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Ein Ende

Nach sieben Monaten endet heute mein Blog. Der Grund ist: zu viel Arbeit. Wir produzieren gerade zwei Filme und ich schreibe an einem Buch. Dazwischen  bleibt leider nicht die Zeit, die ich mir für diese Alltags-Notizen aus Kabul gern nehmen würde.

Ich lebe aber weiterhin in Afghanistan. Wenn Sie meiner Arbeit folgen möchten, dann können Sie das am besten hier, hier und hier.

 

Bitte helft uns!

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Afghanische Mitarbeiter der Bundeswehr haben heute in einem offenen Brief an Deutschland um Hilfe gebeten – immer noch wird vielen von ihnen die Ausreise nach Deutschland verweigert. Ich selbst kenne mehrere Fälle, bei denen der Ablehnungsbescheid (ein formloser Zettel ohne Begründung und ohne Ansprechpartner) nicht nachvollziehbar ist.

In dem Brief schildern die Mitarbeiter ihre Verzweiflung: „Warum versteht uns niemand? Warum spürt niemand die Angst, die wir um unser und das Leben unserer Frauen und Kinder haben?“

Sie schreiben: „Uns wurde immer wieder gesagt, dass unsere Leben nicht in Gefahr seien“, schreiben sie, „aber vor ein paar Monaten wurde der ehemalige Bundeswehr-Übersetzer Dschawad Wafa von Taliban enthauptet. Vor ein paar Monaten wurde Abdul Rahman, ein weiterer Dolmetscher, im Dorf Ali Khail in der Provinz Baghlan in Keilagai getötet. Alle Sprachmittler im Camp Marmal waren über diese Taten schockiert und die Angst wurde noch größer, dass uns das gleiche Schicksal, wie das unsere ehemaligen Kollegen, ereilt.“

Und dann: „Wir haben für und mit der deutschen Bundeswehr gearbeitet. Wir halfen unseren Familien und wir haben gehofft, dass unsere Arbeit auch mit dazu beiträgt, Afghanistan sicher und lebenswerter zu machen. Aber mit unserer Arbeit halfen wir auch euren Söhnen, Töchtern, Müttern, Vätern, Brüdern und Schwestern, ihren Dienst hier in Afghanistan leichter und sicherer zu machen.“

„Die Bundeswehr verlangt von uns, dass wir die persönliche Bedrohung beweisen müssen (…) Aber ein Beweis oder eine Garantie, dass das Leben von uns und unseren Familien in Afghanistan nicht in Gefahr ist, wird uns auch nicht gegeben.

Wir bitten nicht um Geld oder Almosen, wir bitten sie nur uns in Sicherheit zu bringen. Wir bitten sie darum, dass unsere Kinder in Sicherheit aufwachsen dürfen und nicht dafür büßen müssen, weil ihr Vater der Bundeswehr half. Wir bitten das deutsche Volk, uns zu unterstützen und darum bei der Bundesregierung den Druck etwas zu erhöhen, um uns das Leben zu retten.“

Pro Asyl unterstützt viele Übersetzer mit Rechtsberatung aus der Ferne. Mehr Infos dazu finden Sie hier.

Dort können Sie auch den vollständigen Brief lesen

 

100 Euro das Kilo

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Als letzte Woche die Ergebnisse der Stichwahl bekannt wurden (Ashraf Ghani führte), brach in Kabul Chaos aus. Der Verlierer Abdullah Abdullah erkannte das Ergebnis nicht an und drohte, eine zweite Regierung auszurufen. Einige seiner Anhänger riefen zum Kampf mit den Waffen auf.

Schließlich flog der amerikanische Außenminister John Kerry nach Kabul, vermittelte und man beschloss, alle acht Millionen Stimmen neuauszuzählen. Die Inauguration wurde verschoben. Und die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah umarmten sich medienwirksam.

Während dieses Chaos waren Niklas Schenck und ich in einer deutlich sortierteren Gegend unterwegs, dem letzten Feldlager der Bundeswehr in Afghanistan.  Camp Marmal, Masar-i-Scharif. Momentan sind dort noch etwas mehr als 2000 deutsche Soldaten stationiert, fast alle sind mit dem Abzug beschäftigt. Am 31. Dezember 2014 wird die Mission ISAF enden und jetzt muss all das, was einmal aus Deutschland nach Afghanistan gebracht wurde, wieder zurück nach Deutschland.

Das klingt einfach, in Wahrheit ist es aber ein bisschen komplizierter. Denn genau genommen ist noch gar nicht klar, ob der Abzug überhaupt ein richtiger Abzug werden wird. Die NATO plant eine Folgemission namens Resolute Support – allerdings nur, wenn die Amerikaner mitmachen. Die wiederum wollen sich solange nicht festlegen, bis die afghanische Regierung ein bilaterales Truppenstatut unterschreibt, in dem unter anderem festgelegt ist, dass amerikanische Soldaten für alles, was sie in Afghanistan machen, rechtlich nur in den USA belangt werden. Präsident Karzai will genau das nicht und weigert sich seit Monaten, das Abkommen zu unterschreiben. Die beiden möglichen Nachfolger, Abdullah Abdullah und Ashraf Ghani, haben beide angekündigt, das Abkommen zu unterzeichnen, sobald sie Präsident sind. Aber nach dem Chaos der letzten Wochen kann das noch dauern.

Solange das Truppenstatut nicht unterzeichnet und die Mission „Resolute Support“ nicht beschlossen ist, plant die Bundeswehr mit „Option Zero“. Um den Zeitplan dafür einzuhalten, wird sie ab 15. August auch die  Güter außer Land bringen, die im Falle einer Nachfolge-Mission Anfang nächsten Jahres wieder zurück nach Afghanistan gebracht werden müssen.

P.S. Ein kleines Rechenbeispiel: Laut Einsatzführungskommando kostet ein Kilo pro Flugstunde etwa acht Euro. Von Masar nach Deutschland sind es etwa 6 Stunden. Ein Kilo unnötig nach Deutschland geflogenes Material macht also, hin- und zurück: etwa 100 Euro.

 

Tabrik!

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Deutschland wird Weltmeister, auch in Kabul. Und ich bekomme dutzende Nachrichten mit einem Wort: Tabrik! Heißt: Glückwunsch!

 

Unbemannt

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Aufnäher, die Soldaten in Masar bei einem afghanischen Händler in Auftrag gegeben haben.

Zur nackten Lady: Unmanned vehicle = Drohne.

 

Hilfe für Abdulhai

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Vor einigen Tagen habe ich hier über Abdulhai geschrieben. Ein 18-jähriger Freund von mir in Kabul, der seit ich ihm meine Kamera geliehen habe, jeden Tag mit tollen Bildern zurückkommt.

Ich hatte um Hilfe gebeten – und viele Antworten bekommen: Drei Leute haben ihre Kamera gespendet, zwei Leute haben angeboten, eine Webseite für Abdulhai zu bauen, ein Fotograf will sich im Herbst mit Abdulhai treffen, in Kabul, aus Deutschland und aus Australien kamen Angebote für eine Ausstellung. Dazu noch: Spenden, Ideen für Crowdfunding und Unterstützung beim Praktika suchen.

Ich will gar nicht viel schreiben außer: DANKE! Ich habe nicht mit so viel Unterstützung gerechnet. Abdulhai weiß noch gar nichts von seinem Glück. Ich treffe ihn in zwei Wochen und bin gespannt auf sein Gesicht.

 

Genervt in Kabul

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Die meisten Ausländer in Kabul haben ein bequemes Leben: Putzfrau, Pförtner, Fahrer, hohe Sicherheitsmauern, riesige Grundstücke. Trotzdem höre ich jeden Tag Beschwerden darüber, wie anstrengend das Leben ist. Und offenbar geht es nicht nur mir so.

„Look at what annoying thing I had to deal with today in Afghanistan“ heißt die Gruppe, in der ein paar Hundert Leute jeden Tag ihre Sorgen ausschütten, oder zumindest so tun. Das Ganze ist satirisch gemeint – und sehr unterhaltsam:

„Letzte Nacht hat mein Pförtner beim Abwaschen einen Teller zerbrochen. Bevor ich danach fragen konnte, versprach er mir einen neuen zu kaufen … aber dann, nachmittags, bevor er den Teller kaufen konnte, rief er an und sagte, er müsse zur Beerdigung seines Cousins fahren. Hätte er mir nicht wenigstens erzählen können, dass sein Cousin vorhat, sich beerdigen zu lassen? Gott bin ich genervt.“

„12 Uhr 52 und schon wieder so ein beschissener Helikopter.“

„Heute morgen habe ich versucht, aus unserem Compound ‚auszubrechen‘ und einfach nur rauszugehen, um Waschpulver zu kaufen. Natürlich wurde es mir nicht erlaubt (erste Sache, die mich aufgeregt hat). Als nächstes hab ich eine Münze aus meiner Tasche gefischt und meinen Pförtner beauftragt, Waschpulver zu kaufen. Er kam zurück mit Rasierklingen (zweite Sache, die mich aufgeregt hat). Als ich Kleiderwaschen gestikulierte, ging er nochmal los und brachte dann ein Stück brauner Seife zurück (dritte/letzte Sache, die mich aufgeregt hat). Um’s kurz zu machen, meine Kleidung ist jetzt gewaschen und hängt auf der Leine mit dem lieblichen Duft dieses braunen Stücks Seife. Nerviger Freitag Morgen.“

„Ich hab das Taxi um 7.09 Uhr angerufen. Um 7.24 Uhr hab ich wieder angerufen, sie sagten „2 bis 3 Minuten“. Jetzt ist es 7.29 Uhr. Das Taxi ist nicht hier.“

„Gerade habe ich eine SMS bekommen: ‚Lieber Kunde, Sie haben 14 Cent Kundenbonus erhalten.‘ Was soll ich mit 14 Cent anfangen …???“

„Es ist wirklich windig in Kabul heute und fast unmöglich eine Zigarette anzuzünden.“

„Unser Gras ist zu lang und der Pförtner weiß nicht, wie man mit einem Rasenmäher umgeht. So nervig.“

 

Die Kinder Kabuls

Als ich das erste Mal mit Abdulhai sprach, erzählte er mir, dass er immer so traurig sei, seitdem er versuche, den armen Leuten in Kabul zu helfen. Abdulhai ist 18 Jahre alt und lebt seit vier Jahren in einer Community, die ehrenamtlich Straßenkinder unterrichtet, Nähkurse für Witwen organisiert, Parks saubermacht und Drachensteigen lässt, um gegen Drohnen zu demonstrieren. Das größte Ziel dieser Community ist es, den Krieg abzuschaffen. In Afghanistan und auf der ganzen Welt. Abdulhai will sich vor allem für die 60.000 Kinder einsetzen, die auf Kabuls Straßen leben.

„Was meinst du, Ronja?“, fragte Abdulhai damals, „kann ich mich ändern? Kann ich wieder glücklicher werden?“ Ich sagte, was ich ehrlich dachte: dass ich es nicht wüsste. Dass ich hoffen würde, dass man das irgendwie lernen kann, aber das ich ehrlicherweise auch keine Ahnung hätte, wie.

Das Gespräch ist inzwischen ein paar Monate her und Abdulhai ist ein sehr guter Freund geworden. Er hat uns ein paar Mal bei der Arbeit zugeschaut und vor ein paar Wochen habe ich ihm meine Kamera geliehen. Seitdem staune ich jeden zweiten Tag, wenn Abdulhai auf Facebook ein neues Foto hochlädt.

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„The young people will be the change of this country“, schrieb Abdulhai unter dieses Bild.

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„All this street kids are so sweet.“

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„Today Safar woke up at 5 o’clock in the morning. He says when his mother called him to wake up, he didn’t know what to do because he needs to work and find money to buy bread for the family.“

Um es kurz zu machen: Ich will Abdulhai helfen, damit aus dem Fotografen, der er schon ist, einer wird, der von seiner Arbeit leben kann. Außerdem finde ich, dass mehr Leute als Abdulhais 427 Facebook-Freunde diese Bilder sehen sollten. Wenn Sie Ideen haben (oder Equipment, das Sie nicht mehr brauchen), schreiben Sie mir eine Mail an ronja@vonwurmbseibel.com.

For all international readers: the pictures above are from my very talented, 18-year-old friend Abdulhai in Kabul. Without any training he became a photographer in the moment he picked up my camera. Now we try to find ideas how to push his education in this direction, so if you have ANY idea how to help (internships, equipment, contacts) – please sent an email to ronja@vonwurmbseibel.com.

 

 

How to walk in Kabul

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Wer in Kabul als Entwicklungshelfer für die deutsche Regierung arbeitet, darf nicht zu Fuß gehen. Nicht zum Büro  auch wenn es nur zwei Minuten entfernt ist , nicht in den Supermarkt und auf keinen Fall ins Restaurant. Stattdessen ruft man einen Fahrer und steigt in ein (meistens gepanzertes) Auto.

Und Soldaten der Bundeswehr dürfen sowieso nicht auf die Straße. Gut möglich, dass ich die einzige Deutsche bin, die in Kabul zu Fuß gehen kann, ohne damit einen Vertrag zu brechen.

Deshalb ist der folgende Text in Wahrheit nicht nur eine Gebrauchsanleitung, sondern auch ein wichtiges Dokument der Zeitgeschichte.

1. Kleiden Sie sich traditionell, Pluderhosen und knielange Oberteile mit langen Ärmeln. Zwar tragen die meisten Afghanen in Kabul westliche Kleidung, aber aus irgendeinem Grund fällt man als Ausländer trotzdem damit auf.

2.  Verwenden Sie ausreichend Zeit für die Wahl der Kopftuchfarbe. Schwarz, braun und weiß haben sich als unauffällig erwiesen. Türkis und pink eher nicht.

3. Achten Sie auf angemessenes Schuhwerk: Als Mann cremefarbene Plastikschlappen, als Frau: Alles, was Sie zu einem Cocktailkleid anziehen würden. Als Frau, die 1,80 Meter groß ist: Sandalen.

4. Verstecken Sie Wertsachen so, dass sie Ihnen niemand aus der Tasche nehmen kann. Das gilt besonders für ein Handy, das Sie vor drei Tagen für 600 Euro gekauft haben  nachdem Ihr erstes gestohlen wurde.

5. Ärgern Sie sich nicht, wenn es trotzdem verschwindet.

6. Stecken Sie einen Bündel Kleingeldscheine in die Hosentasche, für die Bettler.

7. Falls Sie braune Augen haben: Gehen Sie los. Falls Sie blaue Augen haben: Setzen Sie sich eine Sonnenbrille auf. Dann gehen Sie los.

8. Wichtigste Regel auf der Straße, als Frau: grimmig auf den Boden schauen. Als Mann: schlurfen Sie beim Gehen. Falls Ihnen das schwerfällt, kaufen Sie sich Plastikschlappen, die Ihnen zu groß sind.

9. Als Frau: Blicken Sie Männern nicht in die Augen. Reden Sie nicht. Beides erhöht die Chance, nicht sofort als Ausländer enttarnt zu werden. Als Mann: Scherzen Sie mit den Männern, wenn sie Ihrer Frau hinterherschauen.

10. Wundern Sie sich nicht, wenn Sie sich so fühlen, als würden Sie permanent angestarrt. Sie werden permanent angestarrt.

11. Wenn Sie bettelnde Kinder sehen (also immer): tun Sie, was Sie für richtig halten. Allerdings sei gesagt: sobald Sie Geld aus der Tasche ziehen, werden aus zwei Kindern fünf, dann zehn, dann… Essen kaufen hat sich als hilfreich erwiesen: Brot, Eis, Früchte, Wasser, Chips. Hilft gegen schlechtes Gewissen (das eigene) und Hunger und Durst (der Kinder).

12. Methoden, die sich beim Abwimmeln von Bettlern als nutzlos erwiesen haben: so tun, als würde man kein Dari verstehen. Komplizierte Sätze auf Dari zu bauen, um den Eindruck zu erwecken, man sei gar kein Ausländer. Anschreien. Witze machen. Hände schütteln, Abschieds-Höflichkeitsformen. Ignorieren.

13. Methoden, die sich beim Abwimmeln von Bettlern als hilfreich erwiesen haben: freundlich erklären, dass man gerade kein Geld dabei hat, beim nächsten Mal aber etwas gibt. Laut fluchend erklären, dass man gerade schon drei Leuten etwas gegeben hat und nicht ganz Kabul finanzieren kann. Mit der Hand über den Mund fahren und danach die leere Hand öffnen, heißt so viel wie: Ich hab doch selber nichts.

14. Wenn Sie etwas brauchen und nicht wissen, wo Sie es bekommen können, gehen Sie einfach in den erstbesten Laden und fragen. Sie werden weitergeschickt und landen am richtigen Ort. Manchmal nach fünf Geschäften, manchmal nach zwanzig.

15. Wenn Sie bei dieser Prozedur zum Tee eingeladen werden, sagen Sie erst bei der dritten Einladung „ja“. Alles darunter sind Höflichkeitsfloskeln, deren Antworten ohnehin ignoriert werden.

16. Sagen Sie nur ja, wenn Sie Zeit haben. Dann aber unbedingt.

17. Nehmen Sie sich nach dem Spazieren Zeit, um Ihren Mitbewohnern von „draußen“ zu erzählen. Irgendwas erleben Sie immer.

 

P.S. Dieser Text ist meinem Taxifahrer gewidmet.