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Der gefährlich blinde Fleck der Notenbanker

 

Die Finanzkrise hat auch ihr Gutes: Sie sät Zweifel, Zweifel an falschen Gewissheiten. Mit Freude habe ich vergangene Woche vernommen, dass selbst Joe Ackermann sich mit seinem Renditeziel von 25 Prozent nicht mehr recht wohl fühlt. Ja, die absurden Eigenkapitalanforderungen geraten ins Wanken. Und das ist gut so, denn sie sind mit das größte Kreuz des modernen Finanzkapitalismus. Mit der Kritik an den überzogenen Renditevorstellungen der Unternehmen wird der Finger in eine offene Wunde der Notenbanker gelegt. Darum haben sich nämlich die Herren und Damen Volkswirte in den Direktorien über Jahre viel zu wenig Gedanken gemacht. Sie haben immer nur auf die Inflationserwartungen gestarrt und die Gewinnerwartungen außen vor gelassen.

Wehe eine Gewerkschaft wagte es mal, etwas mehr Lohn zu fordern als stabilitätspolitisch geboten, da werden die Notenbanker, zumindest in Euroland, immer gleich zickig – wie jetzt wieder. Dann warnen sie vor Zweitrundeneffekten und drohen mit Zinserhöhungen – die jüngste Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank ist so ein Fall. Aber wenn die Unternehmen ihren Aktionären stabilitätspolitisch gefährliche 15 Prozent plus an Eigenkapitalrendite versprechen, dann kommt nichts von den Herren und Damen des Geldes. Das ist das wahre Versagen in den Schaltzentralen der Geldmacht, der peinliche blinde Fleck.

Nehmen wir doch mal die gegenwärtigen Lohnrunden in Deutschland. Da gibt’s Aufschläge um die vier Prozent. Das ist etwas mehr als stabilitätspolitisch geboten, klar. Drei Prozent wären in dieser Hinsicht besser – der Produktivitätszuwachs in der Volkswirtschaft (rund ein Prozent) zuzüglich Inflationsziel der EZB (zwei Prozent). Aber warum thematisiert eigentlich niemand die irrsinnig hohen Gewinne der Firmen, die auf einem Nachkriegshoch liegen. Da müsste es doch für die Unternehmen ein Leichtes sein, die etwas höheren Löhne auf ihre Margen zu nehmen – und die EZB bräuchte sich um Zweitrundeneffekte nicht die geringsten Sorgen zu machen. Doch was tun die Firmen? Sie erhöhen ihre Preise, siehe Bahn und Lufthansa und Co.

Daraus lassen sich zwei Schlüsse ziehen: Erstens, der Wettbewerb auf den Güter- und Dienstleistungsmärkten ist in keiner Weise so stark, wie es uns das Lehrbuch und die Verantwortlichen weismachen wollen. Gäbe es echten Wettbewerb, wären die hohen Margen schon in den vergangenen Jahren nicht möglich gewesen. Aber so wie es im Lehrbuch der Neoklassik steht, ist die Welt da draußen eben nicht. Das ist ja nichts wirklich Neues. Zweitens und viel wichtiger: Die Firmen haben ihren Aktionären 15 Prozent plus versprochen und wollen diese für eine gesamte Volkswirtschaft theoretisch unhaltbaren Gewinne für sich erhalten. Deshalb erhöhen sie die Preise. Und deshalb muss die Notenbank an das Thema Eigenkapitalrendite ran. Wer sich anmaßt, das rechte Maß der Löhne zu kennen, sollte sich auch zutrauen das rechte Maß der Gewinne zu kennen. Oder?

Über das rechte Maß der Gewinne und seine Begründung habe ich mich schon oft ausgelassen, zuletzt in der Rundschau („Graf Krockow packt aus“). Die langfristig erzielbare Eigenkapitalrendite liegt für Aktiengesellschaften irgendwo zwischen sechs und maximal zehn Prozent. Warum haben es dann aber so viele Unternehmen in den vergangenen fast 30 Jahren geschafft, höhere Renditen zu erzielen?

Die Antwort ist simpel: Es gab seit Anfang der 80er Jahre eine Abfolge von vier außergewöhnliche Entwicklungen, die jede für sich extrem positiv für die Gewinne war. Allerdings werden sie sich so rasch nicht wiederholen.

Entwicklung eins hatte die längste Hausse am Aktienmarkt gestartet, die man bislang gesehen hat. Es waren die Jahre 1982 folgende: Die Zinsen halbierten sich, weil die Inflation massiv von Volcker et. al. bekämpft worden war. Sinken die Zinsen, wird der Schuldendienst leichter, steigen allein deshalb die Gewinne.

Entwicklung zwei schloss sich direkt an. Denn plötzlich kollabierten die Rohstoffpreise und sorgten ihrerseits für Extragewinne bei den Firmen. Wer sich das Ölchart anschaut, wird feststellen, dass erst Ende der 90er Jahre der Tiefpunkt erreicht wurde.

Entwicklung drei: Die Löhne sind nicht mehr anständig gestiegen. Arbeitsmarktreformen haben die Gewerkschaften geschwächt und den Druck auf die Arbeitslosen erhöht, zudem traten mit dem Ostblock, China und Indien Länder mit extrem niedrigen Löhnen dem kapitalistischen System bei. All das sorgte dafür, dass die Gewinnquoten zu Lasten der Lohnquoten anschwollen.

Und last but not least: Um die Jahrtausendwende wurde das Schuldenspiel beliebt. Die Firmen und Banken hebelten ihre Bilanzen immer stärker, um ihre Eigenkapitalrenditen weiterhin zweistellig zu halten. Das ging dann so: Ich nehmen eine Milliarde Euro neue Schulden auf und kaufe damit zehn Prozent meiner Aktien zurück. Toll, die Firmen und Banken beraubten sich des Puffers, der, wenn es mal schlechter geht, dafür sorgt, dass es nicht gleich zur Katastrophe kommt.

Spätestens beim letzten Punkt hätten die Herren und Damen Notenbanker einschreiten müssen und den Wahn viel zu hoher Gewinne, zu hoher Eigenkapitalrenditen anprangern müssen.

Wann werden sie ihre zehntausend Forscher endlich auf das Thema setzen, um mit aufrüttelnden Daten den Vorständen Argumente in die Hand zu geben, damit sie sich ihrer gierigen Aktionäre erwehren können?