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Brustenthaarung oder lieber Häschenkostüm

 

Wette verloren! Und dann auch noch Zugfahren und Gespräche mit Liebhabern schwer lesbarer Gegenwartsprosa. Unser Kolumnist hat es wirklich nicht leicht. Das Fax der Woche

Frankfurt-Köln, Schnellzug schießt mit 300 km/h röhrend durch die Tunnel, taumele nach der Ankunft schweißgebadet über den Bahnsteig. Homobeau mit Windhund an der Leine steht in der markierten Raucherzone, führt brüllend Handygespräch mit dem Freund, der ihn mit Homowirt in der Eckkneipe betrog.

Üble Flüche, genitalbetonter Jargon, ich stolpere die Treppen herunter. Erholung in der Mokkabude. Der Italiener sagt: Bischi Mick? Der Alte am Tresen bellt: Was? Der Italiener: Bischii Miick? Der Alte: Willste mich verscheißern?… Italiener zeigt auf die Milchnäpfchen, der Alte versteht, schnappt sich die Tasse und verzieht sich in die Ecke. Keine Milch, nicht ein bisschen, Kaffee schwarz. Die Italiener führen sich auf wie Operettendiven. Megafonkehlen. Flucht vor dem Lärm. Das Hotelzimmer ist eine Gruftkammer, Teppich ohne Fransen, Fenster ohne Gardine, rissig gescheuerter Klodeckel. Treibe durch die Gassen des Viertels, Zivilisten im Abenddämmer, Bengalenkinder werfen mir Knallfrösche vor die Füße.

Vor der Drogerie stülpe ich die Kapuze über den Kopf. Laufe im geduckten Galopp kreuz und quer, bis ich endlich einen Angestellten finde. Homobeau in Knirpsgröße. Frage: Wo finde ich, äh, Enthaarungsmittel? Er kräht: ENTHAARUNGSMITTEL? Unten… Verdammt noch mal, alle Frauen an den Regalen in der Nähe drehen sich nach mir um.

imgo-1Ich poltere die Treppen herunter, eile zum Regal Körperpflege, greife blind nach zwei Schachteln, bezahle an der Kasse. Die Kassiererin: DIE CREME IST FÜR DIE BIKINIZONE UNGEEIGNET! Ich stolpere aus dem Laden, laufe zum Hotel, schließe mich im Bad ein, mache den Oberkörper frei, trage mit dem Plastikspachtel an fünf Stellen die Salbe auf die Brust auf, steige nach fünf Minuten in die Dusche. Eine halbe Stunde später knipse ich ein Rumpfbild mit fünf Zwei Euro-großen Löchern im Pelz, schicke es an Zoppo. Zoppo ruft umgehend zurück, er wiehert ins Telefon, ich warte, bis er sich ausgelacht hat. Habe Wette verloren, ich durfte wählen zwischen partieller Enthaarung oder rosa Häschenkostüm aus Zoppos Karnevalsbeständen. Er versichert mir, dass er das Bild nicht der Presse zuspielen wird. Lesung läuft gut, die Löcher jucken, ich darf nicht kratzen.

Kurzes Gespräch im Anschluss mit Liebhabern schwer lesbarer Gegenwartsprosa. Sie sprechen von der Handkeschen Raffinesse, vom Mannschen Mut zur epischen Breite, von ihrer Beseelung durch die Worte des wahnverstrickten Robert Walser. Schön, denke ich, aber ich will mich jetzt viel lieber an der Brust kratzen. Später im Hotel, ich glotze auf mein Spiegelbild, die kreisrunden Hautstellen sehen aus wie rot geschmirgelt. Lese den Beipackzettel durch: Holen Sie sich bei allergischen Reaktionen ärztlichen Beistand. Nö, tu ich nicht. Fast durchwachte Nacht, ich kratze mich blöde. Träume davon, dass ich als große tote Qualle durch ein totes Meer treibe.

Im Zug nach Mainz streiten sich vier IM-Fuzzis über Putin. Ist er ein Mann des Volkes? Gibt er seinen Russen Brot und Spiele, und wird er deshalb als Großer Vater des Vaterlands geliebt? Fuzzi 1: Wer das Russenreich regiert, darf nicht zimperlich sein! Fuzzi 2: Seien wir ehrlich, die Dissidenten sind doch unsere Lakaien. Wir bezahlen sie, dass sie Ärger machen! Fuzzi 3 und 4 kratzen sich am Ohr und an der Wange, sie geben ihm mit Grunzlauten recht. Ich kratze mich an der Brust, behalte meine Gedanken für mich. Elende Fuzzis! Elender Putin! Ich kenne viele Männer, die Stalin, den Vater aller Väter, den Großen Schlächter der Sowjetvölker, für einen kernigen Kerl halten. Schweine im Pferch huldigen der Mastsau. Hocke eingeklemmt auf meinem Sitz, ich bin der stumm kollernde Salonliterat mit unerheblichen Meinungen. Nehme mir vor, ein Bild zu malen: Männer mit Löchern im Brustpelz jagen Feuerquallen.

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