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Alles eine Frage der Perspektive

Skinner Box © Ignas Krunglevicius

Die Performance Deviance inszeniert befremdliche Blickwinkel auf das Verbrechen.

Der litauische Künstler und Komponist Ignas Krunglevicius (1979) thematisiert in seinen Installationen, Video- und Klangarbeiten Macht- und Gewaltstrukturen und zwingt den Betrachter seine vertrauten Perspektiven zu hinterfragen. Für die Performance im Berghain hat er jetzt das Verbrechen vertont. Genauer gesagt hat Krunglevicius eine Partitur geschrieben, die auf Gesprächsprotokollen aus den Archiven des FBI, Gefängniszellen und Therapiebüchern basiert. Wie der Name „Deviance“ verrät, interessiert den Künstler daran die Verletzung soziokultureller Normen, wie sie Psychologen und Kriminologen diagnostizieren.

Die Performance besteht aus drei Akten, in denen ein Massenmörder, ein Kind und dessen Eltern zu Wort kommen. Ihre Dialoge laufen über eine Leinwand, begleitet von den Musikern der Ensembles POING und NING sowie der Klarinettistin Kristine Tjøgersen.

A psychologist might say: Let’s not distinguish between guilt and compulsion, between cause and effect. Let’s only consider: Well, it’s a different point of view, isn’t it? – Yes, it’s just a different point of view.

20 Uhr | 07. April 2011 | Berghain | Am Wriezener Bahnhof | Berlin Friedrichshain

 

Science Fiction im Atomkraftwerk

Unter Kontrolle (Still) © Promo

Die Dokumentation Unter Kontrolle. Eine Archäologie der Atomkraft hinterfragt die Sicherheit deutscher Atomkraftwerke – in atemberaubenden Bildern.

Unter Kontrolle (2011) stammt aus einem Atomzeitalter vor Fukushima, als große Teile der Gesellschaft Kernenergie noch für ein kalkulierbares Risiko hielten. Der Regisseur Volker Sattler untersuchte den grotesken Sicherheitsaufwand hinter diese Form der Energiegewinnung. Entstanden ist ein Panorama der Atomkraft, einer Technologie, die wie keine andere den Fortschritt symbolisierte und heute für die drohende Katastrophe steht.

Sattler filmte dafür den Alltag in Kraftwerken, Anreicherungsanlagen und Zwischenlagern, besuchte Aufsichtsbehörden, Forschungszentren und Schulungsstätten. Allerdings funktioniert der Film weniger über das Fachwissen der Experten, als die Kraft seiner Bilder. Sattlers kritischer Blick hinter die Kulissen des deutschen Nuklearbetriebs inszeniert die faszinierende Ästhetik der Technologie, zeigt ihre Architektur als Monumente der Utopie, die blinkenden Schalttafeln als real gewordenes Science Fiction-Szenario. Die Aufnahmen sind sachlich, aber nicht nüchtern. Wenn die Kamera langsam den Brennstab abfährt, spürt der Zuschauer die implizite Gefahr. Dass der Katastrophenfall in Japan tatsächlich eingetreten ist, verdeutlicht nun auf traurige Weise die Unberechenbarkeit der Atomenergie.

Zwar kommt die Dokumentation erst im Mai in die Kinos. Aber Arsenal und Haus der Kulturen der Welt zeigen heute eine Vorabpremiere, gefolgt von einer Podiumsdiskussion zur Macht des Filmbildes. Inwiefern ästhetische Ereignisse die Einstellung einer Gesellschaft verändern können, diskutieren der Regisseur Volker Sattler und sein Co-Autor Stefan Stefanescu mit der Kuratorin Adrienne Goehler, dem Filmkritiker Bert Rebhandl sowie Armin Grunwald vom Karlsruher Institut für Technologie.

Die Vorführung findet statt im Rahmen der Initiative Über Lebenskunst. Die Veranstaltungsreihe am HKW sucht die Verbindung von Kultur und Nachhaltigkeit – unter anderem mit einem eigenen Über Lebenskunst.Klub. Der debattiert im Übrigen morgen Nachmittag darüber, was Kunst gegen den Klimawandel ausrichten kann. Dazu passend gibt’s abends das Doppelkonzert Electric Trucks & Hybrid Hot Rods.

19 Uhr | 06. März 2011 | Haus der Kulturen der Welt | John-Foster-Duller–Allee 10 | Berlin Tiergarten

 

Films from the backstage

Im Kino Moviemento gastiert das Musikfilmfestival IN-EDIT.

Ursprünglich kommt das Festival aus dem spanisch-sprachigen Raum. Jetzt will In-Edit auch Berlin erobern. Vom 05. bis zum 10. April laufen im Moviemento daher allabendlich unterschiedlichste Musikdokumentationen, etwa über Feist und José Gonzáles, Hamburger Musikgeschichte, die Punkszene Pekings oder William S. Burroughs. In dem Programm mit den Sparten ‚Hidden Legends and Shiny Stars‘, ‚International Underground‘ und ‚Archive Gems‘ dürfte für jeden was dabei sein, der für das Genre was übrig hat. Sonderveranstaltungen und weitere Vorführungen finden außerdem im .HBC statt.

ab 18 Uhr | 05. April 2011Moviemento | Kottbusser Damm 22 | Berlin Kreuzberg

 

Lebensrettende Musik

Patrick Wolf feiert im Lido.

Der Londoner Patrick Wolf macht intelligenten Pop. Und weil der Komponist, Multiinstrumentalist und Sänger außerdem ein großartiger Entertainer ist, gibt es im Verkauf keine Karten mehr. Hartnäckige können es vor der Tür versuchen, für den Rest bleiben ein Interview mit ZEIT ONLINE sowie Wolfs Hymne gegen die Rezession und für die Liebe: The City ist eine Auskopplung aus seinem neuen Album Lupercalia.

21 Uhr | 05. April 2011 | Lido | Cuvrystraße 7 | Berlin Kreuzberg

 

Einfach nur lesen

Der Tag schreit förmlich nach einem Leseabend auf der Couch. Faule können alternativ zu einer Tagebuch-Lesung ins DT oder zu einem Autorengespräch über Sprache und Identität in den Münzsalon.

Die Schauspieler Barbara Schnitzler und Helmut Mooshammer lesen aus dem Tagebuch des ehemaligen DT-Intendanten Heinz Hilpert an seine große Liebe, die in der Schweiz lebende Jüdin Annelies »Nuschka« Heuser. So wird alles Schwere entweder leicht oder Leben. Tagebuch für Nuschka (2011) ist das Exerzitienbuch eines sich Sehnenden im vom Zweiten Weltkrieg geprägten Berlin. Im Münzsalon spricht die türkischstämmige Autorin, Schauspielerin und Regisseurin Emine Sevgi Özdamar mit der in Istanbul lebenden Schriftstellerin Sema Kaygusuz über Muttersprachen und Mutterzungen. Beide lesen aus ihren Büchern.

Bleibt noch das Hörbuch.

19.30 Uhr | 4. April 2011 | Deutsches Theater | Schumannstraße 13a | Berlin Mitte

20 Uhr | 4. April 2011Münzsalon | Münzstraße 23 | Berlin Mitte

 

Wider die Hörgewohnheiten

Das HAU startet mit gewöhnungsbedürftiger Musik in den April.

Diese Wochenende gibt’s die fünfte Folge der Konzertreihe Life is Live, kuratiert von Christoph Gurk. Das HAU 2 präsentiert gleich zwei Konzerte, die alles andere als eingängig sind. Sowohl Ari Benjamin Meyers mit dem Redux Orchestra als auch Blixa Bargeld und Carsten Nicolai mit ihrem Projekt anbb wenden sich an fortgeschrittene Zuhörer.

Der Komponist Ari Benjamin Meyers hat das experimentierfreudige Musikerkollektiv Redux Orchestra gegründet, mit dem er am Samstag seine Komposition Symphonie X (2009) aufführt. Bei dem Orchesterstück handelt sich um eine eigenwillige Kombination aus experimentellem Minimal und hartem Rock. Meyers versteht die Sinfonie als „Liebeserklärung“ an die Neo-Minimal Music der späten Siebziger und frühen Achtziger.

Weniger irrwitzig klingt da schon die Kombination aus Postpunk und abstraktem Techno, die am nächsten Tag Blixa Bargeld und Carsten Nicolai (aka. Alva Noto) präsentieren. Seit 2007 kombinieren die beiden Musiker als anbb Improvisation und Abstraktion.

P.S.: Hier ein alter ZEIT-Artikel zur „neuen“ Avantgarde.

22 & 20 Uhr | 02. & 03. April 2011 | HAU 2 | Berlin Kreuzberg

 

Terrorismus am Sonntag

Die Schaubühne lädt zum RAF-Streitraum.

Was gibt’s Schöneres als an einem Sonntagmittag über die RAF zu diskutieren? Na gut: Ausgiebig frühstücken, in Parks abhängen oder zur Orgel-Matinee in der Philharmonie gehen. An der Schaubühne jedenfalls geht es bei Mythos Aufklärung um die Frage, warum sich die Aufklärung der RAF-Morde so zäh gestaltet. Darüber streiten der Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar und Michael Buback,  Sohn des ermordeten Siegfried Buback.

12 Uhr | 03. April 2011 | Schaubühne am Lehniner Platz | Kurfürstendamm 153 | Berlin Wilmdersdorf

 

Und noch ’ne Dependance

Rebecca Ann Tess, Hidden Angst, 2011 © Courtesy Figge von Rosen, Köln

Am Wochenende eröffnet die Kölner Galerie Figge von Rosen neue Räume in Berlin. Natürlich zieht es auch sie an die Potsdamer Straße.

Ihre Ausstellungsräume weihen Philipp Figge und Philipp von Rosen ein mit einer Einzelausstellung der Künstlerin Rebecca Ann Tess. Die Arbeiten von A crime must be committed setzen sich mit der euroamerikanischen Filmgeschichte auseinander, der Entwicklung der Filmcharaktere und den unterschwelligen Ängsten, die die Filmbilder transportieren.

Während die titelgebende Videoinstallation A Crime must be Committed (2010) genretypische Szenen aus Ganster- und Detektivfilmen variiert, greifen die auf Acrylglas gedruckten Bilder jeweils Szenen und Figuren auf, in denen sich die Ängste des weißen, männlichen Zuschauers ausdrücken. Das ist verkopft, dabei interessant und formal ganz spannend.

19 Uhr | 02. April 2011 | Figge von Rosen Galerie Berlin | Potsdamer Straße 98 | Berlin Schöneberg

 

Satt für ’n Stündchen – dick 4ever

© Kantine / Less Office

Die Kantine kocht gut. Noch besser schreibt sie Newsletter.

Leckeres Mittagessen in aberwitziger Runde. Jeweils Freitags kochen Christian, Florian & Assozierte für alle, die sich mutwillig in die Köpenickerstraße verirren. Jede Mahlzeit bereiten sie mit viel Liebe und ohne künstliche Zusätze zu. Abgesehen von einem kranken Faible für Blutwurst sind die Jungs offen für alles. Ob Schokohuhn, Pizza oder Senfeier – immer kommt ein anderes Gericht auf die Karte. Heute gibt’s Bahn Xeo und Käsekuchen japanischer sowie amerikanischer Machart. Und weil nicht nur die Desserts legendär sind, sondern auch die wöchentlichen Newsletter, hier die aktuelle Ausgabe:

Liebe Gäste, Die schlechten Neuigkeiten zuerst: unsere Schwester, Freundin und Kollegin Gelatine hat auch diese Woche frei, wir hoffen auf ihre Rückkehr zur nächsten (Essens-) Ausgabe. Nun zu etwas ganz anderem. „Banh Xeo“ ruft sie, Vi, unsere illegale Küchenhilfe. „Banh Xeo!“, schon wieder. Leider ist uns ihr vietnamesischer Bergdialekt völlig fremd. „Banh Xeo!“ So geht es nun seit Wochen! Vi, unsere illegale Küchenhilfe, hat genug von Blutwurst und Sauerkraut, sie hat Sehnsucht nach ihrer vegetarischen Heimat, den sanften Hügeln von Nord-Vietnam, aka Charlie’s Land, bzw. was davon übrig ist. Und welche Präsenztechniken sind effektiver, als das Verspeisen der Gerichte der geliebten Heimat, oder des Sehnsucht-Ortes des letzten Urlaubs? Wer fühlt sich bei einem Teller Paella nicht wie in Villarriba (respektive Villabajo), bei einer krossen Pizza wie in Napoli und bei einem dicken Döner Kebap mit ohne Soße und extra Scharf, wie in Kreuzberg? Ja, wir auch nicht. „Banh Xeo!“ Es zerrt an unseren Nerven. Damit wir endlich wieder durchschlafen können, bekommt Sie diese Woche Ihren Willen und so soll „Banh Xeo“ der dish of the day sein. Am 1. April, Tag der besonderen Scherze. Haha! Beim Nachtisch zeigen wir unsere tiefe Verbundenheit mit unseren japanischen Freunden und tischen, nicht nur symbolisch, einen japanischen Käsekuchen auf. Aber keine Sorge, natürlich unter Verwendung von Ökostrom hergestellt. Und bei all dieser Gesten und Gefallen(en) gedenken wir heute ebenfalls unserer Freunde und Verwandten in den USA mit einem NY Cheesecake. Denn sie brachten die Atom-Kraft nach Japan und die Demokratie in den dunklen Norden Vietnams. Dafür sagen wir einfach nur: Danke!

12.30 Uhr | 01. April 2011 | Kantine (über Less Office) | Köpenickerstraße 36-38 | Berlin Kreuzberg

 

Weltraum-Kunstkrimi-Spaß

Mark von Schlegell ist mit seiner Science-Fiction-Novelle High Wichita zu Gast im Gorki Studio.

Mark von Schlegell verbindet Science-Fiction, Philosophie und Kunst. Klingt krude, funktioniert aber gut. Denn Schlegell ist gestandener Science-Fiction-Autor und Kunstkritiker für Museumspublikationen und Magazine.

In der Weltraum-Kriminalgeschichte High Wichita geht es jedenfalls um Authentizität und den Wert von Kunst. Das Ganze spielt im Jahr 2133 und der Plot klingt unterhaltsam: Weltraumagent Nick Wesley soll Vermeers  wertvolles Gemälde Junge Dame mit Perlenhalsband sicher zur Erde transportieren. Um es vor Dieben zu schützen, verdoppelt er das Bild mit einem Quantenschloss. Die identischen Gemälde machen die Begriffe Original und Kopie obsolet – bis eines der Bilder zerstört wird. Jetzt quält sowohl den Dieb als auch den Eigentümer die Frage, ob das verbliebene Gemälde eigentlich ‚der‘ Vermeer ist. Währenddessen verhindern Aufstände auf der Erde die Landung.

Aus der bei Matthes & Seitz veröffentlichten deutschen Fassung liest heute Abend der Schauspieler Matti Krause.

20.15 Uhr | 31. März 2011 | Gorki Studio Berlin | Hinter dem Gießhaus 2 | Berlin Mitte