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Die Regeln der Rebellion

 

Unser Kolumnist fragt sich, wo er in dieser Gesellschaft steht: Zwischen reichen Luftsäcken und verstrahlten Aussteigern, scheffelnden Großbürgern und stiernackigem Volk. Das Fax der Woche

Schweinekalter Sonntag. Steh am Fenster mit schiefem Hals, hab mich verlegen. Schnee auf Zweig und Ast. Krähe landet rutschend auf dem Dachfirst, wischt mit einem Flügel über die Kante. Raus ins Freie, schnaufe mich durch die Gassen, blicke auf, sehe eine Stütze der Gesellschaft: Großbürger in Grobripp-Freizeithose lupft zum Gruße die Mütze. Der Gruß gilt einer Dame. Schmelzende Mittelschicht, dezente Ausgehschminke, handgenähte Reitstiefel.

Stell mich ans Schaufenster, horche. Sie reden über den Streudienst, die Wagen verirren sich nicht in die kleinen Straßen, die Stadt versagt, das linke Pack ist schuld.

Faksimile des Faksimiles von Feridun Zaimoglu

Hab ich mich verhört? Hab ich nicht. Großbürger spricht mich namentlich an. Ich soll nicht so tun, als wäre ich unsichtbar. Ich soll mich schämen, weil ich andere Leute belauschte. Ich will weiterziehen, er vertritt mir den Weg, er ruft: Bleiben Sie stehen, stellen Sie sich uns! Er verlangt, vornehmlich der Dame zu verraten, was ich denke. Faustgehörn, sage ich, das ist ein Geweih mit handförmigen Schaufeln. Im Antikladen kann man es kaufen und als Trophäe an die Wand hängen. Die Gäste machen bestimmt große Augen … Der Mann klopft das bisschen Schnee von den Schulterpolstern seines Wildledermantels, die Dame tritt das bisschen Schnee von den Stiefelkappen. Sie schweigen, sie brüten.

Hochgestellte Bürger unserer Zeit, leicht blöd, nicht nett, auch bei null Grad zu Palaver aufgelegt. Die Dame macht was im Kulturverein, sie hat überall die Finger in der Pastete, sie sagt: Unsere Stadt schmückt sich mit Ihnen, ich tue es nicht … Hätte ich eine Mütze auf dem Kopf, hätte ich sie gelüftet. Wer gereicht meiner Stadt zur Zierde? Die Ehrenamtlichen, die Reichen, die Mäzene, die Graziösen Mitte sechzig.

Ich laufe in Richtung des Nebels in der Ferne. Mann mit Tragesack in der Fußgängerzone, er schlägt eine Schneise in die Wildnis, er schreit: Ihr Gesindel! Ihr Kommunisten! … Der brüllende Irre läuft zwei Streifenpolizisten in die Arme. Wer darf nicht hoffen, ungestraft aufzumucken?

Die Regeln der Rebellion: Bei grober Ruhestörung gibt’s eins auf die Löffel. Sei erhitzt, sei erbost, sei erzürnt. Aber: Obrigkeit wacht, versuche sie nicht. Sei sanft und bescheiden in deinen Forderungen. Fordere: Himmel soll glänzen. Fordere: Schafft mir meinen Bahnhof nicht ab. Fordere: Breite Fahrradstreifen. Fordere: Mütter an die Macht. Aber wehe dir, du forderst: Schluss damit, Geld von unten nach oben zu scheffeln.

Ein Randalebruder an der brennenden Schanze, dies Kind macht den Herren keinen Kummer. Rülpsender Punk auf dem Bahnhofsvorplatz, die öde Sau soll weiter saufen. Meute der Stiernacken unter Bannern. Volkes Maul stinkt, Volkes Arsch scheißt. Die systemkonformen Rebellen, sie werden vom Wind verweht. Der Rocksänger ist eine alte Leiche: Leder, langes Haar, Libido, ein Witz. Der regellose Rebell ist der behinderte Bruder des Großbürgers. Er setzt auf Schnaps und Koks, und auf Mädchen ohne Scheu. Der Irre, ich kenne ihn. Er war früher Schlagzeuger, er brüllte im Trommelwirbel, die Grazien aus der Kleinstadt himmelten ihn an. Szenelegende, fraß Chemie, griff Sänger während des Konzerts an, wurde verdroschen, verlor alle Frontzähne, fraß Chemie, sah Ungeziefer vom Himmel regnen, kam in die Klapse. Jetzt ist er selbst ernannter Kommunistenjäger.

Was also tun? Ist man eingeklemmt zwischen dem reichen Luftsack und dem verstrahlten Aussteiger? Dass man die Herren mit dem bisschen Schnee auf den Schultern höflichst um bisschen Milde bittet, ist falsch. Dass man rechts abdreht und Volkes Maul küsst, ist falsch. Dass man in Schampuskneipen von der kommenden Revolte schwätzt, ist falsch. Was tun? Ich bin ein Almosenlinker, eine lächerliche Figur. Teilen, nicht herrschen. Bei den Armen sein, auch wenn sie über Kanacken schimpfen.