Hektik beim Hausmeister: Einbrecher! Sind die etwa gerade an der Balkonbrüstung erforen? Unser Kolumnist telefoniert mit seiner Mutter in Ankara, lacht sich halbtot, schickt uns aber doch noch ein Fax.
Hasan, der Hausmeister, klingelt an der Tür der Wohnung meiner Eltern in Ankara. Er hört das Knurren des Hundes, der ihm knapp über den Fußknöchel reicht. Vater schiebt die Riegel aus massivem Eisen zurück, schließt ihm auf, Schatten bellt und schnappt, er will Hasans Schnürbänder zerreißen. Hasan macht einen Schritt nach hinten und sagt: Zwei Kinder in roten Mänteln brechen gerade bei Ihnen ein.
Vater leint Schatten an, er folgt dem Hausmeister, von dem es heißt, er zeige zwei Fingerbreit Arschritze, um den Damen zu gefallen. Sie stehen im Vorgarten und schauen hoch, sie schweigen, bis Hasan sagt: Sie rühren sich nicht. Wahrscheinlich sind sie erfroren. Dann wären sie heruntergefallen, sagt Vater. Mutter tritt auf den Balkon und will wissen, wieso die Männer sie anstarren.
Die Männer zeigen auf die erstarrten Kinder an der Balkonbrüstung. Mutter geht kopfschüttelnd hinein. Hasan will die Polizei anrufen, Vater bittet ihn, für die Weile einer kurzen Unterhaltung mit seiner Frau damit zu warten. Er lässt Schatten sein Abendhäufchen machen, steigt die Treppen hoch, schließt die Tür, schiebt die Riegel vor, stiehlt sich leise ins Wohnzimmer und lacht sich halbtot.
Mutter hat zwei kletternde Nikoläuse am Balkon befestigt. Vater treibt seine Späße mit Hasan, dem er verübelt, dass er den Gürtel nicht enger schnallt. Sie ruft mich an und erzählt, dass sich Vater in eben diesem Augenblick nach langem Lachanfall die Tränen aus den Augen wischt. Der arme Hasan habe den Scherz nicht gut aufgenommen, er fühle sich zu Recht veräppelt.
Er hat seinen Cousin alarmiert, der Cousin, ein Wachmann im Gewerbegebiet, hat ihm davon abgeraten, das Regenrohr hoch zu klettern. Hasan glaubte, in diesen Worten eine Anspielung auf seinen Paukenbauch zu entdecken. Sie brüllten und zerstritten sich. Der Hausmeister liefert das Brot fünf Minuten später als gewohnt, es sei ein Zeichen seiner Mißstimmung.
Mutter ruft mich zur Ordnung, weil ich mich halbtot lache. Ich frage nach Neuigkeiten. Die Mittfünfziger-Frauen lassen sich Botox in die Wangenknochen spritzen. Eine Freundin behauptet, eine Biene hätte sie gestochen. Bienen im Winter? Reste vom Sommer, Klimawandel, es schneit hier, und die Damen reden von Bienen. Sie lernen von den Herren an der Macht.
Wer nicht lügt und schwindelt, wird hier verlacht. Die Herrscher setzen auf den Ruhm der alten Tage, da das Osmanenreich über viele Völker gebot. In den Ruinen von heute huschen die Geister von gestern. Der Volkswille erwacht. Mutter sprach mit dem Krämer, mit dem Metzger, mit dem Feuerzeughausierer, mit der Nylonstrumpfhökerin. Was sagen sie? Krämer: Schnee von gestern, ist geschmolzen. Metzger: Ich verkauf’ Fleisch, sie verkaufen parfümierte Luft. Höker und Hökerin: Feuerzeug und Nylonstrümpfe gab’s nicht bei den Osmanen… Die Kinder spielen Janitscharen im heiligen Krieg. Große Worte pumpen kleine Deppen auf. Zwei wildfremde Halbstarke standen im Vorgarten, sie waren erzürnt über Nikoläuse. Sie waren erzürnt über meine Mutter auf dem Balkon, die sie mit folgenden Worten fortscheuchte: Wascht eure Haare, sie sind fettig, ihr seht wie Banditen aus!
Sie fragt: Was gibt es bei dir zu berichten? Ich sage: Heute Schneeregen. Ich mach’ das Licht an nachmittags um halb vier. Die R-Taste der Schreibmaschine funktioniert nicht, ich muss mit der Hand nachbessern. Sie fragt: Wie viel kostet Butter in Deutschland?…Mutter, ich weiß es nicht, ich esse keine Butter…Wie viel kostet Margarine?…Eins zwölf…Das hast du dir jetzt ausgedacht…Ja, hab ich…Man beschwindelt nicht seine eigene Mutter, schäm dich…Ich schäme mich…Wer nicht um die Lebensmittelpreise weiß, entfremdet sich dem Volk. Wer sich dem Volk entfremdet, fällt tief…Wir sprechen, sie legt auf. Ich stecke mein Notizheft ein, schlüpfe in den Mantel, laufe im Schneeregen zum Supermarkt. Harte Recherche: Was kostet Mehl, Milch, Brühwürfel, Essig und Kohl?