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Schaut auf diese Frau!

 

Franz von Stuck zeigt, dass in Judith, die Holofernes nach dem Sex ermordet, viel mehr steckt als eine Heldin der Gendertheorie.

"Judith und Holofernes" von Frank von Stuck, 1927 (© Wikimedia Commons)
„Judith und Holofernes“ von Franz von Stuck, 1927 (© Wikimedia Commons)

Menschen sind soziale Wesen und deshalb auf Geschichten über sich und ihre
Beziehung angewiesen. Wir ahmen nach. Wir brauchen die abgebildete Fantasie eines anderen, um nach ihrem Muster handeln zu können.

Schwierig wird es, wenn nicht klar ist, ob der Protagonist einer Geschichte seinen Heldenstatus durch scharfes Kalkül oder einen teuflischen Zufall erlangt – Frauen traut man geschäftsmäßige Berechnung weniger zu als hochemotionale Bluttaten, weshalb Judith und Holofernes nicht nur ein apokryph biblisches Traumpaar sind, das in die Geschichte einging, weil Judith Holofernes nach vollzogenem Liebesakt den Kopf abschlug, „um ihr Volk zu retten“ – Judith gilt gleichzeitig als Prototyp der magisch-dämonischen Frau, die mit dem Feind schlafen will und ihn danach umbringen muss, weil diese schändliche Sehnsucht ihre Autonomie zerstört hat.

Sie rennt mit Holofernes‘ Kopf nach Hause, wird als die Retterin Israels gefeiert und ihre Skulptur Jahre später, 1495, als Wahrzeichen für eine befreite Gesellschaft am Eingang zur Florentiner Signoria, dem heutigen Palazzo Vecchio,
aufgestellt. Der Schwache besiegt den Starken. Das Denkmal des Tyrannenmordes. Die Skulptur von Judith mit Holofernes‘ Haupt in der Hand steht da bloß neun Jahre lang, danach wird sie gegen Michelangelos David ausgetauscht.

Das Anstößige ist nicht ihre Bluttat, sondern ihr Geschlecht. Eine Frau, die einen Mann tötet, kann als Leitfigur nicht funktionieren. Hamlet hat ein Menschheitsproblem, Medea hat ein Frauenproblem. David hat gesunden
Menschenverstand und deshalb all seinen Mut zusammengenommen, um einen Tyrannen zu töten.

Judith hat den Tyrannen getötet, weil ihre Gebärmutter sie zu einem barbarischen, unpolitischen Akt der Selbstbehauptung zwang. Die Volksbefreiung durch eine Frau ist in der öffentlichen Wahrnehmung also ein unreiner, egoistischer Akt. Warum? Weil Judith kein empfangendes Mutterwesen mehr, sondern gefährlich ist. Und weil der Klassenkampf in seiner Brutalität nicht an die des Geschlechterkampfes heranreicht.

Künstler haben sich an Judith als Ersatz für ihre hinterhältigen Liebhaberinnen abgearbeitet – sich selbst als toten Holofernes stilisiert, Judith als teilnahmslose, böse Mörderin und die helfende Magd als Schwiegermutter. Dass Judiths Historie gut als Rahmen für gendertheoretische Abhandlungen funktioniert, ist klar. Eine politisch nicht mehr ganz korrekte, aber völlig plausible Idee, wie es zum Mord gekommen sein könnte, hatte Hebbel sechzig Jahre vor Franz von Stucks Geburt – in seinem Theaterstück ist Judith nicht die selbstlose fromme Witwe, sondern gerade neu verlobt. Ihr Mann ist nach einem Ehejahr gestorben, und sie vertraut ihrer Magd an, dass ihr Mann in der Hochzeitsnacht, statt sie zu entjungfern, heulend zusammengebrochen sei und „Ich kann nicht“ geschrien habe. Der Typ, der jetzt um sie wirbt, antwortet auch immer nur, er könne nicht – und zwar auf Judiths Forderung, Holofernes umzubringen.

Statt weiterhin irgendwelche männlichen Qualitäten an der falschen Stelle zu suchen, will sie einen Mann, der sie richtig fertigmacht. Sie geht zu Holofernes. Und will Sex mit ihm. Und hat Sex mit ihm. „Das Weib, aktiv“ – klingt nach dem Vorkriegsslogan irgendeiner Altersvorsorge, beschreibt hier aber Judiths Transformation in eine Mischung aus Catwoman, Margaret Thatcher und Grace Kelly. Sie verführt Holofernes mit allen Mitteln der Kunst, hat laut Hebbel den intensivsten, umwerfendsten Moment ihres Lebens, und was macht der Kerl
nach dieser Episode totaler göttlicher Hingabe? Er schläft ein, weil zu besoffen. Das kann sie nicht auf sich sitzen lassen. Sie nimmt sein Schwert, das Symbol für männliche Dominanz schlechthin, und ersticht diesen doofen machthaberischen Obermacho. Sie rettet ihr Volk, weil diese ganzen blöden Penner nach dem Sex immer einschlafen.

Das ungefähr geht mir durch den Kopf, während ich neben einer Brigitte-Bardot-Skulptur in Buzios sitze. Buzios ist der elitärste Touristenort Brasiliens, natürlich schäme ich mich dafür, hier zu sein, statt auf irgendeiner Studentendemo gegen die Fahrpreiserhöhungen, und trotzdem: 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges abwechselnd auf die Atlantikküste und das verpixelte Bild von Franz von Stuck auf meinem Computerbildschirm zu starren ist schön.

Ich sitze hier vor einem sozial krassen Hintergrund: das Auseinanderbrechen der Gesellschaft wird vorangetrieben, aber jeder Versuch, das verstehen und aufarbeiten zu wollen, klingt immer ein bisschen wie die Nachrichten im
Kinderkanal. Nicht wütend, sondern abqualifizierend, das Staunen geht über in Bestürztheit, und die Bestürztheit wird zur Demonstration der eigenen Überlegenheit.

Am Ende von Hebbels Theaterstück schreit Judith: „Ich habe die Welt ins Herz gestochen.“ Und sollte man das jemals irgendeinem Bild besser angesehen haben als diesem hier, weiß ich jedenfalls nicht davon.

Dieser Text ist erstmals erschienen im Herbst 2014 im Journal des Auktionshauses Grisebach.

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