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Mit dem Rücken zur Kunst

 

Unser Kolumnist geht in ein Museum und verspürt Übelkeit: Baselitz, Beuys – soll das Kunst sein und wenn ja, wer hat das Recht, sowas zu behaupten?

Ich ging ins Museum und beschaute die Bilder der Ausstellung. Es hingen an den Wänden nicht die Leichen der Avantgardisten, es hingen die großen Schinken von Baselitz, von dem es heißt, er sei ein großer deutscher Maler.

Jedes Mal, wenn ich vor einer Leinwand stehen blieb, wurde mir schlecht. Ich sah: kopfüber aufgeknüpfte Luftsäcke, Dreiviertelporträts, gesudelt und bespritzt, aus der Tube gefurzte Ölfarben, dick und doof aufgespachtelt. Titel: Ohne Titel. Noch nie habe ich so viele Frauen, Männer und Kinder gesehen, die den Kopf zur Seite neigten.

Faksimile des Faksimiles von Feridun Zaimoglu
Faksimile des Faksimiles von Feridun Zaimoglu

Eine Kuratorin mit Kokolores-Brustbehang sprach auf ein junges Mädchen ein. Ihre zur Avantgardeandacht verdonnerte Tochter? Wahrscheinlich wurde es beschimpft, weil es gesagt hatte: Das da ist Schwindel. Das da ist das von Kritikern hoch geschwätzte Dingsbums. Ich kann alle meine Finger in regennasse Erde stecken, Schlieren und Schleifen auf Nessel schmieren, bei einem Happening für zehn Knaller mit Hut, ich kann die Bilder vor ihren Augen mit angedicktem Kirschsaft durch meine Zahnlücke bespucken, ich kann das Werk betiteln mit Weibes Weltschmerz. Sie werden ein Lobgejodel auf mich anstimmen…

Ich zog weiter in den nächsten Saal, wieder hing nicht eine einzige Avantgardistenleiche, ich schaute auf drei Bilder im Angeberformat, pechschwarz übermalte Krustenlandschaft, der Meister macht’s nicht unter fünf mal vierneunzig, dachte ich, Museen haben große Wände und hohe Decken.

Es folgte mir eine Dame im Kostüm, eine Wärterin, ich versuchte, einen Kopfstand zu machen, es misslang mir, ich donnerte auf die Flanke, sie musste wider Willen kichern. Ich setzte mich hin, mit dem Rücken zu der Kunst, die mehr sein wollte, als sie war, vorgestern modisch, heute hässliche Tapete, und ich dachte nach über die simulierte Verrücktheit der mürben Wilden, der bekloppten Amateure: Der Kritiker, ein Theoriekatapult, stürzte sich auf das neue Gemüse und befand es als genießbar. Zehn Knaller mit Hut warfen die Hüte in die Luft und standen ohne Hut da: die Liebhaber der schwierigen Kunst. Auch hier, auch jetzt, glotzten sie auf die verweste Avantgarde, doch das Dingsbums entzückte sie nicht, das Dingsbums war bloßer Wandbehang, die Hüte blieben auf den Glatzen, auf Perücken, auf frisiertem Haar.

Blender, Meister des Krempels, ein anderer großer deutscher Künstler: Beuys. Schwätzte sich heiser, raunte anthroposophischen Mist, schrieb Zeichen der Debilität auf die Kreidetafel. Fett und Filz, die Ökospießer waren angetan, das Feuilleton bebte. Man misstraue jedem Fremdwort. Man missachte die Priester der Deutung. In der Kunst, da jeder Sepp sein Süppchen kochte, hofierte man die Bilderstürmer. Sie aber wollten nur anderer Leute Bilder abhängen und ihre Schinken aufhängen, in Galerien und Museen.

Ich grübelte im Stehen, rutschte aus, die Wärterin hielt mich fest. Ich fragte: Verehrte Dame, was halten Sie von dem ganzen Quatsch? Sind Sie entrückt, weil Sie im Glanze dieser Bildnisse stehen dürfen? Fehlen Ihnen die Worte? Kommen Sie fast um vor Lebenslust? …

Sie aber neigte den Kopf, und ich verstand: Der tiefere Sinn bliebe mir für immerdar verschlossen. Ich hasste Popart und anderes amerikanische Blech, ich hasste Videokunst, ich hasste das harmlose Zeugs der Absolventen der Akademie. Ich liebte die giftigen Bilder von Daniel Richter.

Ich lief im geduckten Galopp zum Eingang, hielt inne, rieb mir die Augen. Ich war blind gewesen, ich sah hin und entdeckte: Sie hingen an reißfesten Schnüren, die zappelnden Avantgardisten. Wie wird das Kind belohnt, das sagt: Der König ist nackt? Es bekommt eine Maulschelle. Ich legte unter den Augen der Knaller mit Hut alle Kleider ab und wartete auf ein Kind, das auf mich zeigen würde, auf den Knaller ohne Hut.