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Männer, seid weich!

 

Das Ideal der modernen Frau scheint festzustehen, aber was ist mit dem Mann? Was darf er und was soll er? Über Rollenverunsicherung in Zeiten der Quote

Und jetzt auch noch die Quote! 30 Prozent Frauen bei Neubesetzung in Aufsichtsräten, das bedeutet, entspannen Sie sich, immer noch eine mögliche, dann aber auch satte Zweidrittelmehrheit für die Männer. Irgendwann in ferner Zukunft, wenn alle Posten neu besetzt sind, vorher sieht es ohnehin noch männlicher aus.

Allerdings: Das sind die Aufsichtsräte, und wer sitzt da schon? Der normale Mann nicht und nicht die normale Frau. Ist in der Realität von den zwei Dritteln noch viel zu spüren? Zwickt es nicht längst überall? Und wenn es nicht gerade zwickt, ist es dann besser? Welcher Mann weiß denn noch, was er wollen soll und darf? Wo gehört er hin und wie ist seine Rolle, die des heutigen Mannes?

Es gibt H., der sich nicht mehr traut, einer Frau zu sagen, dass er sie vermisst, weil er bislang darauf nur zu hören bekam, er sei sentimental und kitschig. Da ist W., der sich immer noch erschrickt, wenn über ihn als Mann gesprochen wird, nicht als Junge. Da gibt es J., der noch so ähnlich tickt wie mein Großvater und stets Überblick und Kontrolle haben muss, denn daraus speist sich sein Selbstverständnis. Es gibt P., dem kürzlich eine Freundin vorwarf, ein Sexist zu sein, weil er einen anzüglichen Witz machte, was er mir einigermaßen betroffen erzählte. Und es gibt einen zweiten H., ausgeglichen, stets gut gelaunt, der einfach nur am Hadern ist, ob er wirklich so fest im Leben steht, wie er meint – oder ob seine Kollegin sich nicht doch viel souveräner behauptet.

„Wenn ein Mann mir sagt, was ich tun soll, finde ich das sexy“, zitierte das Genderdiskurs-Magazin Bunte jüngst Rihanna. Bringt das Popsternchen und Gleichstellungsidol hier womöglich ein aktuelles Dilemma auf den Punkt? Emanzipation am Arbeitsplatz, Rollback im Bett (womit keine Sexstellung gemeint ist)? Will die Frau von heute endlich wieder jemanden an ihrer Seite, der ihr sagt, wo’s langgeht, und niemanden mehr, dem sie es sagen muss?

In die Röhre sähen dann all jene Männer, die der Dominanz abgeschworen haben, zum Frauenversteher wurden und beim Sex einmal zu oft fragen: „Gefällt Dir das so?“ Dabei waren vermutlich genau sie und ihre Vorgänger es, die mithalfen, dass Frauen sich Spielraum erstreiten konnten, während die autoritären Platzhirsche nie und nimmer auf ihren Professorenstühlen, Ministerposten oder in den Wirtschaftsverbänden beiseite gerückt wären, ebenso wenig wie auf den Busfahrersitzen, in der Autowerkstatt oder bei der Bundeswehr. Bei den Männersachen halt.

Zwar mag Rihanna weder für alle sprechen noch die Speerspitze der Geschlechteravantgarde sein, aber es lässt sich (mit gutem Willen, zugegeben) doch etwas Allgemeingültigeres in ihrer Aussage finden. Männern gelingt es mitunter nach wie vor, beim Gegenüber Unsicherheit, Hilflosigkeit und Abhängigkeit mit sexueller Attraktivität zu assoziieren. Derlei glückt Frauen noch immer nicht so recht. Das hat durchaus etwas für sich, schließlich wünschen wir einem Menschen, dem wir zugeneigt sind, im besten Fall Eigenständigkeit und keine Unmündigkeit. Doch liegt hierin auch eine verwirrende Regieanweisung: „Seid weich“, wird von den Männern gefordert, „zeigt Gefühle, seid verletzlich. Aber sobald ihr Euch zu schwach gebt, suchen wir uns doch lieber einen anderen.“ Dirndl-Fantasien wiederum dürfen sie auch nicht haben oder gar aufdringliches Gebaren an den Tag legen. Lustmolch oder Lusche. Gibt es auch noch was dazwischen? Werden Männer denn für gar nichts mehr geliebt?

Ralf Bönt, Autor des Buches Das entehrte Geschlecht, wird nicht müde zu beklagen, dass die Männer die Leidtragenden all der emanzipatorischen Veränderungen der letzten Dekaden sind. Den stichfesten Kern seines jüngsten, in der Welt erschienen Artikels verhüllt er leider durch den nicht nur unglücklich, sondern schlicht falsch gewählten Untertitel: „Männer, die Verlierer des Patriarchats“. Was er beschreibt und beklagt, ist hingegen das Matriarchat, also eine Gesellschaft, in der das Kind rechtlich zur Mutter gestellt wird, wie es in Deutschland der Fall ist.

Im Patriarchat wäre es genau andersherum, und ein Mittelweg wohl, wie so oft, die Lösung, die sich allerdings nicht allein per Gesetzerlass durchsetzen lässt, sondern nur in Verbindung mit gesellschaftlicher Akzeptanz. Es ist schließlich auch wahr, dass Männern, die mit Anfang oder Mitte dreißig im Beruf pausieren, um sich um ihre Kinder zu kümmern, noch weniger Verständnis entgegengebracht wird als Frauen, die eine solche Entscheidung fällen, obwohl es rechtlich keine Unterschiede gibt. Bönt bemängelt ferner, dass es kaum Erzieher gibt, also zu wenige männliche Vorbilder in fürsorglichen Rollen. Frauensachen halt. Die weiblichen Platzhirsche geben ihr Terrain womöglich auch nicht so ohne Weiteres auf, wiewohl es im Kindergarten nicht allein die Frauen sein dürften, die dem anderen Geschlecht den Zugang verwehren, auch die Männer blockieren da eifrig mit. Denn wenn schon mal einer von ihnen Interesse hat, im mäßig bezahlten Kinderchaos zu arbeiten, dann ist es auch gleich etwas peinlich: „Wie, Du willst Erzieher werden?“

Zum Ausgleich gibt es ja die finanzielle Fürsorge. Bei der Frage, wer wen mitfinanziert, rechnen Frauen eher mit einer 50-50 Quote oder allenfalls für anderthalb (es könnte ja noch Nachwuchs kommen), womit sie sich schon recht gleichberechtigt fühlen, während die meisten Männer, die ich kenne, „im Zweifelsfall für zwei“ denken, ob sie das nun reell überhaupt erwirtschaften können oder nicht. Dies mag weder bei den Frauen für Egoismus sprechen noch bei den Männern für Selbstüberschätzung. Es ist nichts anderes als ein angelernter Rechenvorgang, der dazu führt, dass Männer nach wie vor andere Gehaltsvorstellungen haben, wodurch sie entweder schneller mehr verdienen oder schneller frustriert sind. Und natürlich hat es mit Aufwertung der eigenen Person zu tun. Ist es für Männer noch ein Zeichen von Stärke und Erfolg, die sich dann in eigene Attraktivität umdeuten lässt, so gelingt eine solche Übersetzungsleistung den meisten Frauen nicht. Sie fühlen sich durch das Mitfinanzieren nicht als Frau attraktiver, vielmehr ist der Mann an ihrer Seite eigentlich ein Versager, ergo unattraktiv, ergo sind wahrscheinlich auch sie unattraktiv, weil sie nur so einen abbekommen haben.

Wie soll, wie darf er denn nun sein, der Mann von heute? Vielleicht einfach so wie H., W., J., P. und der andere H.? Ein Mensch ist schließlich kein Skip-Baukasten, und Geschlechterrollen probieren wir nicht an wie die Kostüme aus dem Theaterfundus.

Aber wir probieren immerhin – und ob ich mit Bönt nun einig werde oder nicht, so kann ich mit ihm zumindest diskutieren, was mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan kaum klappen wird, der kürzlich noch einmal klarstellen musste, dass eine vollständige Gleichstellung der Geschlechter „gegen die Natur“ sei. Das finde ich, um mit Rihanna zu sprechen, nicht so sexy.