Eizellen einfrieren für die Karriere, wie Apple und Facebook es planen? Unsere moderne Arbeitsgesellschaft hat den Respekt vor dem biologischen Eigensinn des Individuums verloren.
Wenn Sie Ihr eigenes Leben verschieben könnten, damit es besser in die Unternehmensstruktur Ihrer Firma passt, würden Sie es tun? Wären Sie bereit, statt beispielsweise im Jahr 1974 im Jahr 1984 geboren zu sein, weil Ihre Qualifikationen, ihre Persönlichkeit, Ihre Begabungen zehn Jahre später besonders gefragt sind? Möglich, dass Sie auch noch einmal um zehn Jahre zurückgestellt werden und noch einmal, bis die Firma merkt, dass Sie eigentlich gar nicht mehr gebraucht werden und Ihre Geburt gänzlich ausbleibt. Wir wissen es ja: Etwas, das man endlos vor sich her schiebt, hat gewisse Chancen, nie gemacht zu werden.
Keine Sorge, derlei ist noch dystopische Spekulation; was allerdings bereits möglich ist, das machen sich Apple und Facebook jetzt zunutze. Die beiden fürsorglichen Großkonzerne bieten ihren Mitarbeiterinnen an, die Kosten für das Einfrieren ihrer Eizellen zu übernehmen (einmalig 8.000 Euro für den Eingriff plus 400 Euro Lagerkosten pro Jahr), sodass ihre Angestellten das für die Karriere allzu hinderliche Kinderkriegen erst mal vertagen können. So sollen die Jobs in der IT-Branche attraktiver für Frauen werden, heißt es. Niemand muss mehr auf Kinder zugunsten der Karriere verzichten. Danke, liebes Facebook! Wieder einmal Danke!
Es ist immer schon schwer gewesen, die Trennlinie zwischen Fürsorge und Kontrolle exakt zu ziehen und womöglich bedingt eins das andere. Der deutsche Großunternehmer Friedrich Krupp war hierfür Ende des 19. Jahrhunderts ein gutes Beispiel. Zu einer Zeit, da staatliche Sozialpolitik noch nicht richtig entwickelt war, schufen er und seine Ehefrau Margarethe ein umfassendes Wohlfahrtssystem für ihre Beschäftigten, das von der Pensionskasse über Wohnheime bis hin zur Konsumanstalt reichte, allerdings auch Bevormundungen und Kontrolle nach sich zog, etwa, welche Zeitungen gelesen werden durften oder ob der krankgemeldete Arbeiter wirklich krank war, kurz: Es war eine engmaschige Beherrschung der Lebenswelt der Arbeiter. Trotz allem blieb diese löchrig. Heute hingegen wagt man sich den entscheidenden Schritt weiter vor. Es geht nicht mehr „bloß“ um einen Eingriff in unsere Verhaltens- und Denkweisen, sondern in unsere Biologie. Die Privatsphäre ist nicht genug, es muss die Intimsphäre, es muss der Körper, ja das Körperinnerste sein.
Paternalismus manifestiert sich bekanntlich nicht nur in Verboten und Strafen, sondern in seiner perfideren Form auch im wohlmeinenden Angebot und in der zugewandten Fürsorge, die freundlich lenkend auf uns einwirken. Dass die beiden genannten US-Konzerne dies längst erkannt haben, verraten schon ihre Produkte, etwa die freiwillige Verhörsituation auf Facebook („Was machst du gerade?“) oder die Appleuhr, die noch etwas tiefer eindringt, nämlich in den Körper, der vom Handgelenk aus durchleuchtet, abgefragt und als Datenpaket weiterschickt wird, natürlich zugunsten der Selbstoptimierung ihres Trägers.
Einer Gesellschaft, die von der Idee besessen ist, auch das Intimste steuern zu können und zwar im Dienste eines karrierebewussten Selbstmanagements, mangelt es nicht allein an 8.000 Euro. Einer Gesellschaft, in der Geburt und die durch sie bedingten Einschnitte ins Berufsleben ein offenbar so fundamentales Problem darstellen, fehlen nicht bloß ein paar Jahre, um etwas aufzuschieben. Eine solche Gesellschaft krankt an etwas anderem: An dem fehlenden Respekt vor dem Eigensinn, sogar vor dem biologischen Eigensinn des Individuums zugunsten einer verinnerlichten Abrichtung auf die Berufskarriere. Dies kann man wohl als calvinistische Dekadenz bezeichnen.
Vermutlich wird keiner Mitarbeiterin gekündigt werden, die sich gegen das Einfrieren ihrer Eizellen entscheidet und sich somit dem Übergriff auf ihren Körper und auf ihr Altern widersetzt. Doch der soziale Druck auf sie erhöht sich durch ein solches Angebot fraglos. Es gibt kein stichhaltiges Argument mehr, jetzt und gerade jetzt schwanger zu werden. Ein solches, ja geradezu schlagendes Argument ist die sogenannte und mitunter auch verfluchte „biologische Uhr“ immer gewesen und somit etwas, um das uns Männer eigentlich beneiden könnten: eine der letzten akzeptierten Stoppfunktionen in unserer durchkarrierisierten Biografie.