Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Geschichtsrevisionismus und Holocaustleugnung: Neonazi-Aufmärsche in Nordhausen und Dresden

 

Naziadler und Eisernes Kreuz – Vaterland für Reichsbürger © Henrik Merker

Am Samstag fanden deutschlandweit gleich mehrere Neonazi-Demonstrationen statt: Im nordthüringischen Nordhausen marschierten rund 200 Neonazis bei einem geschichtsrevisionistischen Marsch zur Erinnerung an Dresden auf. In Dresden selbst wurde eine Holocaustleugner-Demo von der Polizei aufgelöst.

 

von Jonas Miller und Henrik Merker

 

Nordhausen: Neonazi-Partei mit geschichtsrevisionistischem Aufmarsch

In der nordthüringischen Kleinstadt Nordhausen fand am Samstag ein Aufmarsch von Neonazis der Partei Der dritte Weg statt. Rund 200 Rechtsextreme liefen beim Fackelmarsch mit. Den rund 300 Gegendemonstranten gelang es zeitweise die Strecke der Neonazis zu blockieren, so dass der Aufmarsch umgeleitet werden musste. Der Aufmarsch der Partei ist wahrscheinlich auch Vorbote eines weiteren Ausbaus der Partei-Strukturen in Thüringen.

Polizei setzt Pfefferspray gegen Nazigegner ein

Rund 300 Nazigegner demonstrierten in Nordhausen gegen den Aufmarsch der Rechtsextremen. Schon am frühen Nachmittag setzte sich ein Demonstrationszug unter dem Motto „Töne der Toleranz“ in Bewegung. Am frühen Abend blockierten Gegendemonstranten die Aufmarschroute der Neonazis, sodass deren Aufzug umgeleitet werden musste. Die Polizei setzte Pfefferspray und Schlagstöcke gegen die Blockierer ein und sprach von massiven Beleidigungen gegen die Beamten. Die thüringische Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss (Die Linke) sprach von „teils aggressivem Abräumen der Blockaden“, laut Augenzeugen soll es auch mehrere Verletzte gegeben haben.

NS-Verherrlichung durch Rechtsextreme

Die rechtsextreme Partei Der Dritte Weg organisierte den Fackelmarsch unter dem Motto „Ein Licht für Dresden“. Rund 200 Neonazis aus Thüringen, Bayern, Sachsen, Brandenburg, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz folgten dem Aufruf. Als Organisatoren traten vor allem Tony Gentsch und Matthias Fischer auf, beide fungierten bis zum Verbot als Führungskader des bayerischen Kameradschaftsnetzwerkes Freies Netz Süd (FNS).
Als Redner traten neben Gentsch und Fischer auch die Parteifunktionäre Walter Strohmeier, Julian Bender und der Bundesvorsitzende Klaus Armstroff ans Rednerpult. Vor allem der ehemalige FNS-Kader Strohmeier unterstrich die völkisch-nationalistische Ausrichtung der Partei und sprach von der „Einzigartigkeit unserer völkischen Eigenart“, die das „starke Blut der germanischen Bauern und Kriegern und das Blut der Helden beider Weltkrieg“ in sich trage. Gemeinsam, so Strohmeier, wolle er „unsere Heimat, unser Blut und unser Volk in seiner tausendjährigen Geschichte“ bewahren und forderte die Teilnehmer zum „äußersten Kampf“ auf. Dass die Neonazi-Partei ihre Strukturen in Thüringen weiter ausbauen wird, ist zu vermuten. Schon seit Monaten hat sich die Szene in Nordthüringen immer weiter dem Dritten Weg angenähert. Neben lokalen Neonazis wie dem Kameradschaftskader Alexander Lindemann waren mit Enrico Biczysko, Michel Fischer und anderen auch ehemalige Funktionäre des Landesverbandes Die Rechte in Nordhausen. Biczysko und andere waren erst vor kurzem im Streit aus der Partei ausgeschieden. Seither gibt es faktisch keine Aktivitäten von Die Rechte in Thüringen mehr, auch die Homepage ist inaktiv.

Dresden: Volksverhetzer leugnen Holocaust

Vermummte mit schwarz-weiß-roten Mützen – den Farben des deutschen Kaiserreichs – stehen schon am frühen Nachmittag am Postplatz. Auch junge Frauen haben sich schwarze Tücher tief ins Gesicht gezogen. Die Teilnehmer tragen Kaiserreichs-Fahnen über der Schulter, fordern auf Plakaten die Freilassung verurteilter Rechtsextremer.
Organisiert wurde der Marsch vom mehrfach vorbestraften Holocaustleugner Gerhard Ittner. Gegen Ittner wurde bereits im Vorfeld ein Redeverbot verhängt. Das hält ihn nicht davon ab, die Menge aufzuwiegeln. Die Reden sind kurios: Einer behauptet, tote Deutsche würden in einem Energiefeld gefangen gehalten, das nur durch Gedenken überwunden werden könne. Deshalb solle man in Steinkreisen intensiv an die Toten denken, sie würden dann wiederauferstehen. Was wie der Plot für einen Nazi-Satire-Film klingt, wird von den 300 Rechtsextremen für bare Münze genommen, sie applaudieren frenetisch. Unter ihnen sind auch einige Kinder und Jugendliche, die von den Eltern mitgenommen wurden. Sie stehen nah am Lautsprecherwagen, verfolgen sichtlich begeistert, was die Erwachsenen von sich geben.

Die Britin Michèle Renouf ist es, die bei der Polizei das Fass zum Überlaufen bringt. Sie leugnet die Shoah, behauptet, den Holocaust habe es nur gegen die deutsche und japanische Bevölkerung gegeben. Der antisemitische „Volkslehrer“ Nikolai Nerling übersetzt die Rede der englischsprachigen Rechtsextremen. Nerling wurde wegen seinen verfassungsfeindlichen Reden im Januar 2018 vom Dienst an einer Berliner Grundschule suspendiert. Die Berliner AfD nahm ihn in Schutz.  

Als Polizisten die Veranstaltung wegen verbotenen Uniformteilen und Vermummung unterbrechen, nutzt Ittner die Gelegenheit, um gegen die Beamten und den deutschen Staat zu hetzen. Die Wiedereinsetzung des Deutschen Reiches und die Vernichtung der Demokratie fordert der Alt-Neonazi. Um weitere Straftaten zu verhindern, konfisziert die Polizei das Notstromaggregat der Neonazis. Die Rechten brüllen den Beamten „Volksverräter“ entgegen, singen die erste Strophe des „Deutschlandlieds“. Die Polizei fordert Ittner auf, die Versammlung zu beenden – kurz vor fünf ist es dann soweit. Einzeln fordern Polizisten die Teilnehmer auf, die Veranstaltung zu verlassen, fast die Hälfte kommt dem nach.
Der Rest folgt Gerhard Ittner – gegen die Anweisung der Polizei – Richtung Innenstadt. Weit kommen sie nicht, noch auf dem Postplatz wird die 80 Personen starke Gruppe gestoppt, Ittner kurzzeitig abgeführt. Als sie sich dann – vermeintlich der Polizei folgeleistend – Richtung Dresdner Zwinger bewegen, brechen die militanten Holocaustleugner plötzlich in eine Seitenstraße aus, laufen am Gegenprotest vorbei. Die wütenden Demonstranten folgen den Neonazis, Polizisten gehen dazwischen. In der Nähe vom Dresdner Kulturpalast wird die rechtsextreme Gruppe festgesetzt, Personalien werden kontrolliert. Die Holocaustleugner werden bis zum nächsten Tag aus der Stadt verbannt. Vor dem Dresdner Staatsschaupiel und der nahen Altmarktgalerie hatten „Dresden Nazifrei“ und die Gruppe „Hope“ ihren Protest angemeldet. Ihnen folgten 350 Personen, die mit Pfiffen und lauter Musik die neonazistische Versammlung behindern wollten. Die eigentliche Route des rechtsextremen Aufmarschs wurde einige Zeit von Antifaschisten blockiert. Am Ende ist es die Sächsische Polizei, die das Treiben der Holocaustleugner beendet.