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Ein ganz normales Wochenende in Berlin-Schöneweide

 

Die Nazikneipe "Zum Henker" ist zum berlinweiten Treffpunkt der gewaltbereiten Szene geworden © Matthias Zickrow

Hakenkreuz-Schmierereien, eine unerlaubte Versammlung und ein brutaler Überfall auf einen jungen Migranten. Am Wochenende hat die Berliner Neonaziszene erneut unter Beweis gestellt, dass der Bezirk Schöneweide längst zur rechtsextremen Hochburg geworden ist.

Imbissbetreiber rettet 23-Jährigen vor Nazischlägern

Der vorläufige Höhepunkt der rechtsextremen Gewaltwelle der letzten Wochen begann in der Nacht zu Samstag gegen 3.20 Uhr. Drei Neonazis griffen einen 23-Jährigen Mann an, raubten ihm sein Basecap und jagten ihn durch die Brückenstraße. Das Opfer konnte in einen Döner-Imbiss flüchten. Geistesgegenwärtig stellten sich die Mitarbeiter schützend vor den Angegriffenen. Mit einem Dönerspieß hielten sie die Rechtsextremisten auf Abstand bis die Polizei eintraf.

Zivilpolizisten nahmen die drei Männer im Alter von 18, 23 und 31 Jahren fest. Die Polizei bestätigte, dass die Angreifer aus der rechten Szenekneipe „Zum Henker“ kamen. Für ihren Kneipenabend sind die drei Rechtsextremisten offenbar extra angereist. Sie stammen aus Neuruppin, Hamburg und Rümpel (Schleswig-Holstein). Nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung in einer Gefangenensammelstelle wurde das Trio auf freien Fuß gesetzt. Der Staatsschutz ermittelt wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung und Beleidigung.

Nazimob posiert vor Szenekneipe

Bereits zwei Stunden zuvor war der Henker Ausgangspunkt einer anderen Aktion. Nach Polizeiangaben traten kurz nach 1 Uhr etwa 20 vermummte Gäste aus dem Lokal und entrollten ein Solidaritätstransparent für die verbotenen Naziorganisation „Nationaler Widerstand Dortmund“. Unter dem Jubel der übrigen Kneipengäste ließ sich die Gruppe ausgiebig fotografieren. Bis die Polizei eintraf, waren die Rechtsextremisten längst wieder im Henker verschwunden. Die Beamten leiteten ein Strafermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz ein. Doch anstatt den Henker zu durchsuchen, um die Personalien der Tatverdächtigen aufzunehmen und die Fotos auf den Handys der Gäste zu sichern, gab es lediglich ein kurzes Gespräch mit dem Wirt. Anschließend zogen die Beamten wieder ab.

Betreiber des Henkers ist der Rechtsextremist Paul Stuart Barrington. Er wurde 2003 zu sieben Monaten auf Bewährung verurteilt, weil er im Internet Fotos von Polizisten und einer Maschinenpistole veröffentlicht hatte. Daneben stand der Satz: „Die Kugel ist für dich.“ Seit der Eröffnung werden regelmäßig die Scheiben des nahe gelegenen Büros von Gregor Gysi (Linke) eingeworfen und Hakenkreuze in der Umgebung gesprüht. Hier findet sich eine ausführliche Chronik zu rechten Aktivitäten und Angriffen im Umkreis des Henkers.

Deutlich zu sehen: das Hakenkreuz im Profilbild von Schmidtkes Facebookfreund © Screenshot Antifa-Berlin

Hakenkreuz auf dem Facebookprofil

Dass die Polizei von den Aktivitäten der Neonazis offenbar völlig überrascht wurde, verwundert Szenekenner. Hatte doch schon am Samstagvormittag der Berliner NPD-Landeschef und führender Kopf der „Autonomen Nationalisten“, Sebastian Schmidtke, auf seinem Facebookprofil öffentlich zu Aktionen im Zusammenhang mit dem verbotenen „Antikriegstag“ aufgerufen. „Heute alle Mann gegen diesen Repressionsstaat auf die Straße gehen“, schrieb Schmidtke „Seid kreativ und aktiv. Gemeint bei allen Verboten sind Wir alle.“ Die Freundesliste auf Schmidtkes Seite zeigt deutlich, wie gut er mit der militanten Szene vernetzt ist. Ein Profilbild zeigt das verbotene Hakenkreuz.

„Mit Negerfreunden rede ich nicht“

Am frühen Sonntagmorgen folgte ein weiterer rassistischer Übergriff in Schöneweide. Der Bericht eines Augenzeugen, der dem Störungsmelder vorliegt, klingt erschreckend:

Gegen 05.40 Uhr lief ein Amerikaner und ein dunkelhäutiger Mann an der Kneipe „Zum Eisenbahner“ vorbei. Beide standen nur kurz vor der Kneipe, als schon die ersten Gäste heraus kamen und den Schwarzen mit glühenden Zigaretten bewarfen. „Nimm mal den Neger da weg, der versperrt das Licht“, sagte einer der Rechten. Der Amerikaner lachte und klopfte dem Sprücheklopfer auf die Schulter, woraufhin dieser rief. „Fass mich nicht an, du Negerfreund. Mit Negerfreunden rede ich nicht.“ Die restlichen Gäste des Eisenbahner stürmten nun heraus und bewarfen den Schwarzen mit Gläsern und einem Aschenbecher, woraufhin beide über die Straße in den dortigen Kiosk flüchteten.

Dort hatten sie es vorerst ruhig, weil die Kneipengäste sich nun untereinander prügelten. Anwohner riefen die Polizei und Feuerwehr, weil mehrere Kneipengäste auf jemanden einschlugen und nicht mehr abließen, bis dieser Bewusstlos zu Boden ging. Nachdem der schwer verletzte Mann abtransportiert worden war, waren auch die Polizei und Feuerwehrwagen weg, sodass die Kneipengäste wieder freie Sicht auf den Kiosk hatten, wo der Amerikaner mit seinem Freund noch immer saß.

Ein bulliger Kneipengast sprach daraufhin zu seinen Freunden „Da ist ja unser Opfer. Scheiße, ich hätte den mal nach hinten ziehen sollen, als es noch dunkel war“. Gemeint war offenbar der Hof vom Gebäude, in dem sich der Eisenbahner befindet. Kaum hatte er es ausgesprochen, lief er auch bereits im Eiltempo rüber, baute sich bedrohlich vor dem Schwarzen auf, versperrte ihm den Weg. Immer wieder zog er dem Mann an den Ohren, schlug ihm leicht auf die Backe und machte Affengeräusche.

Einige andere Kneipengäste gingen ebenfalls mit und schauten amüsiert zu. Einzig eine Frau, vermutlich die Freundin des bulligen Typen, versuchte ihn abzuhalten „Lass ihn in Ruhe, er hat uns doch überhaupt nichts getan“ – sie geriet daraufhin mit ihrem Freund in Streit, weshalb die anderen beiden Männer die Ablenkung nutzen konnten und gingen.

Nazischmierereien in Marzahn

Auch in der Nacht zu Montag waren Neonazis wieder aktiv. Zwei Hakenkreuze und eine rassistische Parole wurden an ein Wohnhaus in Marzahn geschmiert. Ein Mieter des Gebäudes in der Landsberger Allee alarmierte gegen 23.30 Uhr die Polizei, nachdem er die Schriftzüge entdeckt hatte. Der Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen.