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Den Feind aufhalten im Pufferstaat

 

Dieser Tage begegnet unser Kolumnist überall nationalen Fratzen. Lob aufs Militär hier, nieder mit dem Iwan oder Moslem da. Seiner Wut macht er mit einem Fax Luft.

Jahresendfieber, große Erwartungen, es passiert nichts. Freunde im Osten, in Berlin, in Itzehoe, in Ingolstadt, in den Grenzgebieten, sie machen Meldung: Wir sind gegürtet und gerüstet, es soll endlich enden oder beginnen, wir haben die Schnauze voll, wir warten. Warme Stube. Krieg der Imperien, Krieg im Moslemland, wir aber sitzen in der warmen Stube. Kein Tod, kein Verderben, überall erbärmliche Zivilisten.

Was machst Du? Ich warte nicht, sage ich, ich bin gereist, hab gelesen und geschrieben, keine Lust mehr auf Bahnhöfe, können mich alle mal … Blättere in der Zeitung, der Mob marschiert gegen Moslems, gegen solche wie mich. Memmen machen Krawall. Fackelzug der Bürger, die dem Wirt aufn Tisch kacken wollen. Gestern Stadionschläger oder Nazi, heute Wutbürger. Gehe herum, sehe kleine gärende Milieus, ein Mann mit einem Gesicht wie blanker Arsch, er hat sich die Fresse rot gesoffen, er brüllt, Kollegen brüllen mit.

Faksimile des Faksimiles von Feridun Zaimoglu
Faksimile des Faksimiles von Feridun Zaimoglu

In der Stadtmitte vertreiben sich die Kerle die Zeit mit Saufen und Poltern. Sie warten. Licht überall, dunkle Nächte sind erhellt, was wollen die Leut? Am Kieler Ostufer werden amerikanische Panzer in Wüstentarnfarben auf Fähren verladen, es geht Richtung Litauen. Schaulustige, alte und junge Deppen, machen das Siegeszeichen. Das wollen die Leut: Schluss mit Ruhe, Soldat spielen, Teil der Mörderbrut vor flatternden Fahnenfetzen werden. Hart durchgreifen, sagt der Rohrverleger vom Haus am Ende der Straße, die tanzen uns auf der Nase. Wer? Die Russen. Hat er einen gesichtet? Gott behüte, dann wär’s zu spät. Feind aufhalten im Pufferstaat, bevor der Iwan oder der Moslem uns den Tag versaut. Ich schau auf seine Wampe und Wachtelbeine. Fünf Minuten an der Front, und er wär‘ eine rauchende zerschossene Leiche.

Oberfeldprediger Gauck hält pfäffische Reden vom Einsatz im Rest der Welt. Man muss schon dämlich genug sein, und schon wird man zum Deppenliebchen. Beflaumte Gymnasiasten erzählen mir, dass der Präsident recht hat. Sie kiffen, sie ficken, sie machen im Keller Musik, es reicht nicht. Ich sage: Euer Problem, heult doch. Sie wollen nicht zur Armee, bringt wenig Geld und wenig Ruhm ein. Röhrende kleine Patrioten, sie träumen von schwärenden Pocken statt Pickeln in der Jünglingsfresse. Mädchen im Café, so dumm, dass die Kessel pfeifen, es sagt zur Freundin, einer trüben Tasse: Männer in Uniform, das geilt mich auf. Ab ins Sado-Maso-Studio, denke ich, da kannst du winselnd am Boden liegen und am Knobelbecher lutschen. Das öde Mädchen und die trübe Tasse, sie schwatzen sich in heitere Stimmung, ihre Strumpfhosen knistern, ihre Wangen glühen. Käme jetzt Gefreiter Arsch hinein, würden sie ihn ankreischen.

Im Abenddämmer verglüht mein Zorn, es treibt mich ans Meer. Burschenschafter mit Muttersöhnchenschärpe eilen zum Saufnachttreffen. Nationale Fratzen. Kehre ihnen den Rücken zu und blähe laut in den Wind. Schon besser. Kumpel Karl, baumlanger Friese, feiert Geburtstag, halbe Stunde Fußmarsch, dann sitz‘ ich bei ihm auf dem Sofa. Mittvierziger und Vollfünfziger, alles Kerle, Karls Charme kommt bei Frauen nicht an. Er legt das Feuerzeug an den Flaschenhals, drückt, Kronkorken fliegt mir ins Gesicht. Man schwatzt über dies und das: Räudiger Sohn hat keine Arbeit, Ex-Frau säuft jeden Tag ab Einbruch der Dunkelheit Aldi-Sekt, Freund der Tochter tritt aus der Kirche aus. Vatersorgen, Alltagsgeschichten, tausendmal gehört. Die anderen stimmen ein: Rücken kaputt, tobende Freundin, Hund wurde geimpft, Auto muss zur Werkstatt, hohe Heizkosten, Chef ist scheiße.

Später auf dem Nachhauseweg, ich springe einer irren Joggerin aus dem Weg, die Kälte dringt in die Knochen, ich verstehe: Der Zivilist wählt gern den Mittelweg. Träumt von der Heldentat. Will nach dem Gemetzel auf schlammigem Hügel die Fahne hissen. Auch wenn ihn danach der Scharfschütze abknallt. Das Vaterland wird’s ihm danken.