: ein Mittel zum Stimmenfang?

Der Wahlkampf ist mittlerweile in vollem Gange. Die Parteien werben mit Inbrunst um die Gunst des Wählers und vor allem Union und FDP lassen sich dabei nicht lumpen: Von Steuerentlastungen ist bei beiden Seiten die Rede, die Bürger sollen schließlich davon profitieren, wenn sie der Partei am Wahltag ihre Stimme schenken. Betrachtet man sich die Umfragedaten des ZDF Politbarometers vom 8. Mai 2009, wird deutlich, dass dies ein schlauer Schachzug sein könnte. Die Mehrheit der Bundesbürger (63 %) ist Steuersenkungen für Arbeitnehmer trotz der Wirtschaftskrise positiv gegenüber eingestellt. Es sieht so aus, als ob man mit diesem Wahlversprechen erfolgreich auf Stimmenfang gehen kann.

Inwieweit kann man dieses Versprechen als Wähler jedoch auch wirklich ernst nehmen? Was sagen Experten dazu? Laut Werner Sinn, dem Chef des Münchner Ifo-Instituts, werden die Deutschen den Gürtel auf jeden Fall enger schnallen müssen. In erster Linie müssten die Staatschulden abgebaut werden, und das ginge einher mit Steuererhöhungen oder einer Kürzung der Ausgaben im Sozialbereich (Interview vom 18.5. 2009, Berliner Morgenpost).

Mit dieser Aussage macht Herr Sinn Union und FDP einen Strich durch ihre Rechnung und es könnte der Eindruck entstehen, die angekündigten Steuersenkungen sind nichts als leere Wahlversprechen. Die zentrale Frage ist jedoch: Wie sehen die Wähler das? Sind die Steuerversprechen denn nun wirklich ein schlauer Schachzug? Die Wähler haben hierzu eine eindeutige Meinung, denn 88 % glauben laut Politbarometer vom 24. April 2009 nicht an Steuersenkungen nach der Bundestagswahl, lediglich 10 % glauben daran.

Mit Speck kann man vielleicht Mäuse fangen, mit unrealistischen Wahlversprechen anscheinend nicht…

 

1,55 Millionen, naja.

1,55 Millionen Zuschauer sahen im Durchschnitt gestern das Townhall-Meeting von und mit Angela Merkel. Das ist einerseits nicht schlecht, andererseits aber doch bescheiden (siehe auch den Beitrag von Andrea Römmele) – gerade im Vergleich zu den Zuschauerzahlen, die 2002 und 2005 die TV-Duelle erreichten: 2x 15 Millionen bei Schröder-Stoiber, 1x 21 Millionen bei Schröder-Merkel. Zudem ist davon auszugehen, dass gestern – und auch dies im Gegensatz zu den „großen“ TV-Duellen – vor allem politisch interessierte Bürger vor den Bildschirmen saßen. Das große Wirkungspotenzial gerade von TV-Duellen liegt aber darin, dass sie auch andere, „politikfernere“ Wählergruppen erreichen. Insgesamt gilt auch nach dem Townhall-Meeting bei RTL von gestern: TV-Duelle bleiben die wichtigsten Einzelereignisse in modernen Wahlkämpfen.

 

Chance zum wirklichen Dialog verpasst: Angela Merkels Bürgersprechstunde auf RTL

Gestern Abend fand es also statt, das erste „Townhall-Meeting“ mit Angela Merkel – und sie hat das Kind auch gleich beim Namen genannt: Bürgersprechstunde. Die Bundeskanzlerin steht mit Rat und Tat zur Seite. Das ist sicherlich gut und schön, zumal Angela Merkel Bodenständigkeit und Humor bewiesen hat. Allerdings ist sehr fraglich, ob die Veranstaltung wirklich ihr Ziel erreicht hat. Als Bundeskanzlerin muss es Frau Merkel ein Anliegen sein, das Interesse und die Teilnahme der Bürger an der Politik zu fördern. In Ihrer Rolle als Vorsitzende und Spitzenkandidatin der CDU muss sie zudem die Inhalte ihrer Partei transportieren und Stimmen für sich gewinnen. Für beide Zwecke ist ein Townhall-Meeting eine ideale Umgebung: Es erlaubt die direkte Ansprache aller Zuschauer, die durch die Fragesteller repräsentiert werden. Viele dieser Wähler sind bislang unentschlossen, das Potenzial einer solchen Sendung ist groß: Noch weiß ca. ein Drittel der Deutschen nicht, welche Partei sie wählen würden; knapp 30 Prozent sind gemäß einer aktuellen Befragung nicht sicher, ob sie überhaupt an der Bundestagswahl teilnehmen werden.

Diese Gruppe der Unentschlossenen anzusprechen, ist ein Hauptanliegen von Formaten wie dem Townhall-Meeting. Überzeugend war die Veranstaltung allerdings nicht. Das Spontane, das Lebendige und das Flexible fehlten völlig. Die Antworten wirkten vorformuliert – und das waren sie sicherlich auch. Frau Merkel hatte wohl genügend Zeit, sich auf die Fragen in den Videobotschaften einzustellen. Die Bürger aber möchten mehr Authentizität und mehr Spontaneität, sie sind diese hochpolierten, bis an die Grenze durchprofessionalisierten und damit austauschbaren Polit-Köpfe leid. Mehr Emotionalität, mehr Empathie, bitte schön!

Verantwortlich für den Ablauf und den Zuschnitt der Sendung ist natürlich auch der Sender. Er wäre zu fragen, wie viele Botschaften überhaupt eingesandt wurden und nach welchen Kriterien sie ausgewählt wurden? Alles in allem haben beide, Angela Merkel und RTL, die Chancen, die eine solche Veranstaltung bietet, nicht genutzt.

 

Argumente sind nicht alles!

Die Fernsehdebatten zwischen Nixon und Kennedy sind nicht nur legendär, weil es die ersten in einem Präsidentschaftswahlkampf waren, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass Kennedy von Personen, die das erste Duell gesehen haben, als der Sieger des Duells wahrgenommen wurde, während Nixon bei Personen, die das Duell nur im Radio gehört haben, vorne lag. Für Frank Stanton, damals Chef von CBS war „Kennedy bronzed beautifully“, während „Nixon looked like death“. Der Mythos von der Allmacht der Bilder war geboren, denn – so der Schluss – wegen dieses Vorteils im Aussehen hat Kennedy die Debatte (und so die Wahl) gewonnen.

Die Datenbasis dieses Befunds war allerdings lange Zeit dünn, bis der amerikanische Politikwissenschaftler James N. Druckman Jahre später ein kontrolliertes Experiment mit Studierenden, die nichts über das Treffen von Kennedy und Nixon wussten, durchgeführt hat – mit dem gleichen Ergebnis: Nixon schnitt bei Zuhörern deutlich besser ab als bei Zuschauern.

Anlässlich der ersten deutschen TV-Duelle 2002 zwischen Schröder und Stoiber haben wir ähnliche Experimente durchgeführt – ebenfalls mit bemerkenswerten Ergebnissen: Stoiber wurde von Zuschauern nach der ersten Debatte deutlich besser bewertet als von Zuhörern. Sie mochten seine Stimme nicht (im Gegensatz zu Schröders Stimme), dafür fiel ihnen (offenkundig positiv) auf, dass Stoiber häufig freundlich lächelte.

Kandidaten 2009 also aufgepasst: Argumente sind nicht alles!

Literatur
James N. Druckman: The Power of Television Images: The First Kennedy-Nixon Debate Revisited, in: Journal of Politics 65 (2003), S. 559-571
Thorsten Faas, Jürgen Maier: Schröders Stimme, Stoibers Lächeln: Wahrnehmungen von Gerhard Schröder und Edmund Stoiber bei Sehern und Hörern der Fernsehdebatten im Vorfeld der Bundestagswahl 2002, in: Knieper, Thomas/Müller, Marion G. (Hrsg.): Visuelle Wahlkampfkommunikation, Köln 2004, S. 186-209

 

Vorhang auf für starke Inhalte

Dass Personen in Wahlkämpfen immer wichtiger geworden sind, wurde hier bereits mehrfach diskutiert und dargelegt (siehe etwa die früheren Blog-Beiträge zu Angela Merkel und Franz Müntefering). Es wurde dabei auch darauf hingedeutet, dass die Person bzw. der Kandidat nicht alleine den Ausschlag geben kann, sondern in Verbindung zu einem Thema gebracht werden muss. Ursula von der Leyen und die CDU-Familienpolitik sind momentan das beste Beispiel dafür. Am Sonntag steht nun wieder eine Person im medialen Vordergrund: Die Bundeskanzlerin bestreitet ihr erstes „Townhall Meeting“ und stellt sich den Fragen der Bürger.

Natürlich werden die Zuschauer genau darauf achten, wie Angela Merkel zu Fragen Position bezieht, die nicht von Fernsehmoderatoren erdacht wurden, sondern aus der Mitte der Bevölkerung kommen. Und abgesehen davon hat dieses Ereignis noch eine weitere spannende Komponente: Die empirische Forschung hat klar gezeigt, dass mehr und mehr auch die „unpolitischen“ Eigenschaften eines Kandidaten bei der Wahlentscheidung eine Rolle spielen.

Die Geschichte hierzu ist schnell erzählt: Wähler orientieren sich bei der Entscheidungsfindung immer weniger an Parteien, das Grundvertrauen in eine Partei (die so genannte Parteiidentifikation) ist konstant rückläufig und weicht einem Grundvertrauen in politische Köpfe. Vor allem auch aufgrund der Komplexität und des permanenten Wandels der politischen Agenda rücken verstärkt die unpolitischen Eigenschaften der Kandidaten in den Mittelpunkt. Der Wähler beurteilt den Politiker anhand seiner Managementfähigkeiten und seiner Möglichkeit, Dinge kurz und prägnant darzustellen. Auch die angemessene Gestik und Mimik tragen dazu bei, dass ein Politiker jenseits konkreter Themen glaubwürdig, seriös und zuverlässig wirkt und somit das Vertrauen der Wähler genießt. Einige empirische Untersuchungen zeigen sogar, dass phyische Attraktivität förderlich für den Wahlerfolg ist – so etwa ein überzeugendes Papier von Ulrich Rosar und Markus Klein zu „Pretty Politicians“.

Allerdings gibt es trotz dieser interessanten Impulse keine systematischen Hinweise darauf, dass diese unpolitischen Eigenschaften die Bedeutung von politischen Eigenschaften verdrängen. Die „A-Note“, überzeugende Programme und Inhalte, ist nach wie vor das zentrale Kriterium für die Wahlentscheidung; die „B-Note“, die Darstellung und der Ausdruck, gewinnt jedoch an Bedeutung. Zu dieser Kategorie gehört nicht zuletzt auch der politische Instinkt dafür, die richtigen Themen in den richtigen Formaten zum richtigen Zeitpunkt zu präsentieren.

Wenn Frau Merkel nun im Rahmen des „Townhall Meeting“ auf die Bürger zugeht und sich ihren Fragen stellt, dann zeigt sie damit sowohl in der A- als auch in der B-Note ihre Kompetenz…

 

TV-Duelle now and then

Als 1960 Richard M. Nixon mit John F. Kennedy debattierte, hätte er dies nicht tun sollen. Das zumindest war und ist die verbreitete Ansicht unter Politikern, Historikern, Politikwissenschaftlern und allen denen, die von sich behaupten, politisch interessiert und informiert zu sein. Nixon führte bis dahin die Umfragen an und Kennedy war ein recht unbekannter junger Politiker, der keine Gefahr darstellte. Doch es kam anders. Kennedy überzeugte als ein versierter und gebildeter Politiker, sah gut aus und konnte dem amtierenden Präsidenten Paroli bieten. Und er gewann zwei von den drei Debatten. Und er gewann schließlich auch die Wahl. Ob es die Debatten waren oder nicht, lässt sich nicht klar beweisen, aber Millionen schauten zu und erlebten, wie die Debatten in der Medienberichterstattung positiv dargestellt wurden und Kennedys Popularitätswerte danach kontinuierlich anstiegen. In den USA gab es nach der Nixon-Kennedy-Erfahrung bis 1976 keine Debatten mehr. Heute sind sie eine fest institutionalisierte Einrichtung im Wahlkampf.

In der Bundesrepublik (siehe auch die Beiträge hierzu von Jürgen Maier und Thorsten Faas) gibt es seit 1972 Fernsehdebatten, die ursprünglich so genannten Elefantenrunden. Reinhard Appel als Moderator der zweiten deutschen Fernsehdebatte 1972 sagte: „Ich danke den Parteivorsitzenden dafür, dass sie sich … unseren Fragen gestellt haben; ich persönlich finde, das ist mehr Demokratie“. Doch ist es nun mehr Demokratie oder doch nur politisches Marketing? Die Politiker nehmen teil, weil sie Wahlen gewinnen wollen. Sie müssen sich überlegen, ob die Debatten sie ihrem Ziel näher bringen werden oder nicht. Die Forschung zeigt, dass Debatten die Einstellung zu Kandidaten beeinflussen können und somit auch den Wahlausgang. Folglich versuchen die Politiker, diese Debatten in ihrem Sinne zu gestalten.

1990 verweigerte sich Helmut Kohl den Debatten, da er vermutlich der Meinung war, im Jahre Null der deutschen Einheit bei so vielen Parteien im Bundestag und somit Diskussionsteilnehmern, unterzugehen. 1998 forderte Schröder Helmut Kohl zum direkten Vergleich ähnlich den USA heraus, aber Kohl lehnte ab. Seit 2002 sehen wir nun Debatten als Kandidatenkonfrontationen nach amerikanischem Format ohne Beteiligung anderer Parteivertreter. Es gilt nun abzuwarten, wie, wie viele und in welcher Zusammensetzung die Fernsehdebatten vor dieser Herbstwahl wohl stattfinden werden. Es ist anzunehmen, dass weder Frau Merkel noch Herr Steinmeier ein großes Bedürfnis haben, mit den Herren Gysi oder Lafontaine zu debattieren, aber die Frage wird sein, ob die kleineren Parteien eine Elefantenrunde erzwingen können. Sie werden es sicherlich versuchen. Natürlich kann ein Fernsehsender einladen, wen er will, aber dennoch ist zu bedenken, dass in der Bundesrepublik keine Kandidaten, sondern Parteien gewählt werden. Wenn mehr Demokratie dargestellt werden soll, dann müssten eigentlich alle Parteien gehört werden und nicht nur die zwei Bewerber um das Kanzleramt. Erleben wir also „mehr Demokratie“ oder bloßes politisches Marketing?

 

Jetzt wählen auch die Milliardäre grün

ZEIT ONLINE: Herr Korwisi, wie wird man grüner Oberbürgermeister in Bad Homburg – nach 60 Jahren CDU-Herrschaft?

Michael Korwisi: Durch Bürgernähe, durch viel Engagement und mit vielen Helfern. All das hatte meine Gegnerin von der CDU nicht, sie war sich trotz schlechter Vorzeichen ihrer Sache sehr sicher. Sie hat als letzte mit dem Wahlkampf begonnen. Und erst eine Woche vor der Wahl bemerkt, dass es eng wird und sie etwas tun muss.

ZEIT ONLINE: Hat die CDU unfair gekämpft? Gab es eine Schlammschlacht in Bad Homburg?

Korwisi: Sie hat Wahlkampf gemacht mit Ideen aus den 60er Jahren. Man plakatierte zur Stichwahl gegen mich: „Keine Experimente!“ Außerdem wollte die CDU ausschlachten, dass ich über Weihnachten in Kuba war. Angeblich soll ich da Fidel Castro die Hand geschüttelt haben.

ZEIT ONLINE: Haben Sie?

Korwisi: Natürlich nicht. Ich wollte ins Warme. Aber die CDU hat lauter dödelige Fehler gemacht. Wir hatten dagegen den Slogan: „So geht’s“. Der Wahlkampf war auf mich zugeschnitten: Nur mein Name war auf blauen Wahlplakaten zu sehen, den Farben Bad Homburgs.

ZEIT ONLINE: Die Grünen sind ja eigentlich grün…

Korwisi: Ich bin Mitglied der Grünen, bin aber als Unabhängiger angetreten. Manche Unternehmer sagten mir: Wir unterstützen Sie dann, wenn Sie als Unabhängiger antreten.

ZEIT ONLINE: Haben sich die Grünen dennoch über ihren Erfolg gefreut?

Korwisi: Klar, Renate Künast hat geschrieben, die hessischen Spitzen sowieso. Auch Joschka Fischer hat angerufen. „Jetzt wählen auch schon die Milliardäre grün“, hat er gebrummt.

ZEIT ONLINE: Bad Homburg ist eine der reichsten Städte Deutschlands. Eher ein ideales FDP-Pflaster, oder?

Korwisi: Die FDP lag hier bei der Landtagswahl vor der SPD, bei deutlich über 20 Prozent. Sie hat hier also eine Hochburg, verliert inhaltlich aber an Bedeutung. Sie ist nicht streitbar, ein bloßes Anhängsel der CDU.

 

Grüne: Unsichtbares Spitzenpersonal in Hülle und Fülle

Zwei Parteivorsitzende, zwei Spitzenkandidaten – ein Mangel an Führungskräften herrscht bei den Grünen wahrlich nicht, die Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen vom vergangenen Wochenende hat dies dem interessierten Bürger eindrucksvoll vor Augen geführt. Und doch kann man in diesen grünen Wein auch Wasser gießen. Am vergangenen Freitag hat die Forschungsgruppe Wahlen die Ergebnisse ihres neuesten Politbarometers veröffentlicht; fester Bestandteil davon ist die Liste der zehn wichtigsten Politiker – fast schon eine Währung deutscher Politik. Grüne dort? Fehlanzeige!

Ein Blick auf die Liste unter parteipolitischen Gesichtspunkten liefert interessante Befunde: Die CDU ist mit Merkel und von der Leyen (was werden die Mitglieder des Andenpakts davon halten?) doppelt vertreten; die CSU mit zu Guttenberg und Seehofer ebenfalls. Die SPD schafft mit den Stones und Müntefering drei Platzierungen, die FDP ist mit Westerwelle in den Top Ten vertreten, die Linke mit ihrem Führungsduo Gysi/Lafontaine sogar doppelt. Grüne – 0.

Neu ist das nicht. Die folgende Grafik zeigt, welche Parteien mit ihrem Spitzenpersonal in der Liste der Top Ten seit 2004 vertreten waren:


 

Seit dem Ausscheiden von Joschka Fischer aus der aktiven Politik (und damit auch der Liste der wichtigsten Politiker) Ende 2005 hat es kein grüner Spitzenpolitiker mehr in die Liste geschafft. Wäre weniger hier mal wieder mehr?

 

Zuversicht in der Krise

Nach einer aktuellen Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) glauben derzeit rund 71 Prozent der Deutschen nicht, dass sich ihr sozialer Status durch die Finanz- und Wirtschaftskrise verändern wird. Aber Zuversicht scheint keine Nachricht wert. Im Bericht der „Welt am Sonntag“, in deren Auftrag die GfK-Befragung durchgeführt wurde, wird stattdessen hervorgehoben, dass zurzeit 28 Prozent der Deutschen ihre Schichtzugehörigkeit durch die Finanz- und Wirtschaftskrise gefährdet sehen. Der Titel der Presseinformation der GfK lautet noch: „Mehrheit der Deutschen fürchtet keinen sozialen Abstieg“. Bei „Welt online“ wurden daraus Schlagzeilen wie „In Deutschland wächst die Angst vor dem sozialen Abstieg“ und „Deutsche Mittelschicht fürchtet sozialen Abstieg“. Der Nachrichten-Aufmacher bei T-Online am Montagvormittag dröhnte: „Die Angst vor sozialen Abstieg geht um“. Und da musste dieselbe Befragung auch gleich als Beleg dafür herhalten, dass die Angst vor einem sozialen Abstieg durch die Wirtschaftskrise bei immer mehr Deutschen um sich greife.

Nun gehört es zu den wenig aufregenden Erkenntnissen der Medienforschung, dass schlechte Nachrichten gute Nachrichten sind, weil sie mehr Aufmerksamkeit wecken und sich damit auch besser verkaufen lassen. Wenn aber aus guten Nachrichten schlechte Nachrichten gemacht werden, dann untergräbt das die Glaubwürdigkeit des Überbringers der Botschaft und der Grad zwischen Information und Desinformation wird beunruhigend schmal.

Dabei bedürfen die krisenbedingten Ängste der Deutschen wohl kaum einer künstlichen Übertreibung. Denn laut jüngstem ARD-Deutschland-Trend von Infratest dimap machen sich 57 Prozent der Deutschen Sorgen um ihre persönliche wirtschaftliche Zukunft, 56 Prozent fürchten um ihre Ersparnisse und 76 Prozent glauben, dass uns der schlimmste Teil der Krise noch bevorsteht. Unter den Erwerbstätigen haben 38 Prozent der Befragten Angst um ihren Arbeitsplatz, mit einer Zunahme von 6 Prozentpunkten im Vergleich zum Vormonat.

Diese Zahlen sind alarmierend genug, zumal in einem Superwahljahr, in dem die Wählerinnen und Wähler aufgefordert sind, den Politikern ihrer Wahl das Vertrauen auszusprechen. Nun stellt sich die Frage, wem man in der Krise mehr vertrauen mag: den Wünschelrutengängern, die in der Bevölkerung „Empörung über die Folgen der Krise“ (Gesine Schwan) und „soziale Unruhe“ (Oskar Lafontaine) „spüren“; oder denjenigen, die zwar unsere Sorgen nicht unter den Teppich kehren, aber auch Mut machen, dass wir die Krise gemeinsam überstehen und daraus gestärkt hervorgehen werden.

Die Amerikaner entschieden sich bei der zurückliegenden Präsidentschaftswahl in großer Mehrheit für Zuversicht und Optimismus: Yes, we can – Ja, wir packen das! Wofür werden sich die Deutschen entscheiden – für eine Wahl der Angst oder für eine der Zuversicht? Und welche Partei wird den Deutschen überhaupt die Wahl lassen, den Optimismus zu wählen?