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„Mickrige Momente“ – das Medienlog vom Donnerstag, 8. August 2013

 

Wie treten die Angeklagten auf im Münchner Gerichtssaal? Zeigen sie Regung und Emotion? Wie unterscheiden sie sich und was verrät ihr Verhalten? Solche Fragen stellen einige Berichterstatter in den Mittelpunkt ihrer Zwischenbilanz des NSU-Prozesses. Anderen ist die Kritik an der Prozessführung wichtiger.

An jedem Werktag fassen wir im NSU-Prozess-Blog die wichtigsten Medienberichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

Das Auftreten der Angeklagten beleuchtet beispielsweise Marcel Fürstenau für die Deutsche Welle. So scheine Ralf Wohlleben – im Gegensatz zu Beate Zschäpe – das Betreten des Gerichtssaals zu genießen. Dann prognostiziert Fürstenau: „Wenn der NSU-Prozess am 5. September weitergeht, wird es wie in den ersten drei Monaten sein: Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben und André E. betont selbstbewusst, Holger G. und Carsten S. schüchtern, fast ängstlich und ihr Gesicht verbergend.“ Das lasse viel Raum zum Spekulieren über Fragen von Verantwortung, Schuld und Reue.

Die Autorin Lena Kampf widmet sich in ihrem Artikel für stern.de („Kleiner, großer NSU-Prozess“) dem gesamten Verfahren und konstatiert: Der Prozess versinkt im Klein-Klein. An der Präzision der Beweisaufnahme, so Kampf, liege das nicht, sondern vielmehr an „mickrigen Momente“, etwa als eine Zeugin aussagt, dass sie Zschäpe für eine Prostituierte hielt, weil sie ein rotes Lämpchen im Fenster gesehen hat. Als weiteres Beispiel nennt Kampf eine Situation, in der Richter Manfred Götzl den Vater des ermordeten Halit Yozgat anblafft, als dieser etwas zu der Entschuldigung sagen will, die Holger G. an die Nebenkläger gerichtet hatte.

Als kleinkariert kritisiert die Autorin die Bundesanwaltschaft. Diese versuche mit „aller Macht“ ein mögliches Staatsversagen aus Saal A 101 auszusperren. Die Verteidiger von Zschäpe wiederum sind Kampf zu zurückhaltend. Lediglich die „wenigen unnachgiebigen Anwälte“ unter den 63 Nebenklagevertretern würden dem Prozess seine Bedeutung geben. Dafür nennt die Autorin mehrere Beispiele und resümiert: „Seine Größe gewinnt dieser Prozess letztlich, wenn er nicht auf ein normales Strafverfahren zusammenschrumpft, wenn es in München um Rechtsterrorismus und auch um das Selbstbild der Bundesrepublik geht.“

Ein Blick zurück wirft Bayram Aydın von der türkischsprachigen Zaman: Wie eine Bombe sei es damals eingeschlagen, als sich herausstellte, dass die zehn Morde nicht von der „Türken-Mafia“, sondern von Neonazis begangen wurden. Dann erinnert der Autor an den Streit um die Vergabe der Presseplätze und betont zum Schluss die hohen Erwartungen seitens der Journalisten und der Öffentlichkeit.

Nach wie vor keine Berichte in englischsprachigen Onlinemedien.

Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, den 9. August.