Familie und Beruf – das ist doch machbar, findet Ursula von der Leyen. Unsere Autorin kann dazu nur sagen: Schreiben mit Kindern ist zwar möglich, macht aber irre.
Ich habe einen sehr liebevollen Mann, zwei reizende Söhne, aber wenn ich schreiben will, würde ich gerne alle drei kurzzeitig entsorgen. Da das strafrechtlich verfolgt wird, geht ein Heidengeld für Babysitter, Sportvereine und Großbildfernseher drauf, um die drei ruhig zu halten. Das klappt während der EM und WM hervorragend, sonst gar nicht. Kaum zu glauben, aber es gibt immer noch zu wenig Fußball im Fernsehen.
Ich habe von einer Autorin gehört, die immer mal wieder ins Hotel zum Schreiben geht, damit sie einen Satz zu Ende denken kann… Familie und Beruf sind nur im Parteiprogramm kompatibel. Also zahle ich zähneknirschend der Psychotherapeutin 100 Euro, um ihr von meinem schlechten Gewissen zu erzählen, wenn ich zu viel arbeite und die Kinder sträflich vernachlässige. Auch andere Mütter haben es geschafft, lautet mein Mantra, dem ich genauso wenig vertraue wie der allseits gerühmten heilenden Wirkung von Yoga. Mir ist eben nicht zu helfen. Vielleicht hätte ich Astronautin werden sollen, dann hätte ich sie mitgenommen auf meine spektakulären Reisen ins All und wir hätten alle etwas davon.
Vor ein paar Tagen saß ich zufrieden auf meinem Bett, den Laptop auf dem Schoß, um meiner Arbeit nachzugehen. Ein nicht unkomplizierter Nachruf wartete auf seine Vollendung. Der Mann war in frühester Kindheit bei der Hitlerjugend gewesen, dann zum großen Judenfreund avanciert. Eine klassische deutsche Biografie. Er war Dekan in meiner Fakultät gewesen, ich hatte ihn sehr gemocht, ein preußischer Typ mit scharfem Humor, wir hatten gute Gespräche geführt. Vielleicht hatte ich sogar über ihn den Nahost-Konflikt am besten begriffen. Außerdem hatte er nie ein Geheimnis aus seiner Vita gemacht, was ich ihm hoch anrechnete.
„Du als Jüdin bist doch wie geschaffen für den Nachruf“, hatte man mir geschmeichelt und hier saß ich nun, eingeklemmt zwischen Kissen und einem deutschen Lebenslauf. Ich war gerade mal bei 1.000 Zeichen (ohne Leerzeichen), wühlte mich durch einen Wust an biografischem Material, als im Wohnzimmer ein anderer Kampf zu toben begann, Geschirrklirren, Türenknallen, Gebrüll. Vater und Sohn bei ihrem beliebtesten Sport, der Austragung des Generationenkonflikts. Ich erhob mich, um gegebenenfalls einzugreifen. Keiner achtete auf mich, sie hatten mit sich zu tun, vom Türrahmen aus konnte ich die Szenerie unbeschadet verfolgen.
„Du bist ein elender Spießer“, schrie der Vater seinen Sohn an, „ich verbiete dir, dahin zu gehen! Ich war in Brokdorf…“ „Kannst du gar nicht!“, schrie dieser zurück, saß mit hochrotem Kopf am Tisch, vor sich ein Anmeldeformular der Bundeswehr, „ich bin 18 und mache, was ich will. Lass mich in Ruhe mit deiner alternativen Scheiße!“
Ich hätte mich natürlich einmischen können. Denn schließlich bin ich auch erziehungsberechtigt und zudem nicht gerade ein Freund der Bundeswehr (womit wir schon wieder bei Frau von der Leyen wären). Aber im Gegensatz zum gerade im Einsatz befindlichen Vater wusste ich, das dieses Anmeldeformular eines von vielen war. Vorgestern war es die Uni, gestern eine Ausbildung zum Koch, heute die Bundeswehr. Jeden Tag will er was anderes werden. Man könnte es auch einfach Pubertät nennen.
Vor allem aber lähmte mich ein plötzlicher beruflicher Gedanke. Warum sich mit deutschen Lebensläufen plagen, wenn aktuelle Brandherde im eigenen Wohnzimmer toben? Der Nachruf verschwand ganz hinten in der untersten Schublade und ich schrieb und schrieb bis zum Abend, über Väter und Söhne, Brokdorf und Anmeldeformulare und das schrecklich komplizierte innerfamiliäre Verhältnis zwischen Juden und Deutschen. Die Türen gingen auf und zu, und immer neues Material drang ungefragt in mein Zimmer, ich musste es nur niederschreiben. „Mama, wo hast du nur diesen Deutschen her? Ich hasse ihn!“ Oder: „Meine Liebe, solange dein Sohn glaubt, er sei das auserwählte Volk in persona, ist ihm nicht zu helfen!“
Natürlich, natürlich. In Deutschland wird Privates und Berufliches, Gesellschaftliches und Politisches fein säuberlich getrennt. Außer in der Gala. Die überall immer ausverkauft ist, weil alle alles über die anderen wissen wollen. Heimlich, versteht sich. Es gibt Autoren, die sich die herrlichsten Geschichten ausdenken. Aber ist nicht genau der Alltag und als stärkster Vertreter davon die Familie, justement das, was wir manchmal in Büchern vermissen? Und in der Gala finden. Die Erdung. Den Bezug zur Realität? Das Authentische?
Das Private ist immer politisch, hat einer mal gesagt – ein bisschen totalitär, aber warum nicht? Etwas verdichtet und zugespitzt, aber die Essenz der Zeit, in der wir leben.
„Wenn du mich als Romanfigur benutzt“, sagt mein Sohn, „verklage ich dich höchstpersönlich auf Tantiemen!“ „Prima“, antworte ich, „dann wirst du Anwalt, ein schöner Beruf!“