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Entfesselte Sau oder Shampoo-Linker?

 

Kann Kunst heute noch politisch sein? Unser Kolumnist wird von blutjungen Frolleinwundern gepiesackt und hält das Banner dennoch hoch. Das Fax der Woche

Der morsche Holzpoller am Hundeauslaufrasen ist umgetreten. Kumpels streiten über die Frage, ob das Viertel kippt. Der eine: Nix, neuer Poller und das Viertel glänzt. Der andere: Obrigkeit lässt uns verlausen. Er gibt mir das Stichwort, ich sage: Es wird nie geschehen, der Aufruhr mit gutem Ausgang. Kumpels verlachen mich als Shampoo-Linker. Was ist das? Das ist ein Mann, der Greisenpsalmen flüstert. Ein Sitzblockadenknaller. Ein Liebwilli des gewaltlosen Protests.

Kaffeepötte in der Hand, Mund zum Schluck gespitzt, die Kragen der Gaunermäntel hochgeschlagen: Wir lungern zwischen Kiosk und liegendem Poller, sprechen über Politik. Bert ist der Jüngste in der Runde, er tritt nach Grasbüscheln auf dem Pflaster, und weil ihn die Unruh‘ plagt, tritt er auch nach Steinen. Ein Stein prallt gegen die Stoßstange eines Autos. Fahrer steigt aus. Fahrer nennt Bert Missgeburt. Bert nennt ihn Arschbacke.

1401_001bFahrer steigt ein, wir reden weiter. Der eine: Ich hatte als Junge Pickel, kein Mädchen zum Küssen, da ging ich zur Demo. Der andere: Demo ist Spaziergang in der Gruppe, ödet mich an. Wieder ich: Besser als maulen in der Bude. Die Kumpels im Chor: Duschgel-Linker. Prominenter Schnapser der Straße schaut vorbei, die Nase hat er sich schon rot gesoffen, er zeigt Plastikrosen, die jemand auf den Biocontainerdeckel gelegt hat. Die künstlichen Tautropfen sehen aus wie Bratensoßenspritzer. Schnapser möchte sie auf das Grab seiner Oma legen. Der eine: Gute Idee, Mensch, tu das! Der andere: Lockt Möwen und Krähen an. Wenn die merken, das ist Scheißplastik, hacken sie das Grab deiner Oma auf. Bert: Die Rosen sind Sondermüll, weg damit. Schnapser will darüber grübeln, er zieht weiter, wir trinken aus und gehen auseinander.

Schreibe am politischen Text. Frage: Taugen Kunst und Kultur als Mittel der Weltrettung? Worte, Floskeln, Pathosparolen. Künstler trinken Wein und donnern in der Theaterkantine. Schreiber verrecken beim Kauf von Buttermilch im Supermarkt. Musiker zeigen auf der Bühne der Pogomeute unten den Stinkefinger. Politik ist, wenn der Künstler das Kulturamt scheiße findet. Sitze Stunden später einem Frolleinwunder gegenüber, das Frollein sagt: Ist es nicht geschmacklos, wenn Fünfzigjährige die Faust recken? … Ich bin fünfzig, sie ist halb so alt und doppelt so glatt. Die Stimme ihrer Generation, Liebling alter Säcke in den Redaktionen, sie schreibt über junge wilde Stadthäschen, die die Nächte durchtanzen. Politik? Höchstens Nebensache, am besten gar nicht. Für sie bin ich eine entfesselte Sau, ein Aufmucker-Darsteller, eine krakeelende Kreatur. Kann nicht widersprechen, neige demütig das Haupt.

Ältester Vorwurf: Das nachkommende Geschlecht ist dümmer. Bin selber dumm und dösig. Denke über widerständische Frauen und Männer früherer Zeiten nach, wie haben sie es gehalten? Zerriss sie der Widerspruch? Nö. Es zerriss sie die Lanze oder die Kugel. Das Frollein eilt zum Pressetermin, Kellner seufzt, grinst und sagt: Die hat Sie richtig fertiggemacht, was? Hab gelauscht. Sie reden Blech, die Abreibung haben Sie verdient! … Er bekennt auf Nachfrage: Kein Buch von ihr gelesen, von Ihnen schon gar nicht, sie sieht gut aus, das reicht. Schleiche herum, will im Straßenbild Aufrührer entdecken, erkenne schreiende Evangelisten, Pullenzerschlager, missmutige Ehemänner, hektische Regenschirmaufspanner, Stadtrandstrizzis, toughe Lederwestenträger mit Wampe, bekiffte Straßengitarristen, dünne Wurstverkäufer.

Esse Scholle mit Wildreis, notiere zwischen zwei Bissen: Winter des Widerstands, Wildreis schmeckt gut. Lese Krimi über den IRA-Hungerstreik im Knast, schlecht geschrieben, guter Stoff. Stoße beim Blättern in der Zeitung auf ein anderes fotogenes Frolleinwunder, es wird gelobt wegen seiner vor Kälte klirrenden Prosa. Schöne Scheiße. Ich denke: Jeder von uns Schreibern siedelt sich an auf einem Stück Erde. All die Kämpfe, sind sie zwecklos? Nix. Hoch die Banner.