Was hier im Video so farbenfroh im menschlichen Gehirn leuchtet, ist eine neue Art von Wörterbuch. Es zeigt wie und wo unser Gehirn Begriffe einordnet. Quasi ein Duden fürs Hirn in bunt. (Nature: Huth et al., 2016)
Auf jedes Wort reagiert immer nur ein ganz bestimmter Teil unserer Großhirnrinde. Dabei werden die Wörter nach bestimmten Kategorien sortiert: bei Mutter, Familie oder Ehefrau reagieren etwa die gleichen Teile unseres Gehirns – direkt daneben sind Begriffe wie Eigenheim oder Zuhause angesiedelt. Unterbewusst gehören für uns all diese Begriffe möglicherweise zusammen.
Bei mehrdeutigen Wörtern läuft das Ganze etwas anders ab: Das englische Wort top zum Beispiel kann unter anderem hoch bedeuten, ebenso aber spitze, super oder eben das Kleidungsstück Top meinen. Unser Gehirn weiß das, also reagieren tatsächlich auch verschiedene Areale: solche, in dem Wörter wie Haus oder Gebäude eingeordnet zu sein scheinen, und eines, das auf Wörter der Kategorie Kleidungsstücke anspricht.
Außerdem sammelt unser Gehirn Begriffe wohl auch in der Nähe von Hirnregionen, die selbst im weiteren Sinne zum Thema passen. Hat das Wort vor allem eine optische Ebene, etwa gestreift oder rot reagiert eine Region des Hirns, in der auch das visuelle System angesiedelt ist.
Dass unser Gehirn die Bedeutung von Wörtern kuratiert, ist in der Hirnforschung nichts Neues: Der Bereich in der Großhirnrinde der dafür zuständig ist, heißt semantisches System. Wie genau es die Wörter einordnet und wie ausgedehnt dieses System tatsächlich ist, das wussten Forscher bisher allerdings nicht. Um etwas Farbe in die graue Masse zu bringen, untersuchten der Neurowissenschaftler Jack Gallant und sein Team von der Berkeley-Uni in Kalifornien die Hirne von sieben Freiwilligen. Ihnen wurden zwei Stunden lang Geschichten vorlesen, während gleichzeitig die Hirnaktivität gemessen wurde. Daraus bastelten die Forscher die Basis des Gehirnwörterbuchs – eben auch als Video und in 3D, für den kleinen Wow-Effekt.
Allerdings haben die Ergebnisse noch den ein oder anderen Haken: Bisher wissen die Wissenschaftler zum Beispiel noch nicht genau, welche Rolle die rechte und linke Hirnhälfte spielen – es gebe zum Beispiel Hinweise darauf, dass die rechte Seite stärker auf Wörter reagiert. Auch ein weiterer Aspekt ist noch unklar: Reagieren alle menschlichen Gehirne gleich? Bei den sieben untersuchten Personen war es so – die einzelnen Karten sehen fast gleich aus. Das könne aber daran liegen, dass alle sieben Versuchspersonen einen ähnlichen sozialen Hintergrund haben: Sie alle kommen aus westlichen Industrieländern. Es sei möglich, dass Menschen mit anderen Lebenserfahrungen Wörter anders einordnen.
Weitere Studien sollen zeigen, inwieweit diese Reaktionen angeboren sind – und was davon im Laufe des Lebens erworben wird. Auch das Analysemodell wollen die Forscher noch weiter überprüfen und verbessern. Und vollständig ist die Karte auch noch nicht: In zwei Stunden lassen sich schließlich nicht alle Wörter vorlesen, die es gibt – noch dazu in Geschichten verpackt. „Wir hoffen, dass unser Atlas anderen Forschern dabei helfen wird, die neurobiologischen Grundlagen unserer Sprache weiter zu verstehen“, sagen die Forscher. Damit andere Forscher die Daten nutzen und erweitern können, haben die Wissenschaftler eine interaktive und detaillierte Version ihrer Karte ins Netz gestellt – die sich unter diesem Link übrigens auch Nichtwissenschaftler ansehen können. Falls Sie sich jetzt fragen, was Ihnen das nun im Alltag bringt, ist die Antwort vielleicht ernüchternd: Wie so oft in der Grundlagenforschung ist der erste Gewinn die Erkenntnis an sich. Und in diesem Fall kommt Sie eben auch als buntes Hirn-Video.