Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Literaturdebatten der Teichmolche

 

Unser Kolumnist muss schreiben. Ständig. Über die Welt, die Tiere, die Mitmenschen und sich. Internetzugang hat er nicht, deshalb schickt er uns jede Woche ein Fax.

Am Vorabend der Abreise: Die Stirn glüht, der Nacken krampft, die Augen teebeuteldick geschwollen. Schöne Scheiße. Stehe am aufgeklappten Koffer, packe nach nochmaligem Zählen einen Satz Socken und U-Hosen ein. Liege dann für eine Viertelstunde auf dem Rücken, komme mir blöd vor. Mitteilung vom Kumpel: Susi weg, bin verheert, komme vorbei, bleibe nicht lang. Er hockt wenig später auf dem Sofa wie eine Eule auf der Jule. Will heulen, kann aber nicht. Hat die letzte Träne des Tages schon vergossen. Er sagt: Susi, das ist ne Pickelnelke, trotzdem, ich lieb sie, mein Herz steht in Flammen… Wie trösten?

Mir klappern die Zähne, Schüttelfrost. Ziehe drei Pullover übereinander, sehe aus wie ein Erdbebenopfer. Kumpel glaubt, dass der miese Nebenbuhler Manni ihm die geile Susi ausgespannt hat. Er erzählt eine lange traurige Geschichte über sich und Susi, nix Sex, nix zartes Balgen, nix Löffelchenliegen im Bett. Nach zwei Stunden bitte ich ihn zu gehen, er ist sauer, er braucht Beistand, ich solle in die Herzseite meiner Brust hinein greifen, dort klaffe ein großes Loch. Tut mir Leid wegen Susi, sage ich und schließe die Wohnungstür.

© Fuse/GettyImages
© Fuse/GettyImages

Erste Station der Lesereise: Wolfsburg. Seltsame Autostadt. Wolfsburg gibt es nicht. Blinzele einige Male, reibe mir die Äuglein, und siehe da, alles verschwunden. Sitze im Zug nach Berlin. Treffe meine Schwester und Hündin Ruby am Hauptbahnhof. Regen, Herbsthimmel. Heldenfrau. Stolperte über ein Kabel, fiel auf harten Boden, zog sich Schürfwunde am Knie und Prellungen an der Lendenwirbelsäule zu. Kommt hinkend zum Treffpunkt. Letzten Monat fiel meine Mutter die Treppen herunter. Ist es die Saison der fallenden Frauen? Ich greife mir in das Brustloch, drücke und knete, ein kleines Herz, daumennagelgroß, fängt an zu pumpen. Es pumpt, als ich auf den Bahnhofsvorplatz hinaustrete, um zu rauchen: Kippensammler, Frau an Krücken, Straßenmagazinverkäuferin, torkelnde Säufer mit frischen Wunden im Gesicht. Geister im verstörten Fleisch. Alle Lebensratgeber sind fürn Arsch. Wer wieder sehen will, wie beseelt der Himmel ist, soll Münzen verteilen. Glücksfibeln sind fürn Arsch. Was sagt der Erlöser? Teile dein Gut, und halte aber deine Fresse, wenn du es nicht tust. Bin beglückt und begeistert. Ab nach Reinfeld im Norden.

Zaimoglu 2
Faksimile des Faksimiles von Feridun Zaimoglu

Noch zwei Stunden bis zur Lesung. Setze mich auf die Terrasse einer Bäckerei. Ein Mann knallt die leere Wasserflasche gegen die Stirn der Frau. Scherz. Frau grollt. Am Nebentisch drei alte Damen. Dame A: Bin viel draußen. Nicke um neun abends ein. Dame B: Jaja. Dame A: Pflaumen bekommen mir nicht. Muss dann dünn. Dame C: Jaja… Mann knallt Flasche gegen die Wange der Frau. Scherz. Frau nennt ihn Viech, elendiges. Lediger alter Herr setzt sich zu den Damen. Dame A: Man kann sich auch im hohen Alter verloben. Damen und Herr reden über Reizblase. Schmalzbrot, Zwiebelkuchen, wehe Hinterbacken, kollernden Magen, muffelnde Goudamauken, über Scholle nach Finkenwerder Art. Ich stehle mich grinsend fort. Ziehe im Hotel frisches Hemd und Jackett an, gehe am unteren Herrenteich entlang, bleibe kurz an der Schautafel stehen. Früher haben die Mönche Karpfen im Teich gezüchtet. Vor Beginn der Lesung erklärte mir ein freundlicher Herr, dass man den Reinfelder Karpfen mit Schlagsahne serviert. Der Sahne mischt man selber auf dem Teller Meerrettich bei. Lese mich anschließend heiser, die Gäste fühlen sich unterhalten, ich verbeuge mich sitzend.

Später im Bett denke ich: Ich pfeif auf die Literaturdebatten der Teichmolche! Sollen sie doch Tand und Zeugs vergolden! Hoch lebe der Mücken schnappende Karpfen!