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Über Idiotenschelte erhaben

 

Österreicher so blöd wie Düsseldorfer? Alles verlogen und mau? Unser Kolumnist reist durch das Land und muss seine Vorurteile überdenken. Der Grund: ein Klavierspieler!

Reise ins Österreichische. Zeit für eine erste Charakterkunde: Der Österreicher ist krachend verlogen. Die Österreicherin zieht mit schlackernden Backen Worte in die Länge, dehnt und zerknackt Silben, zerkocht sie in der Spuckesäure, sprotzt sie aus dem bemalten Mäulchen wie angedaute Aasstücke. Der Österreicher ist ein Überbleibsel, der Dritte-Reich-Rest. Im Geiste Hitlerist, im Fleische mau und Mus. Es wird ihn niemals überraschen, dass ihn ein Auswärtiger, den er nicht kennt, auf der Straße anhält und sagt: Sie gehen mir auf die Nerven, weil Sie so hohl sind, dass Sie mir auf die Nerven gehen.

Wie heißt Ihr Friseur? Ist er ein Schafscherer? Waren Sie wegen Ihrer Haltungsschäden schon beim Arzt? Wie sind Sie überhaupt angezogen, Himmelherrgott! Sie sind so blöde wie bei uns die Düsseldorfer. Die geben auch viel Geld aus, um furchtbar schlecht auszusehen. Was macht Ihr Mund, wenn Sie reden? Haben Sie eine halbseitige Gesichtslähmung?… Nein, er wird abwinken und weitergehen. Er kennt das: Deutsche, der Deutschgewordene aus dem Norden, sie kommen her, kaufen billige Zigaretten, die Knickkapselkippen, die Zigaretten mit der Mentholkapsel im Filter, und sie schütteln den Kopf über ihn, den Herrn des Landes, den Österreicher.

Faksimile des Faksimiles von Feridun Zaimoglu
Faksimile des Faksimiles von Feridun Zaimoglu

Ich komme nach Feldkirch, Städtchen, an der Grenze zu Liechtenstein, ich trinke ein Achtel Zweigelt, schreibe Femezeilen nieder, gehe in der Pause zum Rauchen hinaus, und da spricht mich ein mir unbekannter Österreicher an, er sagt: Ich kenne Sie, da war ein Fest vor sieben Jahren, und da haben wir uns unterhalten… Ich sage: Ich bin zum ersten Mal in Feldkirch! Er schüttelt den Kopf, er besteht darauf: Sie sind mir bekannt, Freund. Er saust an mir vorbei in den Esssaal, ich folge ihm, er setzt sich ans Klavier und spielt. Er spielt, dass mir Tränen in die Augen schießen. Er spielt: Mozart. Er spielt ohne das übliche Genie-Gezappel auf dem Hocker. Ich stehe im Dunkeln, ich denke: Ich bin, das ist ein weiteres Mal bewiesen, ein Idiot. Der Österreicher, verfemt und bekämpft, ist über die Idiotenschelte erhaben.

Nächster Tag. Vor dem Buchladen um die Ecke sechs Bücher auf dem Sonderramschtisch: je Seite ein Cent. Im Mohrenstüble trinke ich einen Aufgeschäumten. Am Katzenturm lungern übellaunige Gymnasiasten herum. Ein Mädchen wird von einer Biene gestochen. Großes Geschrei. Passanten eilen zu Hilfe, das Mädchen gibt Entwarnung: Doch keine Biene, aber Stechmücke, die sich am Ausschnitt festsaugen möchte. Plattgeklatscht. Passanten zerstreuen sich, ein Mann erkennt mich als den Schreiber, der im Theater lesen wird. Er erzählt: Es gibt in Feldkirch und um Feldkirch herum „Yes, you can“-WCs. Die Wirte der Gaststätten locken mit dem Werbespruch: Ja, Sie können hier kacken, gerne. Es gibt also auch in Feldkirch seltsamste Vögel.

Lesung später vor einsamen Kennern der Materie, Frau im langen Mantel, berockt und gestöckelt, mustert mich, küsst sich fest an ihrem Geliebten, zerrt ihn in die Nacht. Schön, denke ich, schön, dass ich eine solche Wirkung auf Frauen habe. Meinen Lohn bekomme ich bar auf die Hand, man bringt mich bis zum Hotel. Im Flur hängen silberne Hirschköpfe mit echtem Geweih an den Wänden. Ich sitze im Sessel und warte auf den Klavierspieler.