Unser Kolumnist muss schreiben. Ständig. Über die Welt, die Tiere, die Mitmenschen und sich. Internetzugang hat er nicht, deshalb schickt er uns jede Woche ein Fax.
Zähneputzen morgens mit der Elektrobürste. Pralle ab an meinem Spiegelbild: Sehe aus wie eine Teich- und Tümpelkröte. Hatte am Vorabend noch über unsere Kanzlerin gelästert: bemerkenswert dröge, trotz der Claqueure, die in der Merkel-Raute eine Geste der Besonnenheit entdecken. Das ist die Rache, denke ich, über Nacht haben dich die üblen Worte verhässlicht. Frühstücksrunde vor der Bäckerei. Freunde und Bekannte, Hausmeister, Gerüstbauer, Rentnerin nach frühem Einkauf auf dem Wochenmarkt.
Kackender Dackel an der Linde. Herrchen mault über den leeren Tütenspender, zerrt an der Leine, als der Dackel an anderer Hunde Haufen schnüffelt. Ein Freund liest im bürgerlichen Blatt, rupft eine Seite aus der Zeitung, reicht sie mir. Ich soll den Artikel lesen, er bittet mich um meine Meinung. Eine Kollegin, Stulpenstiefelradikale unserer Tage, erregt sich über einen Missstand. Lautes Klingelspiel. Schlechtes Deutsch, Schüleraufsatz. Ich knülle die Seite, streiche sie auf dem Tisch glatt und sage: Das Biest wirft uns allen Verblödung vor. Dabei ist sie selber dämlich, sie kann nicht schreiben… Der Freund schimpft mich einen Wurzelsepp, ich beiße einen Brocken vom Käsehörnchen. Er wollte die Seite kopieren, ich habe ihm alles verdorben, jetzt möchte er zünftig streiten. Worüber? Über den Verlust unserer Unschuld. Wie bitte? Er sagt: Die Bürger, sie kuschen. Sie müssen auf die Straße, sie müssen sich bewaffnen mit Mistforken und Dreschflegeln wie die Bauern in früherer Zeit! Ich wünsche ihm einen guten Tag, eile heim, denke auf dem Sofa nach. Was gefällt mir nicht an den Rebellen?
Sie verunglücken bei dem Versuch, einen halben Gedanken auszuschreiben. Sie treten in Talkshows auf und reden blödes Zeug. Sie sind Frauen und Männer von hoher Lappigkeit. Sie sind Tropfenfänger an der Tülle. Serviettenkrawatte am Hals der Weinflasche. Schlechter Vergleich. Sie sind Salonhooligans. Das reicht, Schnauze halten, an die Schreibmaschine jetzt. Ich schreibe. Draußen Gebrüll und Gebell. Junge Säufer und Säuferhunde, die Hitze macht die Rüben weich.
Am Abend Lesung. Höflicher Applaus. Mann erhebt sich vom Stuhl in der hintersten Reihe, schnürt an der Wand entlang, steht am Signiertisch. Grauer Haarkranz, Schweiß zwischen den Schnurrbartborsten. Rote Markenhose, gestreiftes Hemd mit Knöpfkragen, Haut am Nasenrücken pellt sich. Mann sagt: Sie haben mir den Abend verdorben. Ihr Buch ist schweinisch. Dame stimmt ihm zu – ist sie seine Ehefrau?
Nein, ist sie nicht. Eine „Büchernärrin“, doch meinen Roman fasst sie nicht mit der Brikettzange an. Sie nennt mich einen Radikalen. Kein Kompliment. Ich signiere ein Buch, später beim Essen ein zweites: Belegexemplar, Eigentum der Bücherei. Nachts liege ich im Bett wie eine halbbandagierte Mumie, ich denke: Was heißt hier radikal?
Spaßfuzzis schreiben Schwarten für Halbalphabetisierte. Mädchen aus der Zombie-Zone Berlin-Mitte schreiben läppische Bändchen. Kinderwagen schiebende Jungpapis schreiben Germanistenpamphlete. Röhrende Hirsche und äsende Rehchen des Systems.
Und ich? Bin ich eine öde Hupe, das radikale Männchen? Wind rauscht durch die Bäume. Nicht denken. Licht aus.