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Und ewig grinst der Po

 

Der französische Fotograf Jean-Paul Goude zitiert sich selbst und macht das Internet verrückt: Gedanken zu Kim Kardashians Hintern

Das Reizvolle hier an Freitext ist, dass einem in unregelmäßigen Abständen Begriffe und Bilder zugeworfen werden. Manche lässt man fallen, manche fängt man auf.

Was macht jemand damit, wenn er etwas Aufgefangenes in Händen hält und es ihn anblickt? Was wir sehen, blickt uns an, heißt ein Aufsatz von Georges Didi-Huberman. Und so ist es auch mit dem Hintern von Kim Kardashian: Wir wollen uns seiner Omnipräsenz entziehen – aber ewig grinst er weiter aus den Magazinen.

Das aktuellste Foto von Kim Kardashians Hintern ist im amerikanischen Paper Magazine zu finden und von dort aus hat es sich über soziale Netzwerke millionenfach verbreitet. Es hängt auch die ganze Kim Kardashian mit dran an diesem Körperteil – aber es ist doch dieser Hintern, der zum Objekt des medialen Diskurses hochgestylt wird.

Nicht erst Kim, auch J-Lo protzte damit, in jüngster Popgegenwart Miley Cyrus, Nicki Minaj und diese ganze fröhliche Tanzgruppe, die sich nun wieder zum Twerking zusammengefunden hat.

Das Twerking ist dabei nicht ganz so neu, man sieht es in Hip-Hop-Videos seit den neunziger Jahren, und angeblich kommen seine Bewegungen aus einer Form des afrikanischen Tanzes, bei der man dem Publikum den Rücken zuwendet, sich vornüberbeugt und den Booty shaket.

Geht man in der Suche nach Bildanalogien weiter zurück, könnte einem auch der närrische Moriskentanz im Karneval des Mittelalters einfallen mit seinen exaltierten Körperverdrehungen – aber auch die noch praktizierten Tänze des brasilianischen Karnevals.

Auch beim Renaissance-Maler Hieronymus Bosch gibt es eine Unzahl ausgestellter Hintern – Mooning dürfte man das heute nennen –: so vielgestaltig, einfallsreich und lustig, dass eine Stichwortsuche im Internet den Aufwand visuell lohnt.

Und das Metropolitan Museum twitterte jüngst als Reaktion auf Kim Kardashian das Foto einer 6.000 Jahre alten Keramikstatue aus dem Endneolithikum: „Steatopygous female figure„.

Die anatomischen Zeichnungen und Karikaturen wiederum, die die Südafrikanerin Sarah Baartman zeigen, die Anfang des 19. Jahrhunderts in London und Paris unter dem Namen Hottentot Venus vorgeführt worden ist, sprechen formal exakt dieselbe Sprache wie Kim Kardashians aktuelles Cover.

Die gleiche Körperhaltung – seitlich posierend, den Hintern hochgereckt, den Rücken zum Hohlkreuz geformt – findet man auch in den Aufnahmen der Tänzerin Josephine Baker aus den zwanziger und dreißiger Jahren, die als Schwarze Venus im Bananenröckchen diese als exotisch und wild geltenden Attitüden und Tanzbewegungen in ihren Revuen bewusst eingesetzt hat.

In Kim Kardashians Nachstellung dieser Bildvorlagen mischen sich weitere Elemente und Codes: Auch an den Look und die Mimik der amerikanischen Pin-ups der fünfziger Jahre erinnert das. Die schwarzen Handschuhe, die Hochsteckfrisur und der Perlenschmuck gehören zu einer Bildikone der sechziger Jahre: Audrey Hepburn als New Yorker Bohème-Girl in Breakfast at Tiffany’s.

Das hautenge, gelackt-glänzende, überlange Kleid ist dabei eines, das der Zeichentrickfigur Jessica Rabbit zur Ehre gereichte. „Ich bin nicht schlecht – ich bin nur so gezeichnet“, soll die einmal gesagt haben. Ich bin nicht schlecht, ich bin nur so gephotoshopt, könnte Kim uns sagen wollen.

Der französische Fotograf Jean-Paul Goude hat diese Leistung fürs Paper Magazine erbracht. Er hat mit seiner Kamera auf Kim Kardashian geschossen und danach hat er sie im Photoshop gestreckt, gepolstert und gebogen. Jean-Paul Goude arbeitet mit der Technik der Bildmontage seit den sechziger Jahren und er hat Bilder von Frauen schon auseinandergeschnitten und zusammengefriemelt, als es Photoshop noch nicht gab: Die Bildbearbeitung gibt es wohl, seit es Bilder gibt – und in ihr gelten andere biologisch-physikalische Gesetzmäßigkeiten als in der Wirklichkeit.

Ein Körper, glatt-glänzend von Baby-Öl, die Taille verkleinert, Busen und Hintern aufgepumpt. Die aktuell kursierenden Bilder des weiblichen Gesäßes könnten ihre Präsenz mehreren, sehr diversen Einflüssen zu verdanken haben: dem Bilderverbot des amerikanischen Puritanismus (von „Abwehr, Duldungsstarre und schließlich explodierender Erregung“ spricht diesbezüglich Adam Soboczynski in der ZEIT Nr. 30/2012), der den Hintern, im Vergleich zu den primären Geschlechtsmerkmalen, weniger rigoros der Zensur unterwirft; dem Formelvorrat einer bestimmten pornografischen Ästhetik der grotesken Überbetonung; der Kultur des Bodybuildings und Elementen des Tanzes; zudem wohl auch einem neuen Selbstbewusstsein der Hispanics und Afro-Americans, das wiederum als Pose vom Mainstream übernommen wird.

Was gibt es noch in diesem Bild von Kim Kardashian? In ihren Händen die überschäumende Flasche Champagner, deren alkoholisches Ejakulat in einer Art von Triumphbogen über Kims Kopf hinweg ins Glas spritzt, das sie auf ihrem Hintern balanciert. Das heißt: Sie muss die Flasche partytauglich geschüttelt haben, sie muss sie geöffnet haben, sie schenkt ins Glas ein, das auf ihr präsentiert wird wie auf einem Beistelltischchen. Trinkt sie es selbst? Oder wer trinkt dieses Glas danach?

Im Jahr 1976, als Goude beim Esquire als Art Director arbeitete und mit Grace Jones liiert war, schoss er auch ein Foto einer unbekannten Dame namens Carolina Beaumont. Sie posiert seitlich zur Kamera, der Champagner in ihren Händen sprudelt, das Glas, das sie auf ihrem Hintern trägt, wird davon gefüllt. Dasselbe Bild wie 2014 mit Kim Kardashian, nur damals splitterfasernackt.

Grace Jones’ zur Popikone gewordenes Albumcover zu Island Life aus dem Jahr 1985, auch das ein Bild aus den Händen Jean-Paul Goudes, zeigt sie als Figurine aus Ebenholz: in einer unmöglichen Pose, die jedoch die Illusion von Machbarkeit durch Akrobatik, Aerobic und Extrem-Yoga suggeriert. Eine weitere, teils vergleichbare Inszenierung desselben Fotografen findet sich bei Naomi Campbell mit Marc Jacobs für Harper’s Bazaar im Jahr 2007.

Es gibt eine Ästhetik der körperlichen Exaltiertheit, die Jean-Paul Goude über die Jahrzehnte seiner Karriere immer wieder als Pose zitiert und hervorholt. Er bastelt an der Imagination der Femme sauvage – dabei kontrastiert von ihrem Eingesperrtsein im Käfig oder von den Zurichtungen durch Kleidung und Make-up. Die konstruktivistisch-geometrisierten Körper in Oskar Schlemmers Bauhaus-Ballett der zwanziger Jahre werden hier ebenso verarbeitet wie die zerschnittenen, neu verklebten Körper der Dada-Collagen aus etwa derselben Zeit.

In den Achtzigern, als Images, wie die von Goude geschaffenen, die Popwelt prägten und sich die Hochglanzmagazine auf ihrem auflagenstärksten Höhepunkt befanden, lässt sich immer wieder ein Bezug auf die Bildwelt der technikbegeisterten zwanziger Jahre feststellen: als Hommage – ironisch, spielerisch, materialistisch.

Dass sich im Jahr 2014 Goude in seiner aktuellen Arbeit wiederum auf die Siebziger und Achtziger bezieht, auf dieses Zitat des Zitats, hat den Reiz des Spielerischen verloren. Es ist vielmehr anzunehmen, dass die aktuellen Bilder von ihm und anderen seiner Kollegen eine Nostalgie bebildern: die Sehnsucht nach einer Zeit, als Print noch unbestritten als das Medium der Erneuerung und Vervielfältigung gegolten hat. „Break the internet“ steht daher nur konsequent als Header am Titel des aktuellen Paper Magazines mit Kim K. als Covergirl.

Das Paper lieferte in seiner 30-jährigen Geschichte übrigens auch schon tauglichere Visagen: La Roux, Sarah Silverman oder Beth Ditto blickten uns an. Wem auch das nicht passt, der greift konsequenterweise gleich zu Maurizio Cattelans Toilet Paper Magazine.

Die Verlinkungen im Text stammen von der Redaktion.