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Die Kleingeister von Pittsburgh

 

Welche Erfolgsmeldung wird uns Wahlkämpferin Angela Merkel – zwei Tage vor der Wahl – aus Pittsburgh übermitteln? Dass die G-20 die Boni der Banker begrenzen wollen. Toll. Das ist Populismus pur. Das ist ein Nebenkriegsschauplatz allererster Güte im internationalen Finanz-Kasino!

Ok, das Thema höhere Eigenkapitalvorgaben für die Banken kommt der Sache schon näher. Doch auch das kuriert nur Symptome eines Irrglaubens. Hier reagieren die Staats- und Regierungschefs lediglich auf ihre Not, in den dunklen Tagen der Krise von den Banken erpresst worden zu sein. Von Banken, die zuvor von Aktionären und Managern ausgeplündert worden sind. Deshalb verlangen die Regierungschefs nun höher Puffer, damit sie nie wieder erpressbar werden. Hübsch gedacht, gut ans Wahlvolk zu verkaufen. Doch an den wahren Gründen der Krise geht auch das vorbei. Ich räume ein, dass mehr Eigenkapital, geringere Bilanz- zu Eigenkapitalrelationen den Renditewahn ein wenig bremsen werden. Doch das wirklich wichtige Thema, wie der Finanzkapitalismus wieder Geschichte werden kann, steht nicht auf der Agenda der Kleingeister von Pittburgh.

Viel schlimmer noch: Die jüngsten Diskussionen lenken schon wieder von der wahren Frage ab. Da lamentieren Journalisten und Volkswirte über Wachstumseinbußen, die die Volkswirtschaften zu erleiden hätten, wenn die Regulierung strikter würde! Als wenn der unregulierte Kapitalmarkt je zu höheren Wachstumsraten geführt hätte. Im Gegenteil. Seit der neoliberalen Revolution sanken die Wachstumsraten, stiegen Arbeitslosigkeit samt Staatsverschuldung in den westlichen Ländern. Und komme mir ja keiner mit den schönen Wachstumsraten der USA. Das war Sozialpolitik via ungezügelten Kredit! Und China ist der Gegenbeweis. Mittels strikter Kapitalverkehrskontrollen und fester Wechselkurse hat dieses Land nur Kapital hereingelassen, das für Investitionen, Innovationen und Jobs gesorgt hat.

Genauso gruselig ist die Debatte, die angestoßen von Claudio Borio von der Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ ) und Otmar Issing nun auch den Internationalen Währungsfonds (IWF) beeinflusst.

Da fordert der Fonds doch tatsächlich, dass die Zentralbanken bei ihrer Zinspolitik nicht nur die Realwirtschaft, also Wachstum und Inflation, im Blick haben sollen, sondern auch die Vermögenspreise. Wie bitte? Haben wir nicht immer gelernt, dass man möglichst mit einem Instrument (Zins) nur ein Ziel verfolge? Wobei Wachstum und Inflation meist positiv korreliert sind, weshalb das Ziel Realwirtschaft, also ausgelastete Kapazitäten, weder Über- noch Unterauslastung, durchaus mit einem Instrument erreichbar scheint. Aber Blasen verhindern? Das ist eine Aufgabe der Regulierung. Die Aufsicht muss auf heißgelaufenen Vermögensmärkten höhere Margins verlangen. Dafür dürfen alle Anlageklassen nur noch über regulierte Börsen mit angeschlossenem Clearinghaus gehandelt werden. Basta. Aber doch bitte nicht höhere Zinsen. Die bringen in einem Bullmarket sowieso keine Erleichterung, schwächen aber das Wachstum der Realwirtschaft.

Sie merken schon, worauf ich hinaus will? Schauen Sie auf dieses Chart. (Quelle: Reinhart, Rogoff 2008) Es zeigt die Bankenkrisen, gewichtet nach dem BIP der Länder, in denen sie auftraten. Sehen sie sich die Kurve ganz genau an. 30 Jahre lang kannte die kapitalistische Welt keine Bankenkrise.

Reinhart, Rogoff (2008) Banking Crises

Warum? Weil die Banker-Boni reguliert waren? Weil es Basel II gab, das moderne Grundgesetz der Banken? Weil es hohe Eigenkapitalanforderungen gab? Nichts von alledem. Damals durfte man einfach nicht zocken. Das hatten unsere Großväter und Väter aus der großen Krise in den 30er Jahren gelernt. Damals gab es keine flexiblen Wechselkurse, die vom Herdenverhalten auf den Märkten abhängig waren. Damals bestimmten Beamte den Kurs. Das war Bretton Woods. Damals gab es in fast allen Ländern Kapitalverkehrskontrollen. Grenzüberschreitender Handel und ebensolche Investitionen in die Realwirtschaft waren genehm. Die Finanzinvestitionen so gut wie verboten. Damals wusste man auch, dass sich Banken und Wettbewerb nicht vertragen. Deshalb gab es bis in die 80er Jahre von Beamten vorgeschriebene maximale Einlagezinsen und minimale Kreditzinsen. Die Banken waren eine viel zu riskante Branche, um sie dem Spiel der freien Märkte auszusetzen.

War das Wachstum in den Jahrzehnten von Bretton Woods gering? Die Arbeitslosigkeit hoch? Weit gefehlt. Selbst kritische Ökonomen wie die Postkeynesianerin Joan Robinson sprachen damals vom „goldenen Zeitalter“. Und wer hat uns daraus vertrieben? Der Irrglauben der neoliberalen Revolution!

Deshalb, um noch mal auf Pittsburgh zu kommen, gibt es eigentlich nur einen halbwegs ernst zu nehmenden Vorschlag, der sich an die Wurzel allen Übels herantraut: Das ist die Finanztransaktionssteuer. Sie wäre in der Lage, das Zocken zu verteuern, Sand ins Getriebe zu streuen. Und somit den Finanzkapitalismus ein wenig zurück zu drängen. Gut erklärt es Stephan Schulmeister hier.

Das Dilemma des gegenwärtigen Kapitalismus ist ganz eindeutig der Renditewahn. Er resultiert aus den Möglichkeiten, die der ungezügelte Finanzmarkt bietet. Warum sollen Unternehmen investieren und Jobs schaffen, wenn nicht 20 Prozent Rendite herausspringen? Da sind kleine Zocks am Kapitalmarkt, in Devisen, Rohstoffen oder Unternehmensbeteiligungen doch deutlich attraktiver.

Erst wenn es den Regierungschefs gelingt, das Kasino so unattraktiv zu machen, dass Investitionen in der Realwirtschaft der einzige Ausweg bleiben, erst dann haben sie die wichtigste Lehre der Krise kapiert.