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Stehpinkler und andere Hackfressen

 

Alle drehen durch. Die Kellnerin hat Angst vor ihrem kurdischen Freund, der Kumpel dichtet Blödsinn über Muselmanen. Unserem Kolumnisten bleibt vor Schreck fast der Pfannkuchen im Hals stecken.

Siggi hat beim dritten Buch in Folge ein weinrotes Lesebändchen entdeckt. Er sagt: Ist weinrot billig? Gibt es hundert davon für ’n halben Euro? Und wo wir dabei sind, bist du ’n Moslem? … Bin ich … Aha! Wusste ich’s es doch … Wieso? Siggi sagt, man würde es mir ansehen, ich hätte eine Hackfresse wie ein Hamsterfresser. Ich lasse ihn stehen und mache meinen üblichen Gewaltmarsch ans Meer. Die Sturmwinde hatten das Wasser aus der Bucht herausgeweht, jetzt schwappt es wieder unterm Steg. Plötzlich steht Manni neben mir, reiner Zufall, er ging am Ufer spazieren und dachte nach. Worüber? Er hat kommende Woche einen Beschneidungstermin, und wegen der Ereignisse weiß er nicht so recht.

Faksimile des Faksimiles von Feridun Zaimoglu
Faksimile des Faksimiles von Feridun Zaimoglu

Der Beschneider, die Schwestern, die Pfleger, sie hielten ihn doch für einen verkappten Muselmanen. Ich zeige auf den Kreuzanhänger an der Halskette. Na und, ruft er, die denken, ich verstelle mich. Hör zu, ich hab ein Gedicht geschrieben. Der Muselman im üblen Wahn/hat einen am Kahn/Er beißt einen lebenden Hahn/und verliert den Backenzahn. Gefällt dir das? … Nö, sage ich, ist öde … Du bist beleidigt, los, gib es zu! … Ich wünsche ihm einen guten Tag, er gackert und macht ein körnerpickendes Hähnchen nach. Im Café bestelle ich Pfannkuchen ohne Deko und Kaffee ohne Milch.

Die Kellnerin stellt den Teller und die Tasse auf den Tisch, rückt einen Stuhl in meine Nähe, setzt sich hin, umschließt den linken Daumen. Gut, denke ich, ihr Daumen friert, sie wärmt ihn in der geballten Faust. Und weil sie einen leichten Schaden hat, muss sie immer, wenn sie ihren Daumen wärmt, einen fremden Mann anstarren. Nach vier Schlucken und einem Bissen frage ich sie, ob ihr Daumen es mollig warm hat. Sie beugt sich vor, sie flüstert: Mein Freund, er ist Kurde. Er sagt, er ist deutsch, aber das ist gemogelt. Jedenfalls, die Sache, die neulich passiert ist, na ja, das hat mich schon aufgewühlt. Ich bin zum Grab meiner Oma gegangen, es hat furchtbar gestürmt, ich bin fast umgefallen, ich hielt mich am Grabstein fest, und ich fand mich schon tapfer, wie auch immer, ich kenn’ Sie, weil ne Freundin von mir mal auf der Straße auf Sie gezeigt und gesagt hat: Der macht in Büchern, der hat ’nen komischen Namen, also mein Freund, das ist einer von denen, die da die Leute weggeballert haben … Wie jetzt? … Ich mein, der ist Moslem. Ich mein, der hat mich zwar umarmt, wo ich geheult hab, aber ich weiß ja nicht, was glauben Sie, was der jetzt vorhat? … Ein Gast ruft nach der Rechnung, sie zieht das Däumchen aus der Faust, ich esse den Pfannkuchen auf. Armer Kurde. Da tröstet er sein Mädchen, und weil das Mädchen aber nicht die hellste Kerze auf der Torte ist, grübelt es nachts im Bett über den schlafenden Freund: Täuscht er den Schlaf nur vor, und wird er mich, wenn ich einschlafe, würgen?

Draußen springt Manni hinter der Säule hervor, mir bleibt vor Schreck fast das Herz stehen, die Tartarenmütze fällt mir vom Kopf in die Pfütze. Manni hat, wie er verrät, eine geschlagene Stunde hinter der Säule ausgeharrt. Die Passanten haben ihn für einen öffentlichen Stehpinkler gehalten und gedroht, die Polizei zu rufen. Manni aber blieb standhaft und feilte an einer Strophe. Er trägt vor: Der fiese Moslem-Kalmücke/trägt ’ne Puderperücke/Schleicht mit Tigertücke/sich an ne süße Mücke. Und? … Du musst noch üben. … Jetzt hab ich dich, gib es zu! … Ich laufe über Seitengassen nach Hause, blicke immer wieder über die Schulter, und als ich einen Schatten zwischen den geparkten Autos entdecke, brülle ich den Schatten an. Die alte Dame des Viertels zuckt zusammen, sieht mich, und bekreuzigt sich. Sie sagt: Jetzt greifen die Moslems an, Heiland hilf. Für heute nehme ich mir fest vor, im Koran zu lesen.