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Ick bin kein Berliner

Ist man in Hamburg, denken die Menschen, man sei Hamburger.

In München denken sie, man sei Münchener (oder zumindest Bayer).

In Berlin geht niemand davon aus, dass man Berliner ist.
Es gibt einfach zu wenige. Erwischt man dann doch einmal einen, löst das deutlich mehr Überraschungsempfinden aus als bei jemandem, der aus Sri Lanka oder Andorra kommt.
Wird ein gebürtiger Berliner enttarnt, stellt sich bei mir zumeist Mitleid ein. Berliner haben dann oft das Problem, dass jeder denkt, dass sie sich toll auskennen in Berlin. Tun sie meist aber gar nicht. Sie mussten die Stadt ja nie erobern wie wir Zugezogenen. Zugeben können sie das natürlich nicht. Die meisten kennen sich also nur in ihrem Kiez aus und verlieren danach schnell den Überblick. Vor allem der Graben zwischen Ost und West tut sich hier auf: Schon mal versucht, einen Ost-Berliner in Zehlendorf auszusetzen? Oder einen West-Berliner am Ostkreuz? Wenn Sie diese Menschen mögen, dann sollten Sie so etwas nie tun. Sie würden nicht zurückfinden.

Ist man hingegen irgendwann in diese Stadt gezogen, hat sich dafür entschieden, hier zu sein, dann ist man hungrig, sieht umher, zieht fünfmal um, weil man mit Erstaunen festgestellt hat, dass Köpenick gar kein Ausgehbezirk ist, und kennt die Stadt. Insofern ist es vielleicht gar nicht so schlecht, zu den Zugezogenen zu gehören.

Falko Müller

 

Botox to go

Ich weiß nicht, wie es in anderen Städten aussieht, aber bei uns in Berlin treibt der to-go-Wahnsinn immer buntere Blüten. Den Coffee to go finde ich ja noch ganz praktisch. Wenn man es morgens eilig hat und nicht mehr schafft, sich einen Espresso zu kochen und auch noch Milch aufzuschäumen. Oder wenn man den Filterkaffee im Büro nicht mehr ertragen kann.
Ich habe ja auch grundsätzlich gar nichts dagegen einzuwenden, dass man sich etwas im Vorbeigehen kaufen kann. Currywurst, Döner und Co sind seit jeher zum Mitnehmen – und das ist auch gut so. Was ich nur nicht verstehe, ist, warum jetzt immer überall ein „to go“ draufgepappt wird. Dabei ist die Idee uralt. Die Verkaufsprofis gehen wohl davon aus, dass sich Waren und Dienstleistungen verkaufen wie warme Semmeln, wenn man sie nur mit einem Anglizismus versieht, durch den alte Kamellen brandneu und innovativ wirken sollen. Das hat zum Teil absurde Folgen.
Nehmen wir zum Beispiel die Zeitung. Zeitungen kann man seit ihrer Erfindung im Vorbeigehen kaufen: beim Straßenverkäufer, am Kiosk oder aus der Zeitungsbox, dem „stummen Verkäufer“. Trotzdem wurde eine der neuen Kompakt-Zeitungen mit den Slogans „Endlich – Zeitung to go!“ und „erste Zeitung to go“ auf den Markt gebracht.
Völlig überflüssig finde ich die „Cut and Go“-Hinweise bei Friseuren. Natürlich gehe ich, nachdem mir die Haare geschnitten wurden. Was soll ich denn sonst machen? Was mit „Cut and Go“ eigentlich gemeint ist, ist ja, dass man nach dem Schnitt nicht mehr geföhnt und frisiert wird – sondern es selbst machen muss. Wahrscheinlich schreiben die Friseure es deshalb auf Englisch, damit die Kunden nicht gleich merken, dass sie in einer Servicewüste gelandet sind. Man stelle sich vor, da stünde „Schneiden und Gehen“. Klingt nicht so nett, oder?
Letztens kam ich in einer Seitenstraße vom Ku’damm, dem etwas angestaubten ehemaligen Zentrum West-Berlins, an einer großen Schaufensterfront vorbei. Ich geriet ins Stocken. Ich schaute zweimal hin – da stand doch wirklich in riesigen Lettern „Botox to go“ auf der Ladenfront. Darunter: „Kommen Sie rein und lassen Sie sich behandeln!“. Nein danke, dachte ich mir. Davon konnte mich auch die Beteuerung, dass es nur eine halbe Stunde dauern würde, nicht abbringen.
Und selbst das eher bodenständige Viertel Neukölln bleibt nicht vom to-go-Wahnsinn verschont. Neulich sah ich dort bei einem Bäcker die Anpreisung: „Coffee to go – jetzt auch zum Mitnehmen“. Ich sag es ja, sie stiften nur Verwirrung, diese Anglizismen.

Rana Göroglu

 

Kunst-Leder-Welten

Eigentlich mache ich mir nicht viel aus Fußball. Ich gehöre zu denjenigen, die von wahren Fans zutiefst verachtet werden: ich ignoriere Bundesliga und UEFA-Cup, aber zur Europa- und Weltmeisterschaft darf ich kein Spiel verpassen. Am liebsten schaue ich zusammen mit Freunden oder in Kneipen, bei warmem Wetter auch gerne unter freiem Himmel. Zur EM und WM verwandeln sich in Berlin ganze Straßenzüge in Freiluft-Fußballkinos. Kein Café oder Restaurant, dass nicht einen Fernseher nach draußen gestellt hätte. Aber daran ist ja momentan nicht zu denken.
Doch es gibt in Berlin gerade eine Ausstellung, die Fußball-Banausen wie mir dabei helfen soll, sich trotzdem schon jetzt auf „unsere“ WM im nächsten Jahr einzustimmen. Kunst und Fußball? Ich war mehr als skeptisch. Das Werbeplakat zur Ausstellung mit dem „Kaiser“ drauf, der zwei Orangen zwischen sich und einer Wand balanciert, schuf dem nicht wirklich Abhilfe. Trotzdem besuchte ich die „Rundlederwelten“-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau. Einmal schnell durchhuschen, die Klischees rund um den Ball betrachten und wieder weg, so hatte ich mir das vorgestellt. Doch ich wurde eines Besseren belehrt. Ich war über zwei Stunden in der Ausstellung, amüsierte mich über uralte Plattencover verschiedenster Fußballlieder (gerne von den Spielern selbst gesungen), bestaunte unsere Frauennationalmannschaft in Miniatur (wie gerne hätte ich mit denen gespielt) und schoss enthemmt (weil ohne Publikum) auf die Torwand aus dem „Aktuellen Sportstudio“. Ich sah mir Videos von gruseligen Spielen im Nebel an und ekelte mich vor einem Kunstwerk namens „Linker Verteidiger, rechtes Bein“, einem synthetischen Rohdiamanten, der aus einem amputierten Bein hergestellt wurde. Der Spender des Beins soll ein passionierter Fußballspieler und Raucher gewesen sein. Auch gefallen hat mir die bespielte Rauminstallation mit einer aus der Nase blutenden Frau, die in ihrem Büro die Weltmeisterschaft zu organisieren schien, aber doch etwas desorientiert wirkte. Habe mich aber nicht getraut, sie anzusprechen.
Das Beste daran: es gab keine grölenden Fußball-Fans, die vor dem Eingang noch schnell ein Bier gezischt hätten. Und als ich nach der Ausstellung noch durch den herbstlichen Tiergarten schlenderte, bekam ich richtig Lust, selber das runde Leder zu kicken. Auf dem Rasen vor dem Reichstag ist das inzwischen ja leider verboten. Das war den Volksvertretern wohl doch zuviel der Nähe zum Volk.

Rana Göroglu

 

Landpartie (2)

Gestern erzählte ich vom Verhältnis der Berliner zu ihrem Umland. Das war ein kleiner Prolog, eigentlich wollte ich über meine Wochenenderlebnisse schreiben. Am Sonnabend war es nämlich für mich mal wieder so weit. Ich bin mitsamt meinem Fahrrad in einen der roten Züge gestiegen, die die Hauptstadt mit jwd („janz weit draußen“) verbinden. Normalerweise bricht man beim ersten Krähen des Hahnes ins Umland auf (obwohl: die dürfen im Moment ja eh nur drinnen krähen). Ich habe es diesmal ganz anders gemacht. Erst spät am Abend bin ich aufgebrochen. Die Umlandbevölkerung war gerade auf dem Weg in die Berliner Großraumdiskos und Multiplexkinos, um ein bisschen Hauptstadtflair zu erleben. Ich war auf dem Weg nach Werder an der Havel. Gute Freunde aus Berlin feierten dort eine Party.

Werder an der Havel empfing mich ziemlich dunkel und schweigend. Ich radelte auf einer langen geraden Straße durch den Ort, die von bescheidenen Einzelhäusern gesäumt war. Überall heruntergelassene Rollläden, schummerige Straßenbeleuchtung. Ich kam an einer kleinen Kneipe vorbei und an einem kleinen Kino. Sahen beide ganz manierlich aus. In Berlin hätte ich sie wahrscheinlich sofort inspiziert und am nächsten Tag als Geheimtipp weiterempfohlen. So fuhr ich einfach dran vorbei. Geheimtipps aus Werder will keiner haben.

Die Party war in einer Feriensiedlung außerhalb der Stadt. Die Freunde waren mit zwei VW-Bussen angerückt und hatten alles mitgebracht. Darum gab es auch dieselben Drinks wie immer, aus den Lautsprechern tönte dieselbe Musik, und weil wir alle nur Menschen aus Berlin kennen, waren auch dieselben Leute da. Wenn Berlin eine Insel ist, dann saßen wir jetzt auf einem Floß.

Im Bungalow nebenan feierten Leute aus der Gegend. Ihre Musik war lauter als unsere, sie tranken mehr als wir und es war dort ein ständiges Kommen und Gehen. Obwohl sie ganz nett wirkten, gab es keinen Kontakt zwischen unseren Gruppen. Wir haben irgendwann die Rollläden runtergelassen und unsere Musik etwas lauter gemacht. Die anderen haben wir kaum noch gehört. Wir hatten uns eine richtig kuschelige Hauptstadtblase eingerichtet. Warum wir aufs Land gefahren waren, wusste am nächsten Morgen niemand mehr. Den
Rest des Herbstes werde ich wohl in Berlin verbringen.

Falko Müller

 

Landpartie

Es kommt einem manchmal nicht so vor, verdient aber – gerade in diesem Blog – erwähnt zu werden: Berlin hat auch ein Umland. Und da wohnen auch Menschen. Damit wir sie nicht völlig vergessen, kommen diese Menschen hin und wieder zu Besuch in ihren alten Renaults und tiefer gelegten Astras, die Kennzeichen tragen wie OPR (Ostprignitz) oder MOL (Märkisch-Oderland). Außerdem fahren quer durch die Stadt leuchtend rote Regionalbahnen, die auf leuchtend grünen Digitalanzeigen verkünden, dass sie in Städte wie Elsterwerda oder nach Rathenow fahren. Als kleine Erinnerung daran, dass Elsterwerda und Rathenow ja auch noch da sind, dass es viele gute Gründe gibt, sie zu besuchen, und dass wir doch bitte mal wieder vorbeikommen sollen.

Stadt und Land – Hand in Hand, das mag im glücklichen Süddeutschland funktionieren. Hier ist es nicht so angesagt. Das Wort der „Vergreisung und Verdeppung“ im ländlichen Brandenburg macht die Runde – das passt nicht zu unserer jungen, kreativen Stadt. Wenn die Berliner ihr Umland besuchen, wollen sie sich in einsamen Seen tummeln und arglose Milchkühe streicheln. Zum Gespräch mit Greisen, Deppen oder ganz normalen Menschen gibt es meistens gar keine Gelegenheit. Fünfzig Kilometer vom Alexanderplatz kann es einsamer sein als in den weitesten Weiten Skandinaviens. Den meisten Berlinern ist das ganz recht. Wer was erwartet vom Leben, so sinniert der Berliner, der ist ja eh schon längst hierher gezogen.

Falko Müller

 

Unter Kindern (2)

Wie gesagt, ich lebe in einem sehr kinderreichen Bezirk. Es wird einem ja allenthalben vor Augen gehalten, dass wir in einer veraltenden Republik leben und was für schwerwiegende Folgen das für uns alle haben wird. Die Bewohner von Prenzlauer Berg scheinen sich das sehr zu Herzen genommen zu haben. Und geben alles, um unserem kollektiven Untergang entgegenzuwirken. Wenn man in diesem Viertel wohnt, hat man jedenfalls nicht das Gefühl, sich eines fernen Tages um die Auszahlung seiner Rentenversicherung sorgen zu müssen.

Inzwischen ist der Kinderreichtum auch in meinem Haus angekommen. Meine hochschwangere Nachbarin gab neulich ein Brunch. Ich war die einzige nicht schwangere und kinderlose Frau. Als ich ein bisschen auf dem Klavier im Wohnzimmer spielte, kam nach kurzer Zeit ein Vater zu mir: „Du, ich fände es echt nett, wenn du mit dem Spielen aufhören könntest, das stört unsere Kleine beim Stillen.“ Eine andere Mutter, die auch gerade ihr Baby stillte, sagte daraufhin: „Also meinen Kleinen stört das überhaupt nicht. Der ist ganz ruhig, seitdem sie spielt.“ Ich kippte schnell meinen Sekt herunter und flüchtete in meine Wohnung.

Abends, wenn die Kleinkinder alle brav in ihren Bettchen liegen, hat man dafür seine Ruhe. Meistens zumindest. Als ich vor kurzem in einer Eckkneipe war, einer von diesen verrauchten, schummerigen Schuppen, und mir gerade eine Zigarette angezündet hatte, tippte mir jemand auf die Schulter. Es war eine junge Frau. Als ich mich zu ihr umdrehte, erblickte ich am Tisch hinter mir einen Mann, wahrscheinlich ihr Freund, der ein schlafendes Baby in seinen Armen wiegte. „Ich finde es ziemlich unverantwortlich, zu rauchen, wenn ein Kleinkind in der Nähe ist“, sagte die Schultertipperin zu mir. „Das finde ich auch“, sagte ich. „Aber ich habe ja leider hinten keine Augen im Kopf und ehrlich gesagt, hatte ich an diesem Ort und zu dieser Uhrzeit nicht mit einem Baby gerechnet.“ Natürlich machte ich die Zigarette trotzdem aus. Ist ja für mich auch gesünder, dachte ich. Und wenn sie einen nicht gerade vom Klavierspielen abhalten oder das schlechte Gewissen verstärken, das man ohnehin hat, wenn man einem ungesunden Laster frönt, sind sie ja meist ganz putzig, die kleinen Monster.

Rana Göroglu

 

Unter Kindern

Ich wohne in Prenzlauer Berg, einem Bezirk, in dem es sich wirklich angenehm leben lässt. Manchmal fühle ich mich allerdings ziemlich aussätzig, vor allem wenn ich tagsüber durch die Strassen gehe. Das liegt daran, dass ich in einem der geburtenstärksten Bezirke Deutschlands lebe. Mein Kiez ist hip, doch wer denkt, dass Kinder hier out wären, wird täglich eines Besseren belehrt.

Jede zweite Frau scheint mindestens ein bis zwei Kinder zu haben oder schwanger zu sein. Man stolpert ständig über Kinderwagen, hebt runter gefallene Schnuller und Rasseln wieder auf und wartet im Coffeeshop geduldig, bis der Mama vor einem die Sojamilch fürs Fläschchen aufgewärmt wurde. Die Geschäfte rund um den Helmholtzplatz, dem zentralen Platz in meinem Kiez, haben sich der Situation angepasst. Es gibt Kindereisläden, Kinderfriseure, Kinder-Second-Hand-Läden, Kinderspielecken, Kinderstühle, Kinderlöffel, Kinderportionen und rauchfreie Zonen.

Längst haben die kleinen Monster auch die höchste Erhebung meines Viertels erobert – in Form eines Kind-Eltern-Cafés mit Indoor- und Outdoor-Spielplatz auf dem Hügel in der Mitte des Helmholtzplatzes. Heute war ich mit einer Freundin und ihrem kleinen Sohn dort. Um mich herum in Bio-Schaafwolle gehüllte Babys oder mit sündhaft teuren mexx-Jeans und adidas-Schuhen ausgestattete Windelträger, Hippie-Tragetuch-Eltern und Karrieremamis, die mit ihren hohen Hacken über die Naturfliesen klapperten. Ständig stolperte man über irgendein Krabbelmonster oder hatte bioschokoverschmierte Patschehändchen auf der Hose.

Da ein Gespräch mit meiner Freundin nur bedingt zu Stande kam (sie musste alle fünf Minuten hinter ihrem Sohn her rennen), lauschte ich bei den anderen. Da ging es um einen einjährigen Jungen, dessen Mutter sich nicht unter Druck setzen wollte, abends wegzugehen. Schließlich würde der Kleine ja ein Trauma bekommen, wenn er aufwache und seine Mutter wäre nicht bei ihm. Oder ein dreijähriges Mädchen, das mit Schokodrops gefüttert wurde („Irgendwie muss ich sie ja verwöhnen, jetzt wo sie nicht mehr gestillt wird“).

Ich muss zugeben, dass die Probleme, mit denen sich diese jungen Eltern so herumschlagen, mich ein bisschen abschrecken. Andererseits kann man da ja auch viel Wissenswertes aufschnappen. Zumindest weiß ich ganz genau, was eines Tages auf mich zukommen wird.

Rana Göroglu

 

in velo veritas (2)

Was habe ich da gestern geschrieben? Fahrradfahren in Berlin als wahres Berlin-Erlebnis? Wahrscheinlich hatte ich kurz vergessen, wie oft man angeschnauzt wird, wie oft einem vorsätzlich die Vorfahrt genommen wird von rücksichtslosen Autofahrern, wie holprig die Straßen sind, wie selten die Fahrradwege. Dankbarerweise wurde ich heute morgen auf dem Weg zur Arbeit daran erinnert (ganz persönlich auch noch mal hier: Danke. Wirklich: Danke, lieber Fahrer des roten Opels mit Potsdamer Kennzeichen. Nein, Sie haben sich getäuscht: Wenn ich geradeaus fahren will und Sie von gegenüber nach links abbiegen, berechtigt Sie das nicht, mich über den Haufen zu fahren. Seien Sie froh, dass ich neulich meine Bremsen habe reparieren lassen.)
Fahrradfahren in Berlin ist gefährlich. Nach einigem Fluchen habe ich aber festgestellt: Das ist Berlin ja auch. In mancher Hinsicht zumindest. Also Fahrradfahren doch ein wahres Berlin-Erlebnis? Nach diesem kurzen Gedankensalto werde ich gleich zumindest einigermaßen versöhnt den Heimweg antreten. Bis zum nächsten roten Opel.

Falko Müller

 

in velo veritas

Langsam wird es kalt in Berlin. Unangenehm kalt. Und windig. In der Redaktion kommen die meisten nicht mehr mit dem Fahrrad zur Arbeit, sondern mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Das ist ja auch nicht zu beanstanden, viele Leute mögen das Radfahren halt vor allem in Verbindung mit einem Picknickkorb.
Die ersten paar Jahre bin ich ausschließlich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in Berlin umhergefahren. Bis mich eine Freundin darauf aufmerksam machte, dass man so ja gar nichts von der Stadt sehen würde. Und tatsächlich: Die U-Bahnhöfe Berlins kannte ich wie meine Westentasche, nur hätte ich mal vom einen zum anderen oberirdisch gelangen müssen – ich wäre verloren gewesen. Die banalen Einsichten sind ja die besten, seit diesem Tag besitze ich ein Fahrrad, mit dem ich leidenschaftlich gern fahre und dass ich gegen kein Auto der Welt eintauschen würde.
Heute bin ich also auch wieder mit eben diesem Fahrrad zur Arbeit gefahren, mit Handschuhen schon, es wird ja kalt. Und als ich so die Friedrichstraße entlang fuhr, dachte ich wieder an den guten Rat meiner Freundin und wie Recht sie damit hatte. Es ist nicht nur dieses Gefasel von wegen gesund. Wer in der U-Bahn fährt, lernt eben nur U-Bahnhöfe kennen. Wer Auto fährt, sieht den Himmel nicht (und wer es versucht, hat danach meist einen recht nahen Blick auf die nächst gelegene Straßenlaterne). Wer in Berlin Fahrrad fährt, ist nicht nur meist schneller als die anderen Verkehrsteilnehmer: Er atmet Berlin, er sieht Berlin und er kann nach einiger Zeit tatsächlich sagen, er kennt Berlin.

Falko Müller

 

Mit gesenktem Blick

Eine Umfrage unter den Bewohnern zehn deutscher Großstädte hat ergeben, dass Berlin als schmutzigste Stadt gilt. Dass ich nicht gerade in einer der saubersten Städte wohne, war mir schon vorher klar. Will ich ja auch gar nicht.

Trotzdem gibt es Momente, in denen man überhaupt nicht stolz ist auf seine Schmuddelmetropole – sondern eher angeekelt. Man müsste als Berliner ja eigentlich immer mit gesenktem Blick durch die Straßen laufen. Das kommt daher, dass wir nicht nur politisch sondern auch in Bezug auf die Anzahl der Hunde deutsche Hauptstadt sind. Das mit dem gesenkten Blick ist aber so eine Sache. Wenn man das konsequent durchziehen würde, würde man ja ständig irgendwo gegen laufen. Neulich habe ich gesehen, wie eine Frau, die gerade aus der S-Bahn ausstieg, direkt in einen riesigen, auf dem Rand des Gleises liegenden Hundehaufen getreten ist. Wer soll so etwas ahnen? Essen sollte man besser auch nichts, wenn man zu Fuß in der Hauptstadt des Imbissbuden unterwegs ist, denn wenn man dabei einen Blick nach unten wagt, vergeht einem schnell der Appetit.

Warum die Menschen gerade in einer Großstadt wie Berlin so viele Hunde halten, ist mir ein Rätsel. Und wieso gerade bei den Hunden der deutsche Sauberkeits- und Ordnungssinn aussetzt, auch. Die rund 256.000 Vierbeiner hinterlassen täglich um die 55 Tonnen Kot in der Stadt. Aber das gehört wohl dazu, zur Hauptstadt der Hundesrepublik Deutschland.

Immerhin haben wir bei der Umfrage, was das Kulturangebot betrifft, am besten abgeschnitten. Und in der Lebenswert-Skala liegen wir auch weit vor dem Schlusslicht Dortmund. Unterm Strich gibt es also noch mehr als genügend Gründe für einen gesunden Lokalpatriotismus.

Rana Göroglu