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Die clowneske Revolution

 

Es gibt eine Legitimitätskrise des Kapitalismus und der Macht der Banken. Aber eine Randale wie in Frankfurt schafft auch keinen Umsturz.

© Michael Probst/dpa/Montage: ZEIT ONLINE
© Michael Probst/dpa/Montage: ZEIT ONLINE

Qualmende Mülltonnen, brennende Polizeiwagen. Die Bilder sind düster, zumindest jene, die Spiegel online zusammengeschnitten hat. Flammen, Autowracks, krawallierende dunkle Gestalten. Wären es doch die Pariser Banlieus, weit weg und am Rande der Gesellschaft. Aber das hier ist Frankfurt und mehr als das, es ist das klappernde Herz der europäischen Geldpolitik, beheimatet im neuen Doppelturm der Europäischen Zentralbank, der gestern, als die Bilder entstanden sind, eingeweiht wurde, im kleinsten Kreis, aus Sicherheitsgründen.

Vor dem Stacheldraht, der als Schutz vor den Demonstranten um den EZB-Turm gezogen wurde, lieferten sich schon am Morgen Autonome Straßenschlachten mit der Polizei. Barrikaden aus Autoreifen wurden in Brand gesetzt, als könnte man so dem Kapitalismus einheizen. Der aber schert sich nicht darum, was auf dem schmutzigen Pflaster geschieht. Revolutionen gewinnt man letztendlich im Kopf, nicht auf der Straße.

„Sie wollen Kapitalismus ohne Demokratie, wir wollen Demokratie ohne Kapitalismus!“, heißt es auf der Internetseite der Blockupy-Bewegung. Die europäischen Institutionen „repräsentieren uns nicht, ja sie wollen uns gar nicht mehr repräsentieren! Die herrschenden Eliten haben uns nichts mehr anzubieten“. Welchen besseren Schauplatz gäbe es, um sich dem „neuen Gesellschaftsmodell von Prekariat und sehr eingeschränkten sozialen Rechten“ entgegenzustellen als den EZB-Turm, für viele Demonstranten Symbol einer harschen europäischen Austeritätspolitik?

Neben dem Blockupy-Aufruf ist vorsorglich die Telefonnummer für den „Knastshuttle“ angegeben – mit Verhaftungen hat man also durchaus gerechnet, wen wundert’s, Staatsmacht ist schließlich Sanktionspotenzial. Anstatt sich dem zu unterwerfen, dreht man ihm lieber eine lange Nase und hüpft mit Clownsgesicht vor Polizisten und Fernsehkameras umher. Vielleicht wissen die Clowns selbst nicht genau, welche Aufführung sie hier eigentlich geben: einen Karneval des Aufruhrs oder doch das Drama einer tiefgehenden Krise der bestehenden Hegemonie?

Glaubt man Antonio Gramsci, besteht eine Autoritätskrise, „wenn die herrschende Klasse den Konsens verloren hat, das heißt nicht mehr führend, sondern einzig herrschend ist, Inhaberin der reinen Zwangsgewalt“ und es könnte ja in der Tat sein: Die europäischen Institutionen wie EZB und EU-Kommission, deren Einfluss sich in den letzten Jahren aufgrund anhaltender finanzwirtschaftlicher Schiffbruchstimmung im Euroraum unvorhersehbar ausgeweitet hat, steckten demnach genau dadurch in einer realen Autoritätskrise; ihre Legitimität wird ihnen abgesprochen, denn sie entzögen sich demokratischen Verfahren, funkten aber mittlerweile in Bereiche hinein, die normalerweise der demokratisch legitimierten Politik unterstellt sind. Möglich. Wahrscheinlich ist aber auch, dass jene, die ihnen die Legitimität absprechen, selbst von keiner gesellschaftlichen Mehrheit gedeckt sind. „Die Krise“, schreibt Gramsci weiter, „besteht gerade in der Tatsache, dass das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann.“

Die Tagesthemen geben sich fürs Erste nicht als Geburtshelfer. Die Anliegen der Protestierenden ebenso wie die Eröffnungsrede Mario Draghis sind marginalisiert angesichts der manifestierten Gewalt, die so groß ist, wie die Fernsehbilder sie inszenieren. Die Schuld dafür kann man hin- und herschieben zwischen Demonstranten, die lieber randalieren, als brav ein Plakat hochzuhalten und der selektiven Berichterstattung der Medien, die Bilder der Verwüstungen in Nahaufnahme senden.

Das ist bequem. Mit Gewalt muss man sich, anders als mit Macht, nicht ins Vernehmen setzen, man kann sie schlicht verdammen. Demonstrieren ja, aber bitte ohne Sachbeschädigung, so lautete dann auch der Twitterkonsens der bundesdeutschen Politelite. Ob sie Kapitalismuskritik für berechtigt halten oder nicht, ist dabei nur noch nebensächlich.

„Gewalt“, schreibt Hannah Arendt, „kann Macht nur zerstören, sie kann sich nicht an ihre Stelle setzen.“ Die realisierte Macht zeigt sich dann, „wenn Worte und Taten untrennbar miteinander verflochten scheinen, wo also Worte nicht leer und Taten nicht gewalttätig stumm sind.“ Von dieser Verflechtung war gestern nichts zu spüren. Draghis Worte im Elfenbeinturm schienen leer, die Taten der Protestierenden stumm. Beide Seiten drehten sich wunderbar um sich selbst, eine verständliche Botschaft an das jeweilige Gegenüber schien ihnen entbehrlich.

Als Antonio Gramsci vor knapp hundert Jahren, kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs, in Turin die Rätebewegung maßgeblich mitgestaltete, sollte der Umsturz in den Fabriken stattfinden, an dem Ort, an dem das ökonomische Ungleichgewicht entstand. Die Arbeit in den bestreikten Betrieben sollte dabei allerdings weitergehen, schließlich ging es nicht darum, die Produktion zu zerstören, sondern sie sich anzueignen. Bis an den Ort der Machtproduktion sind die kapitalismuskritischen Clowns gestern nicht vorgedrungen. Während sie auf den Barrikaden blieben, demonstrierten im Foyer der EZB die Angestellten gegen die Befristung ihrer Arbeitsverträge. Um sie wird sich Draghi vielleicht kümmern, um die anderen gewiss nicht.

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