Das Betreuungsgeld ist Unsinn. Was wir aber brauchen, ist eine neue Diskussion über die Aufteilung von Lebens- und Arbeitswelt.
Man stelle sich folgendes Unruheszenario vor: Viele, ja zu viele Menschen in unserer wirtschaftlich gut funktionierenden Republik widersetzten sich der Verwertung ihrer Arbeitskraft, um ein Kind jahrelang Vollzeit zu betreuen. Klar, Deutschland braucht Nachwuchs, um den drohenden demografischen Wandel abzudämpfen, aber ebenso dringend braucht es Fachkräfte, um weiterhin über jeden Krisenmahlstrom hinweg zu segeln. Was, wenn gerade Menschen in ihren Zwanzigern und Dreißigern keine Lust mehr hätten, auf dieser Segeltour mitzuschippern?
Keine Sorge, 150 Euro pro Monat sind ein zu karger Anreiz, um aus gut verdienenden Karrieristen Herdpflänzchen zu machen, und für ein Paar, das nur über geringes Einkommen verfügt, wird diese Summe ohnehin nicht ausreichen, um den Lebensunterhalt zu sichern. Allein für Konstellationen, in denen ein Elternteil gut und der andere lediglich ein wenig dazuverdient, sind die 150 Euro sinnvoll – eine Belobigung für jene, die traditionelle Rollenverteilungen am Leben erhalten. Das Betreuungsgeld ist wie die 20 Mark, die Oma Gerda früher per Post schickte, wenn die Enkelin brav und das Zeugnis gut gewesen ist, und alles noch in Omas Bild von einer heilen Welt gepasst hat. Schön und folgerichtig wäre es, wenn auch die Herdprämie per Post verschickt würde, zusammen mit einer Grußkarte, Motiv Alpenfrühling.
Dass das Betreuungsgeld auf den Schrottplatz der dummen Einfälle gehört, ist bereits vielfach bemerkt worden, aber auch für die Gegenseite könnte uns der Applaus irgendwann ausgehen. Schlagworte wie „Doppelverdienerehe“, „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ und selbst „Gleichstellung von Mann und Frau“ hinterlassen einen schalen Geschmack, wenn man sie nur lange genug zerkaut. Dass man die Vereinbarkeit überhaupt so deutlich herausstreichen muss, zeigt implizit, dass wir es eigentlich mit einer drohenden Unvereinbarkeit zu tun haben, gegen die nun angekämpft werden muss. Wie erfüllend ist ein Gesellschaftsentwurf, in dem ein Entweder-oder die beiden wichtigsten Lebensbereiche trennt, die wir haben? Hinter der Doppelverdienerehe, so luxuriös sie auch klingt, verstecken sich nur in den seltensten Fällen zwei Sportwagen und Urlaub in Saint-Tropez, viel häufiger weist sie schlicht darauf hin, dass ein einzelnes Einkommen hinten und vorne nicht ausreicht. Und meint Gleichstellung eigentlich noch irgendetwas anderes, als dass sich nun beide gleichermaßen im Hamsterrad der Dauerkarriere abhetzen? Sind die Chancen, die der Feminismus mutmaßlich einmal für das Erdenken neuer Verhaltensmuster und Wertvorstellungen gehabt hat, gänzlich in einer mimikryhaften Aneignung eines männlich konnotierten Lebenswandels versandet? Ist die Frage nach Emanzipation mit einer 50-Stunden-Woche letztgültig beantwortet?
Ginge es allein um die Kinderbetreuung, könnte man den Streit auf das Feld der Familienmodelle einhegen, könnte man, wie jetzt die Hamburger SPD, vor dem Bundesverfassungsgericht klagen, damit sich der Bund gefälligst aus dieser Frage heraushält und das Betreuungsgeld uns nicht mit Gratifikationsmacht überkommene Rollenbilder aufdrängt. Aber das von links präferierte Modell fügt sich ein wenig zu gut in eine Arbeitswelt ein, in der die Schlupflöcher für das Private zunehmend herausgekürzt werden, als dass man die Diskussion an dieser Stelle beenden könnte. Es geht hier schließlich um nicht weniger als die Frage, wie der Bürger sein Leben zwischen privater und öffentlicher Sphäre abgrenzen soll und kann. Dass er das am besten selbst entscheidet, ist das eine – dass ein ernsthafter politischer und gesellschaftlicher Streit über eine neue Aufteilung von Lebens- und Arbeitswelt dringend auf die Tagesordnung gehört, das andere. Mit der Nonsensidee Betreuungsgeld von rechts und dem Gemurmel „Rente mit 63“ von links ist uns jedenfalls noch lange nicht geholfen.
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