Offenbar herrscht noch der Glaube, Literatur von Frauen sei schlechter als von Männern. Und seit wann spielt das Herkunftsland eine Rolle? Eine Replik auf Feridun Zaimoglu
Von Olga Grjasnowa, Nino Haratischwili und Lena Gorelik
Ich sitze nicht in der Bahn. Weil sie streikt. Ich muss zum Flughafen, aber zum Glück dauert der Flug nicht allzu lang. Das bedeutet, dass ich euch meine bestimmt sehr „welthaltigen“ Reisestrapazen der aktuellen Lesetour, meine Wehleidigkeit und mein grippales Leiden ersparen kann. Ebenfalls berücksichtige ich die misogynen Neigungen des Kollegen Feridun Zaimoglu, der es leid sei, „Placebo-Romane“ lesen zu müssen. Warum sollte man sich gezwungen sehen, sie zu lesen, frage ich mich. Grund A: Man möchte doch mitreden können in diesem schrecklichen Betrieb, in dem heutzutage solch etwas Grässliches wie „Interkulturelle Literatur“ – also „Schmonzes und Schmonzette“, „Arschhaar-„, genannt „Damendrama“ – gedruckt und auch noch zur Literatur ausgerufen wird!
Oder Grund B: Man sitzt in den zahlreichen Preis- und Förderjurys des glorreichen Landes, das – oh weh! – diesen Schmarotzerinnen, Exotentanten, dummen Busenwundern, „gerade mal Ende 30“, die sich auf den Covern ganz hübsch machen, aber ansonsten nichts vorzuweisen haben außer ihren Herkunftsländern, – so viele Chancen und Sprungbretter liefert?
Aber warum sitzt man da und ist gezwungen, ihnen diese Chancen auf Silbertabletts zu servieren, wenn man solch eine Abneigung gegen diese Zunft hegt? Vielleicht könnte man ja endlich einmal Klartext sprechen und zwar auf gut Deutsch und einen Preis für männliche, tadellose integrierte Autoren ausrufen, die Deutschland loben und lieben, nicht mehr jammern, nichts kritisieren, einfach nur ihre Klappe halten, zufrieden sind, vor allem nicht mit ihren Herkunftsländern „angeben“ und das nicht auch noch als eine Bereicherung bezeichnen!
Was macht man, wenn man weniger Talent als Bushido hat und noch keinen Integrationsbambi auf der Nachttischkommode? Richtig, man geht ans Deutsche Literaturinstitut. Dort gibt es nämlich voll krasse Fächer, man lernt Poesiealbum, Sticker kleben, mit rosa Stiften schreiben und das große Einmaleins des „Wie schaffe ich es eigentlich meinen Verleger oral zu befriedigen – so richtig geil?“ Na ja, Lektoren sind schließlich immer Männer und immer gute Deutsche.
Als Frau kann man nämlich weder denken noch schreiben. Als Nicht-Muttersprachlerin schon gar nicht und da man einst den Fehler gemacht hat, Frauen überhaupt zum Studium zuzulassen, badet man es nun aus. Sie erdreisten sich zu schreiben! Hasenfibel! Schlimm, schlimm. Und überhaupt, wie sehen die aus? Königspudel und das schon mit Ende dreißig!
Der Grund für diese niveaulose, frauenfeindliche Tirade könnte so einfach sein, wie es seine Sätze auf gar keinen Fall sein dürfen, weil sie sonst zum Poesiealbum verkommen würden, weshalb man sie jederzeit mit pseudoliterarischen Formulierungen wie „sprachverarmte Muttersprachler“ und „Große Nacht des Schmerzes“ zur Literatur, zur deutschen gar, man denke nur: Benn, George, Bachmann, Kunst, Kolbe, usw. erheben kann.
Früher gab es nicht viele dieser Interkulturberseker in der deutschen Literaturlandschaft, möglicherweise sogar nur ihn, der mit der Kanak Sprak spielte, türkischstämmige Figuren erfand, sogar an der Deutschen Islamkonferenz teilnahm und insgesamt darin und damit brillierte, einer zu sein, der sich zwischen und in zwei Kulturen bewegt, deshalb Verständnis einfordern kann, und von seinen beiden Kulturen und Sprachen für seine Literatur schöpft. Ein Weltbürger sozusagen, aber diesen Begriff hat er ja soeben zum Affenwort erklärt.
Dies jedenfalls war das Verhalten, das er an den Tag legte, und von dem die „Damen mit Bernsteincolliers“, die gestern noch „beim Exilperser, der Kichererbsenpampe servierte“, saßen, „recht angetan“ waren, „sie glucksten und gackerten“, so einer, dieser Zaimoglu, dieser Literat mit türkischen Wurzeln, mit schwarzem Haar und Dreitagebart und diesem dunklen Teint, etwas exotisch, aber gleichzeitig dieses schöne, verschnörkelte, dezidiert ausgesprochene Deutsch!
Aber wer wird denn auf Äußerlichkeiten, auf Geschlecht, auf Herkunft zurückgreifen wollen, wo es doch um Literatur geht. Dann haben sich die Zeiten gewandelt: Die „Damen mit Bernsteincolliers“ sitzen angeblich nicht mehr beim Exilperser, und der einzige Literat mit fremdländischen Wurzeln ist man eben auch nicht mehr und deshalb auch nicht mehr der Exot. Und nun, da andere sich äußern und ihre Poesiealben zu veröffentlichen wagen, Placebo-Romane, Frauen zumal, geht man einen anderen Weg und ist eben der Literat mit den türkischen Wurzeln, der die deutsche Heimat liebt. Das dürfte möglicherweise auch dem Zeitgeist der „runzligen Damen“ entsprechen: Nun aber genug mit dem Deutschenhass.
Was ist bloß mit jemanden passiert, der einst Mitbegründer vom Kanak Attak war und ein Manifest unterschrieben hat, in dem es hieß: „Kanak Attak ist ein selbst gewählter Zusammenschluss verschiedener Leute über die Grenzen zugeschriebener, quasi mit in die Wiege gelegter ‚Identitäten‘ hinweg. Kanak Attak fragt nicht nach dem Pass oder nach der Herkunft, sondern wendet sich gegen die Frage nach dem Pass und der Herkunft.“ Das war doch erst 1988!
2014 agitiert Herr Zaimoglu vor allem mit Begriffen wie „fremdstämmig und weiblich“, „Perserpampe“, „Tantenprosa“, „abgefallenes Arschhaar, Damendrama, Unlust der Exoten, Gelalle deformierter Deppen“. Wahrscheinlich ist dies Herr Zaimoglus Vorstellung von der Liebe zur Deutschland. Er hält die Deutschen für so dumm, rassistisch und misogyn, dass er sogar Bushido bei der Integration überrundet.
Aber um Bushido soll es hier nicht gehen, weshalb ich direkt zu meinem Anliegen übergehe. Und dieses Anliegen lässt sich ohne einen besonderen sprachlichen Originalitätsdrang und ohne „Girlanden aus kodierten Worten“ formulieren. Recht einfach und ganz im Stil eines „jammernden Ausländers“:
Ich will in Zukunft keine Ratschläge mehr von vorbildlich integrierten und trotzdem mir ihre Herkunft stets ins Gesicht haltenden Kollegen hören müssen, wie und worüber ich als weibliche Autorin mit „exotischem Hintergrund“ zu schreiben, worüber ich zu jammern, wofür ich dankbar zu sein und was ich zu lieben habe. Ich will von überhaupt niemandem diese narzisstischen, selbstgefälligen, im eigenen Geltungsdrang Hirnonanie betreibenden Meinungen und Anregungen hören oder lesen.
Ich will vor allem 2014 nicht mehr erklären müssen, dass ein Mensch mit Brüsten nicht automatisch dumm ist und mit dem halben Literaturbetrieb ins Bett gehen muss, damit das Manuskript, genannt „Poesiealbum“ („unlektoriert“!) als Buch erscheinen darf. Ich will nicht erklären müssen, dass ein männlicher Autor nicht automatisch klüger, besser, ernstzunehmender ist. Ich will mir nicht erklären lassen müssen, was „Placebo-“ und was gute Literatur ist, ich will nicht aufgeklärt werden, was „Eingeweidebeschau“ sei von jemandem, der über den eigenen grippalen Infekt schreibt. Ich will nicht lesen, wie Frauen richtig zu sein, zu schreiben und zu leben haben. Und vor allem will ich nicht aufhören zu kritisieren, mich, meine Umgebung, und das Land, in dem ich lebe, denn sonst müsste ich ja wirklich anfangen, über Notdienstapotheken zu schreiben.
Von Olga Grjasnowa, Nino Haratischwili und Lena Gorelik.